Année politique Suisse 1966 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
 
Mietwesen
Da durch die verschiedenen Förderungsmassnahmen eine fühlbare Erleichterung der Mietzinsnot noch nicht bewirkt werden konnte, kam es gegen Jahresende zu einem neuen Vorstoss für eine Verstärkung der Schutzbestimmungen zugunsten der Mieter. Am 22. November reichten der Schweizerische Gewerkschaftsbund, die Sozialdemokratische Partei der Schweiz, die Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände und verschiedene am Wohnungswesen interessierte Verbände dem Bundesrat eine Eingabe ein, in der eine Ergänzung des OR beantragt wurde, nach welcher Mietverträge vom Vermieter nur noch bei Vorliegen bestimmter Gründe (Vertragsverletzung, Hausfriedensstörung, dringender Eigenbedarf) gekündigt werden könnten. Die Eingabe wurde mit Berufung auf die Vertragsfreiheit lebhaft kritisiert [38].
Der im Verfassungszusatz über die Weiterführung befristeter Preiskontrollmassnahmen von 1964 vorgesehene Übergang von der Mietzinskontrolle zur Mietzinsüberwachung bis spätestens Ende 1966 verursachte in den Kantonen Genf und Waadt, in deren Grossstadtagglomerationen es allein noch Mietzinskontrolle gab, einige Bewegung. Die Genfer Regierung entschloss sich, dem Bundesrat den Übergang schon auf den 1. April zu beantragen [39]. Ein sozialistischer Gegenantrag, der auch von den Vertretern des Parti du travail und der Vigilants unterstützt wurde, unterlag im Grossen Rat mit 50 : 45 Stimmen; im Munizipalrat der Stadt Genf wurde eine von seiten des Parti du travail unterbreitete Protestresolution mit dem Stichentscheid des Präsidenten abgelehnt [40]. Die Regierung beauftragte eine besondere Konsultativkommission mit der Prüfung von Härtefällen [41]. Von seiten der Hauseigentümerverbände wurde eine schrittweise Anpassung der Mietzinse zugesagt [42]. Die waadtländische Regierung behielt die Mietzinskontrolle bis zum Jahresende bei; die Vorbereitung einer zu geringen Zahl amtlicher Formulare erhöhte noch die Verstimmung über die nunmehr unvermeidlichen Zinserhöhungen in den betroffenen Mieterkreisen [43].
Die von den Kantonen Genf und Waadt in Standesinitiativen beantragte eidgenössische Regelung der Geschäftsmiete wurde im März vom Ständerat erneut abgelehnt. Bereits in ihrer ersten Beratung im Juni 1965 hatte die Ständekammer einer Motion Borel (rad., GE) zugestimmt, nach der die beantragte Regelung zwar ins OR aufgenommen, ihre Anwendung aber den Kantonen freigestellt werden sollte. Der Nationalrat, der im November 1965 die Standesinitiativen mit knappem Mehr befürwortet hatte, schloss sich nun im Juni 1966 den Beschlüssen des Ständerates an und überwies zugleich ein Postulat Schaffer (soz., BE), das zeitgemässe Mindestvorschriften für die ganze Schweiz wünschte [44].
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P.G.
 
[38] NZZ, 61, 6.1.67. Die übrigen Beteiligten waren: Schweizerischer Verband für Wohnungswesen, Mouvement populaire des familles, Schweizerischer Mieterverband.
[39] TdG, 22, 27.1.66. Bundesratsbeschluss in AS, 1966, S. 423 f.
[40] TdG, 25, 31.1.66; 28, 3.2.66.
[41] TdG, 65, 18.3.66; 92, 21.4.66; 94, 23.4.66.
[42] TdG, 36, 12./13.2.66: 37, 14.2.66; GdL, 243, 18.10.66.
[43] PS,.282, 6.12.66; GdL, 289, 10./I1.12.66; TdG, 292, 14.12.66.
[44] Zu den Verhandlungen im Jahre 1965 vgl. SPJ 1965, in SJPW, 6/1966, S. 191.2. Beratung des StR in NZZ, 1149, 16.3.66; 2. Beratung des NR in NZZ, 2846, 28.6.66.