Année politique Suisse 1966 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
Ausländerpolitik
In der Frage der
ausländischen Arbeitskräfte setzte der Bundesrat die 1965 eingeleitete Politik des schrittweisen Abbaus fort, allerdings unter Gewährung einiger Lockerungen. Nach Konferenzen mit den Sozialpartnern und mit den Kantonsregierungen verfügte er am 1. März eine weitere Reduktion der kontrollpflichtigen Bestände um 5 %; 3 % sollten bis Ende Juli 1966 und der Rest bis Ende Januar 1967 abgebaut werden
[1]. Damit trug er Forderungen der Arbeitnehmerverbände Rechnung, die allerdings gleich auch für 1967 eine 5prozentige Reduktion verlangt hatten. Den Arbeitgebern, die einen neuen Abbau abgelehnt oder aufzuschieben beantragt hatten, kam der Beschluss insofern entgegen, als er für die Grenzgänger jede Beschränkung aufhob, für Saisonarbeiter in Gastgewerbe und Fremdenverkehr den bisherigen Plafond beibehielt und eine Erhöhung des Gesamtpersonalbestandes der Betriebe um 4 % zuliess. Die Kantone waren mit der getroffenen Lösung im allgemeinen einverstanden, die westschweizerischen hatten freilich eine geringere Reduktion gewünscht. Negativ fiel die Reaktion namentlich in Arbeitgeberkreisen aus; der Zentralverband schweizerischer Arbeitgeberorganisationen und der Vorort richteten an den Bundesrat ein Protestschreiben, in welchem sie den Beschluss als inflationsfördernd bezeichneten und insbesondere beanstandeten, dass den PTT-Betrieben noch eine zusätzliche Personalvermehrung zugebilligt worden war
[2]. Von gewerkschaftlicher Seite wurde dagegen Befriedigung geäussert
[3]. Als freilich der Bundesrat in Beantwortung einer Kleinen Anfrage von Nationalrat Baumann (BGB, AG) darauf hinwies, dass der Abbaubeschluss die ausländischen Arbeiter nicht daran hindere, polizeilich bewilligte Nebenbeschäftigungen zu übernehmen, wurde diese Interpretation vom Zentralpräsidenten des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbandes als eine die vertragliche Ordnung verletzende Unterstützung der Schwarzarbeit gerügt
[4]. Gegen Jahresende lebte die Auseinandersetzung erneut auf im Hinblick auf die für 1967 zu treffenden Massnahmen. Der Zentralverband der Arbeitgeberorganisationen verlangte wiederum einen Unterbruch im weiteren Abbau der Ausländerbestände, einen sogenannten « Marschhalt », und machte dabei die mangelhafte Ausnützung industrieller Investitionen und die dadurch bedingte Produktionsverteuerung und Wachstumshemmung geltend
[5]. Aus der Westschweiz wurde eine differenziertere Anwendung der Abbaumassnahmen gewünscht
[6].Gegen eine allein mit der Überfremdungsgefahr begründete Abbaupolitik wandte sich auch der Christlichnationale Gewerkschaftsbund; er forderte den Bundesrat zur Vorlegung einer klaren Konzeption für die Fremdarbeiterpolitik auf
[7]. Demgegenüber beharrten der Schweizerische Gewerkschaftsbund und die Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände auf einer Fortsetzung des Abbaus; zugleich plädierten sie jedoch für die vom Gewerkschaftsbund und einem Teil der Arbeitgeberschaft schon im Vorjahr befürwortete Aufhebung der Plafonierung des Gesamtpersonalbestandes in den Betrieben und empfahlen den schrittweisen Übergang zur blossen Gesamtplafonierung der ausländischen Arbeitskräfte des ganzen Landes
[8].
