Année politique Suisse 1966 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
 
Raumplanung und Bodenrecht
Die gesamtschweizerische Diskussion über Bodenrecht und Landesplanung stand auch 1966 noch überwiegend im Zeichen der von der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz und dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund am 10. Juli 1963 eingereichten Initiative. Im Zuge eines ausgedehnten Vernehmlassungsverfahrens über einen Gegenentwurf des JPD war eine Anzahl von Vorschlägen für eine verfassungsmässige Regelung des Bodenrechts und der Landesplanung ausgearbeitet worden, die in Form und Inhalt stark voneinander abwichen; die hauptsächlichsten Differenzen betrafen die Frage einer ausdrücklichen Formulierung der Garantie des Privateigentums, die Entschädigung von Enteignungen und Eigentumsbeschränkungen sowie die Kompetenzen des Bundes auf dem Gebiet der Landesplanung [1]. Der Bundesrat hatte gehofft, mit der Präsentierung eines Gegenentwurfs die Initianten zum Rückzug des Volksbegehrens veranlassen zu können. Die Uneinheitlichkeit der Stellungnahmen, der Antrag mehrerer Kantone und führender Verbände, die Initiative ohne Gegenvorschlag zur Verwerfung zu empfehlen, sowie die deutliche Ablehnung einer ähnlichen Initiative durch eine Volksabstimmung im Kanton Zürich [2] bewirkten einen Verzicht auf das beabsichtigte Vorgehen. Die gesetzliche Frist von zwei Jahren für die Beurteilung eines Volksbegehrens, die 1965 von den eidg. Räten für die Bodenrechtsinitiative bereits um ein Jahr erstreckt worden war, liess dem Bundesrat ohnehin nur wenig Zeit. So beantragte er dem Parlament Ende Mai, die Initiative ohne Gegenvorschlag dem Volk zur Ablehnung zu empfehlen; zugleich gab er aber die Zusicherung, dass die Vorbereitung eines Verfassungsartikels über das Bodenrecht rasch zu Ende geführt werden solle, und er deutete an, dass er einen Rückzug der Initiative immer noch für möglich halte. Mitte August wurde die Einsetzung einer Expertenkommission bekanntgegeben, die nach Möglichkeit bis Anfang 1967 einen neuen Entwurf vorzulegen habe [3].
Die eidg. Räte stimmten dem Antrag des Bundesrates zu. Die Sprecher der bürgerlichen Fraktionen befürworteten aber auch die Ausarbeitung eines Bodenrechtsartikels; im Nationalrat reichte die radikaldemokratische Fraktion sogar eine entsprechende Motion ein. Ein Antrag des der Landesring-Fraktion angehörenden liberalsozialistischen Nationalrats W. Schmid (ZH), den Entwurf des Schweizerischen Juristenvereins als Gegenvorschlag vor das Volk zu bringen, wurde abgelehnt. Die Sozialdemokraten verteidigten die Initiative, nicht ohne zu bedauern, dass kein Gegenvorschlag zustande gekommen war [4].
Ausser diesen parlamentarischen Mahnungen, denen bereits andere vorausgegangen waren [5], drängten ausserparlamentarische Gremien zur Regelung des Bodenrechts auf Bundesebene. Eine Arbeitstagung der Christlichsozialen Partei des Kantons Zürich erbrachte Thesen für die verfassungs- und gesetzmässige Ordnung von Landesplanung und Bodenrecht, die namentlich die Ausarbeitung eines Leitbildes für die Besiedlung, die Verpflichtung der Kantone zur Ausscheidung von Bau-, Landwirtschafts- und Freihaltezonen sowie Richtlinien für die Entschädigung von Enteignungen und enteignungsähnlichen Eigentumsbeschränkungen vorsahen [6]. Der Parteitag der Konservativ-Christlichsozialen Volkspartei der Schweiz drang in seiner Resolution über Staatsreform ohne nähere Einzelheiten auf die Schaffung einer Verfassungsgrundlage für Bodenrecht, Landes- und Regionalplanung noch vor der Durchführung einer Totalrevision der Bundesverfassung [7]. Im weitesten Rahmen kamen die Probleme der Infrastrukturentwicklung an einer Konferenz, die von der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung am 27./28. Oktober in Bern durchgeführt wurde, zur Sprache. Der Präsident der Vereinigung, Ständerat Rohner, formulierte Grundsätze für ein Landesplanungsgesetz, welche die Verantwortung hauptsächlich den Kantonen zuwiesen und dem Bund vor allem eine Förderungs- und Koordinationsaufgabe, ausserdem aber auch gerichtliche Befugnisse gegenüber säumigen Kantonen übertrugen [8]. Für eine Annahme der sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Bodenrechtsinitiative trat der Schweizerische Mieterverband ein [9]. Dagegen wandte sich die Schweizerische Gewerbekammer gegen eine Überstürzung des Vorgehens und gegen eine Verfassungsänderung grösseren Umfangs [10]. Gegen Jahresende konstituierte sich ein Aktionskomitee zur Bekämpfung der Initiative aus Vertretern âller bürgerlichen Parteien [11].
