Année politique Suisse 1966 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
 
Unternehmer
In der Stellungnahme zu allgemeinen politischen Landesfragen war man in den Unternehmer- und Arbeitgeberverbänden (Vorort, Zentral verband schweizerischer Arbeitgeber, Schweizerische Bankiervereinigung usw.) eher zurückhaltend, abwägend und differenzierend, im Gegensatz etwa zum Gewerbeverband, der sich in manchen umstrittenen Problemen dezidierter und kompromissloser äusserte. Ohne Zweifel sorgte in manchen Fällen die gemeinsame Interessenlage von Unternehmern und Arbeitgebern für eine gewisse « unité de doctrine ». Wir denken an ihre Haltung in der Fremdarbeiterfrage, bei der Einführung der 44-Stunden-Woche für das Bundespersonal, beim Bodenrecht (einheitliche Ablehnung des bundesrätlichen Gegenvorschlags), in der Revision des Notenbankgesetzes und in der Gestaltung der Finanzpolitik. Während der Gewerbeverband hier die « Politik der leeren Kassen » vertrat, widersetzte man sich in den genannten Kreisen dem Sofortprogramm nicht, machte aber die Erschliessung zusätzlicher Mittel — vorwiegend auf dem Wege der indirekten Besteuerung — von Sparmassnahmen abhängig [1]. Symptomatisch war es, dass die Zürcher Handelskammer den Ausbau des Staatsvertragsreferendums aufgriff; offenbar im Hinblick auf kommende wichtige aussenpolitische Entscheide, die uns unsere veränderte Stellung in einem sich wandelnden Europa aufnötigen wird. Die Handelskammer unterstützte den Vorschlag des « Redressement National », mit der Bundesverfassung nicht in Einklang stehende Staatsverträge der obligatorischen Abstimmung von Volk und Ständen zu unterbreiten. Sie regte ferner an, die Kompetenzen für den Abschluss von Staatsverträgen neu zu umschreiben [2].
Seit den Konjunkturbeschlüssen war beim Gewerbeverband ein schon vorher bestehendes Malaise gegenüber der bundesrätlichen Wirtschaftspolitik in offene Gegnerschaft übergegangen. Sie wurde durch andere Bundesmassnahmen noch gesteigert, vor allem durch die Pilot-Untersuchung über die Preisgestaltung im Sektor von Haushaltartikeln [3]. Der Blitzbesuch, mit dem Bundespräsident Schaffner, den Flugweg benützend, den schweizerischen Gewerbekongress vom Anfang Mai in Locarno überraschte, wurde als Entspannungsversuch gedeutet [4]. Der Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes nahm die Gelegenheit wahr, dem Gewerbe die Beweggründe der bundesrätlichen Konjunkturpolitik plausibel zu machen. Gleichzeitig betonte er aber die Notwendigkeit der engen Zusammenarbeit zwischen Verbänden und Staat. In der Rede des Verbandspräsidenten, Nationalrat U. Meyer-Boller, erschien das Verhältnis von Gewerbe und Staat recht ambivalent [5]. Man ist sich zwar der Vorteile bewusst, die auch der Gewerbeverband der leichten Zugänglichkeit zu den Amtsstellen verdankt. Trotzdem war aus dem Referat des Präsidenten deutlich ein gewisses Unterlegenheitsgefühl gegenüber dem Staat herauszuhören. Nach der Meinung des Referenten droht das Gewerbe, das als Wirtschaftspotential ohnehin eine Art Minderheitsstellung einnimmt, durch die gegenwärtige Bundespolitik in eine Randexistenz gedrängt zu werden. Der Bund überschreite dabei offensichtlich seine verfassungsmässigen Kompetenzen, so wenn er eine förmliche Konsumentenschutz- und Wettbewerbspolitik betreibe. Meyer-Boller sprach von einer Kartellpsychose. Sie werde durch bewusste Übertreibung allfällig negativer Züge der Kartelle genährt. Die Angst des Gewerbes vor einer seinen Interessen zuwiderlaufenden Führung oder gar Lenkung der Wirtschaft durch den Staat macht seine auffallend negative Haltung in vielen zentralen politischen Fragen verständlich, am augenfälligsten in der Finanzpolitik. Der Gewerbeverband vertrat hier von allen Verbänden am konsequentesten die Parole, wenn der Staat nicht knapp an Geld sei, werde er zu übertriebener Tätigkeit veranlasst [6].
 
[1] NZZ, 5195, 30.12.66; TdG, 299, 12.12.66; Bund, 471, 2.12.66.
[2] NZZ 2365, 28.5.66.
[3] Vat., 21, 26.1.66; NZ, 44, 25.1.66; 77, 18.2.66; Bund, 179, 9.5.66.
[4] Vat., 106, 7.5.66.
[5] Ebenda; ferner NZZ, 1994, 5.5.66; NZ, 206, 6.5.66; Bund, 174, 5.5.66.
[6] NZZ, 4727, 4.11.66; Bund, 444, 14.11.66.