Die Augusterhebung von 1966 ergab folgende Entwicklung der Zahl der kontrollpflichtigen ausländischen Arbeitskräfte seit dem August 1965
[9]:
1965 1966 Differenz in %
Nichtsaisonarbeiter 446 493 435 979 - 2,4 %
Saisonarbeiter 184 235 164 569 -10,7 %
Total (ohne Grenzgänger) 630 728 600 548 - 4,8 %
Grenzgänger 45 600 48 000 + 5,3 %
Das Ergebnis einer Abnahme von knapp 5 % betrifft freilich nicht den Bestand der ausländischen Bevölkerung als Ganzes. Die Erteilung von Niederlassungsbewilligungen und ein Geburtenüberschuss der Ausländer in ähnlichem Ausmass wie 1965 mussten ein weiteres leichtes Ansteigen der Gesamtausländerzahl zur Folge haben
[10]. Eine solche Entwicklung liess die Überfremdungsfrage als staatsund kulturpolitisches Problem noch nicht völlig zur Ruhe kommen. Die von der « Nationalen Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat » 1965 eingereichte Petition, die einen unverzüglichen Abbau der Ausländerbestände um 30 %, eine Verlängerung der Aufenthaltsfristen für Niederlassung und Einbürgerúng sowie eine Volksabstimmung über das Einwanderungsabkommen mit Italien verlangt hatte, konnte vom Bundesrat — vor allem unter Hinweis auf die wirtschaftlichen und aussenpolitischen Folgen solcher Massnahmen — unschwer zurückgewiesen werden
[11]. Auch die Verwendung fremdenfeindlicher Motive durch die Demokratische Partei im Wahlkampf um den Zürcher Gemeinderat wurde von den Wählern durchaus nicht honoriert
[12]. Eine Motion Kurzmeyer (rad., LU) aus dem Dezember 1964, welche die Einfügung eines Artikels über den Schutz der schweizerischen Eigenart in die Bundesverfassung anregte, wurde von Bundesrat Tschudi zwar als Postulat akzeptiert, vom Nationalrat jedoch entschieden abgelehnt, wobei sich auch Mitunterzeichner von ihr distanzierten
[13]. Anderseits stellte der Bundesrat in seinem Geschäftsbericht über das Jahr 1965 fest, dass die Zahl der Einbürgerungen relativ klein geblieben sei und dass ein Kreisschreiben des JPD vom Januar 1965, das eine Erleichterung und Beschleunigung des Einbürgerungsverfahrens namentlich für die in der Schweiz aufgewachsenen Kinder von Ausländern empfahl, bei den Kantonen mit starken Ausländeranteilen eine sehr zurückhaltende Aufnahme gefunden habe
[14]; vor dem Nationalrat kritisierte Bundesrat von Moos die « zugeknöpfte » Haltung einzelner Kantone und Gemeinden und befürwortete eine verstärkte Assimilationsförderung
[15]. Weiter ging der Dichter Max Frisch, der in einer Rede an der Jahreskonferenz der Vereinigung kantonaler Fremdenpolizeichefs die Anwesenheit der ausländischen Arbeiter als eine Chance bezeichnete und dazu aufforderte, die Schweiz der Zukunft gemeinsam mit den Zugezogenen zu gestalten
[16]. Im gleichen Sinne empfahl eine Lausanner Dissertation von H.-M. Hagmann Erleichterungen für den Familiennachzug, die Niederlassung und die Einbürgerung der Zugewanderten sowie eine entsprechende Aufklärung der Einheimischen, damit ein gemeinsames Solidaritätsbewusstsein entstehen könne
[17].
Besondere Probleme stellte die politische Betätigung ausländischer Arbeiter. Verschiedentlich wurden kommunistische Italiener ausgewiesen, was nicht nur zu Protesten aus italienischen Arbeiterkreisen und seitens der PdA, sondern auch zu Kritik in sozialistischen bzw. linksbürgerlichen schweizerischen Zeitungen führte
[18]. Dagegen wurde die Tätigkeit einer sozialistischen Organisation unter den italienischen Einwanderern vom Bundesrat anerkannt
[19]. Von der überparteilichen Federazione Colonie Libere Italiane in Svizzera ging ein Versuch aus, die in Italien lebenden Angehörigen der in der Schweiz arbeitenden Italiener in die Krankenversicherung einzubeziehen; zugleich wurde für Vertreter der italienischen Arbeiter in der Schweiz ein Mitspracherecht bei der Anwendung des italienisch-schweizerischen Einwanderungsabkommens gewünscht. Diese Begehren wurden den italienischen Behörden in einer von 71 000 Mitgliedern unterzeichneten Petition vorgebracht
[20]. Auf Initiative italienischer Arbeiterkreise wurde anderseits in Bern unter Mitwirkung des italienischen Konsulats das erste Berufsbildungszentrum ins Leben gerufen, das in der Schweiz arbeitenden Italienern Abendkurse zur Weiterbildung bietet
[21].