Von Bedeutung für die Entwicklung der Landesplanung war ein neuer Entscheid des Bundesgerichts zugunsten einer von der:.Gemeinde Celerina (GR) im Jahre 1963 getroffenen Regelung, welche die Gewährung von Anschlüssen an die öffentliche Strom- und Wasserversorgung ausserhalb der festgelegten Bauzonen als unzulässig erklärte. Der Bündner Grosse Rat hatte 1965 einen Rekurs von Grundeigentümern gegen die kommunale Regelung geschützt; das Bundesgericht anerkannte jedoch das Recht der autonomen Gemeinde auf Wahrung des öffentlichen Interesses [12]. Ausser der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es einstweilen den Kantonen und Gemeinden überlassen, im Bereich des Bodenrechts und der Regionalplanung weitere Schritte zu tun. Vereinzelt geschieht dies im Sinne eines kooperativen Föderalismus über die Kantonsgrenzen hinweg. So wurde unter Beteiligung der Kantonsorgane von bernischen, solothurnischen und basellandschaftlichen Gemeinden eine Regionalplanungsgruppe Leimental-Birstal gegründet [13]; zu einer entsprechenden Gruppe am Walensee vereinigten sich Gemeinden der Kantone Glarus und St. Gallen, die ihrerseits eine Zusammenarbeit mit ihren Kantonsregierungen anstrebten [14].
Von gesamtschweizerischer Tragweite war — wie bereits erwähnt — die Verwerfung einer Bodenrechtsinitiative im Kanton Zürich, die in Form einer Anregung für die Gemeinden ein Vorkaufsrecht im Interesse der Regional- und Ortsplanung verlangte. Die Initiative, deren Verwerfung der Kantonsrat im September 1965 empfohlen hatte, wurde von den Demokraten, den Sozialdemokraten und der Partei der Arbeit unterstützt; dem befürwortenden Aktionskomitee gehörten neben Vertretern der Sozialdemokraten und der Demokraten auch Mitglieder des Landesrings und der beiden konfessionellen Parteien an. Als «geistiger Vater » der Initiative wurde der Liberalsozialist W. Schmid bezeichnet, der im Sinne der freiwirtschaftlichen Theorie eine Kommunalisierung des Bodens und dessen Abtretung im Baurecht vertrat. Das gegnerische Aktionskomitee umfasste Exponenten aller bürgerlichen Parteien. Die öffentliche Debatte drehte sich einerseits um Bodenspekulation und Streubauweise, anderseits um die verfassungsmässige Zulässigkeit sowie die wirtschaftliche und ordnungspolitische Bedeutung eines kommunalen Vorkaufsrechts [15]. Für den negativen Volksentscheid vom 6. Februar gab die Landschaft den Ausschlag [16].
Wenn das Zürcher Verdikt auf die Tendenz, die private Bodennutzung gesetzlich zu beschränken, dämpfend wirkte, so bot kurz darauf ein neuenburgischer Entscheid den landesplanerischen Bestrebungen einen neuen Lichtblick. Der Neuenburger Staatsrat hatte eine 1964 mit 24 000 Unterschriften eingereichte Initiative für ein Verbot nichtlandwirtschaftlicher Bauten auf den Jurahöhen zum Anlass genommen, dem Grossen Rat als Gegenvorschlag einen Gesetzesentwurf zu unterbreiten, der auch weite Landstriche am See und in den Tälern einbezog; fast 60 % des kantonalen Territoriums sollten in drei Schutzzonen eingeteilt und mit einem Bauverbot bzw. einer Baubeschränkung in bezug auf nichtlandwirtschaftliche Zwecke belegt werden. Das Parlament stimmte im Februar dem Entwurf mit einigen Korrekturen, insbesondere zugunsten eines Mitspracherechts der Gemeinden bei der Festsetzung der Zonen, oppositionslos zu. Da die Einrichtung von Schutzzonen die Entschädigung betroffener Grundbesitzer erfordern wird, unterbreitete der Grosse Rat das in der Schweiz beispiellose Gesetz gemäss dem geltenden obligatorischen Finanzreferendum der Volksabstimmung; die Initiative wurde zurückgezogen [17]. Am 20. März erfolgte die Annahme mit grossem Mehr, allerdings bei geringer Stimmbeteiligung [18]. Die ganze Bewegung für die Erhaltung der neuenburgischen Naturlandschaften wurde durch Spannungen um den Armeeschiessplatz Les Pradières auf dem Mont Racine gefördert; die Initiative war zum Teil als Druckmittel zur Erwirkung einer Preisgabe dieses Schiessplatzes gedacht [19].