Die zwischen Abwehr der Überfremdung und Anforderungen der Menschlichkeit bestehende Spannung trat in einem kleinen Zwischenfall zutage, der über die Landesgrenzen hinaus ein gewisses Aufsehen erregte. Als das 1961 in Lausanne gegründete Kinderhilfswerk « Terre des hommes » im Mai pflegebedürftige Kinder aus Südvietnam in die Schweiz brachte und dabei nicht nur kriegsverletzte, sondern — ohne behördliche Bewilligung — auch kranke Pfleglinge mitführte, verweigerte die Eidg. Fremdenpolizei den letzteren die Aufnahme. Dieses Veto erregte öffentliche Kritik, worauf der Bundesrat seine Zurücknahme veranlasste
[22]. Im August erteilte die Fremdenpolizei weitere Einreisevisa für kranke Vietnamkinder
[23].
[1] AS, 1966, S. 477 i; NZZ, 479, 4.2.66; 888, 1.3.66; ASW, 1966, S. 35 f.
[2] NZZ, 1043, 10.3.66. Die Schweizerische Gewerbekammer stellte einen Widerspruch des Abbaubeschlusses zum gleichzeitigen Antrag auf Arbeitszeitverkürzung in den Bundesbetrieben fest (NZZ, 1017, 9.3.66). Der Beschluss wurde auch mit einem Bedürfnis des Bundesrates nach weiterer Unterstützung seiner Konjunkturpolitik durch die Linke in Zusammenhang gebracht (NZ, 101, 2.3.66). Demgegenüber verteidigte die NZZ den Entscheid des Bundesrates unter Hinweis auf die Überfremdungsgefahr und die Erfordernisse der Konjunkturdämpfung (1247, 22.3.66).
[4] NR Wüthrich (soz., BE) in Schweizerische Metall- und Uhrenarbeiter-Zeitung, 36, 7.9.66.
[5] NZZ, 5195, 30.11.66. Für einen Marschhalt sprach sich auch die Zürcher Handelskammer aus (NZZ, 4937, 16.11.66). Vgl. ferner GdL, 285, 6.12.66.
[6] Kleine Anfrage Chevallaz (rad., VD) im NR (NZZ, 4107, 29.9.66), Stellungnahme des Genfer Staatsrates in Beantwortung einer schriftlichen Anfrage aus dem Grossen Rat (JdG, 297, 20.12.66).
[7] Ostschw., 280, 3.12.66.
[8] NZZ, 5384, 11.12.66; 5583, 25.12.66 (Schweizerischer Gewerkschaftsbund); 5591, 27.12.66 (Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände). In ihren im August veröffentlichten Richtlinien zur Konjunkturpolitik postulierte die VSA eine Fortsetzung des Ausländerabbaus bis zum Zeitpunkt, da dessen günstige Folgen durch die Nachteile übertroffen würden (NZ, 378, 18.8.66).
[9] Die Volkswirtschaft, 39/1966, S. 492 ff.
[10] Vgl. SPJ 1965, in SJPW, 6/1966, S. 194 f. Auf diese tatsächliche Zunahme des Ausländerbestandes wurde verschiedentlich hingewiesen; vgl. Bund, 90, 5./6.3.66; Tw, 260, 4.11.66; NZZ, 285, 22.1.67.
[11] NZZ, 227, 18.1.66. Vgl. dazu SPJ 1965, in SJPW, 6/1966, S. 195 f.
[12] Ein fremdenfeindliches Wahlplakat wurde nach negativen Reaktionen zurückgezogen (NZZ, 764, 22.2.66; 890, 1.3.66; 1100, 14.3.66). Der Stimmenanteil der Partei ging von 3,9 auf 2,9 % zurück (NZZ, 982, 7.3.66).
[13] NZZ, 2541, 9.6.66. Der Motionär bemühte sich, jeden Anschein der Fremdenfeindlichkeit zu vermeiden, und berief sich auf den Bericht der Studienkommission des BIGA über die Frage der ausländischen Arbeitskräfte (Das Problem der ausländischen Arbeitskräfte, Bern 1964); von den Gegnern wurde namentlich die Anderung der Lage seit Ende 1964 sowie die Gefahr eines ungünstigen Eindrucks auf das Ausland geltend gemacht. Die Ablehnung erfolgte mit 71: 26 Stimmen.
[14] Bericht des schweizerischen Bundesrates an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1965, S. 151 f. Im Februar 1967 gab das JPD bekannt, dass die Mehrzahl der Kantone einer Revision des Bürgerrechtsgesetzes zur Erleichterung der Einbürgerung zustimme, andere dagegen keine Bundeseinmischung zulassen wollten (Bund, 72, 21.2.67).
[16] Abgedruckt in Die Weltwoche, 1713, 9.9.66.
[17] HERMANN-MICHEL HAGMANN, Les travailleurs étrangers, chance et tourment de la Suisse, Problème économique, social, politique, phénomène sociologique, Lausanne 1966, p. 139 ss. Die Publikation wurde von der Gazette de Lausanne nachdrücklich empfohlen (265, 12./13.11.66). Die Schaffung einer gemeinsamen Solidaritätsgrundlage forderte auch G. Solari von der Eidg. Fremdenpolizei an der Tagung des Katholischen Komitees für innereuropäische Wanderung (Vat., 195, 24.8.66).
[18] NZZ, 3859, 14.9.66; GdL, 237, 11.10.66. Erklärungen der Federazione Colonie Libere Italiane in Svizzera in NZZ, 4082, 27.9.66 und NZ, 488, 21.10.66; Protest der PdA in NZZ, 4800, 8.11.66; zur nichtkommunistischen schweizerischen Kritik vgl. PS, 217, 21.9.66; LS, 216, 22.9.66, und NZ, 478, 16.10.66.
[19] Beantwortung der Kleinen Anfrage von NR Trottmann (k.-chr., AG) über die Federazione socialista italiana in Svizzera (Bund, 412, 22./23.10.66).
[20] NZZ, 4921, 15.11.66.
[21] Bund, 483, 12.12.66; NZZ, 5394, 12.12.66. Der Unterricht wird von italienischen und schweizerischen Lehrkräften erteilt.
[22] TdL, 142, 22.5.66; TdG, 118, 23.5.66; 119, 24.5.66; 121, 26.5.66; GdL, 119, 24.5.66; Tat, 122, 24.5.66; Bund, 200, 25.5.66; 204, 27.5.66; NZZ, 2316, 25.5.66; 2356, 27.5.66; 2622, 14.6.66. In der Pressediskussion wurden bereits bestehende Spannungen zwischen der Eidg. Fremdenpolizei und Terre des hommes sowie Differenzen zwischen Terre des hommes und älteren humanitären Organisationen erwähnt. Anderseits wurde auf die Problematik der Verpflanzung von Kindern in eine ihnen völlig fremde Umgebung hingewiesen. Bundesrat von Moos gab im NR am 14.6. auf Anfrage bekannt, dass das Internationale Komitee vom Roten Kreuz Bedenken ,gegen den Transport geäussert habe.
[23] NZZ, 3382, 10.8.66. In seiner Erklärung vor dem NR teilte Bundesrat von Moos mit, der Bundesrat habe die Fremdenpolizei angewiesen, ihn über schwierigere Fragen frühzeitig zu orientieren (TdG, 137, 15.6.66; NZZ, 2622, 14.6.66).
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