Die Abklärung der finanziellen Belastung, welche die Schaffung einer Freihaltezone in der Grossstadt Zürich ergeben würde, führte zu einem administrativen Betriebsunfall, der nicht nur auf die hohen Kosten, sondern auch auf die Kompliziertheit des Vorhabens aufmerksam machte. Auf Interpellationen im Gemeinderat (Stadtparlament) hatte der Vorstand des Hochbauamtes, Stadtrat Widmer, im Mai 1965 unrichtige Zahlen genannt, was zur Einsetzung einer Untersuchungskommission durch den Gemeinderat Anlass gegeben hatte. Diese stellte im Oktober 1966 fest, dass Stadtrat Widmer seine Angaben ohne genügende Unterlagen gemacht hatte und dass dem Gemeinderat die Unsicherheit des Stadtrates über diese Angaben verhehlt worden sei. Der erst im Frühjahr 1966 in den Stadtrat gewählte neue Finanzvorstand Bieri empfahl vermehrte Landkäufe in der 1963 festgelegten Zone und schätzte, dass Aufwendungen von 250 Mio Fr. im Lauf von 10 Jahren den grösseren Teil der Zone in Stadtbesitz zu bringen vermöchten. Das Festhalten an der Freihaltezone blieb unbestritten [20].
 
[1] Vgl. dazu SPJ 1965, in SJPW, 6/1966, S. 186 ff.; BB!, 1966, 1, S. 878 ff.; NZZ, 1843 u. 1856, 27.4.66. Die Zahl der beim JPD eingereichten Entwürfe betrug 20; neben Parteien und Wirtschaftsverbänden legten auch Organisationen wie der Schweizerische Juristenverein und das Redressement National eigene Projekte vor.
[2] S. unten S. 93.
[3] NZZ, 3493, 20.8.66.
[4] Debatte im NR am 27. u. 28.9.1966 (Sten. Bull. NR, 1966, S. 498 ff.), im StR am 30.11.1966 (Sten. Bull. StR, 1966, S. 311 ff.).
[5] Insbesondere die gleichlautenden Motionen von bernischen BGB-Vertretern in beiden Räten, die beide überwiesen wurden: Motion Buri im StR (NZZ, 1295, 25.3.66; 2512, 7.6.66), Motion Tschanz im NR (NZZ, 2879, 30.6.66).
[6] NZZ, 4204, 5.10.66.
[7] Vat., 247, 24.10.66. Der aargauische Nationalrat Binder erklärte am Parteitag, er hoffe, der Bundesrat werde noch vor der Volksabstimmung über die Initiative einen neuen Entwurf vorlegen. Vgl. dazu die spätere Verschiebung des Abstimmungsdatums durch den Bundesrat (NZZ, 58, 6.1.67).
[8] Bund, 421, 28.10.66; 422, 29./30.10.66. Wortlaut der Referate in « Unbewältigte Gegenwart », Strukturwandel und Finanzbedarf, hrsg. v. d. Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung, Zürich 1966. Die von StR Rohner befürworteten Grundsätze fanden dann ihren Niederschlag im Bericht der Eidg. Expertenkommission für Landesplanung, der erst 1967 veröffentlicht wurde (NZZ, 730, 21.2.67). An der Mitgliederversammlung der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung vom 3.6.1966 kam Enttäuschung über den Verzicht des Bundesrates auf einen Gegenvorschlag zur Bodenrechtsinitiative zum Ausdruck; von einer Protestresolution wurde jedoch angesichts der Zusage, dass ein neuer Entwurf ausgearbeitet werden solle, abgesehen (NZ, 253, 6.6.66; NZZ, 2492, 6.6.66).
[9] NZZ, 2748, 22.6.66.
[10] NZZ, 3713, 5.9.66.
[11] NZZ, 5538, 21.12.66.
[12] NZZ, 5362, 9.12.66.
[13] NZZ, 4289, 10.10.66.
[14] NZZ, 4114, 29.9.66.
[15] NZZ, 3772, 14.9.65; 3888, 20.9.65: 61, 7.1.66; 182, 15.1.66; 251 u. 260, 20.1.66; 436, 1.2.66; 496, 5.2.66; Tat, 15, 18.1.66; NZ, 30, 19.1.66. Der Landesring gab die Stimme frei.
[16] NZZ, 518, 7.2.66. Die Verwerfung erfolgte mit 98 507: 60787 Stimmen (Stadt Zürich: 31 626 Ja, 29 676 Nein). In die Abstimmungskampagne fiel die Bekanntgabe eines Rückgangs der Bodenpreise in der Agglomeration Zürich während des 1. Halbjahres 1965 durch das kantonale Statistische Amt (NZZ, 215, 17.1.66).
[17] TdG, 38, 15.2.66; GdL, 38, 15.2.66; TdL, 46, 15.2.66; NZZ, 937, 4.3.66; 2815, 26.6.66.
[18] GdL, 67, 21.3.66. Die Annahme erfolgte mit 18 647: 2284 Stimmen bei 22,5 % Stimmbeteiligung.
[19] S. oben S. 38.
[20] NZZ, 2054, 13.5.65; 2175, 20.5.65; 4519, 22.10.66; 4714, 3.11.66.