Année politique Suisse 1966 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung
Hochschulen
In der Hochschulpolitik lag den eidgenössischen Räten ein Antrag des Bundesrates für eine dreijährige Übergangslösung vor, nach welcher der Bund den Hochschulkantonen auf Grund eines bestimmten Verteilungsschlüssels von Jahr zu Jahr steigende Zuwendungen im Gesamtbetrag von 200 Mio Fr. auszurichten hatte, sofern sie gewisse Mehrleistungen erbrächten; in der Verwendung dieser Mittel sollten aber die Kantone völlig frei bleiben
[1]. Die Vorlage rief namentlich wegen ihrer Zurückhaltung gegenüber der kantonalen Schulhoheit Kritik hervor. Es wurde die Notwendigkeit der vermehrten Koordination im Hochschulwesen betont, die ein Mitspracherecht des Bundes erfordere, und verschiedene Stimmen griffen den ursprünglichen Vorschlag des Wissenschaftsrates, dem Bund die Verfügung über einen Viertel seiner Beiträge als « disponible Quote » vorzubehalten, wieder auf
[2]. Am Verteilungsmodus wurde beanstandet, dass er die Volluniversitäten benachteilige und damit in erster Linie den Bedürfnissen der Geisteswissenschaften nicht gerecht werde
[3], aus der Innerschweiz wurde das Fehlen einer Quote für Planung und Bau neuer Hochschulen bedauert
[4], und der Verband der Schweizerischen Studentenschaften vermisste die Berücksichtigung studentischer Sozialanliegen, insbesondere der Wohnungsfrage
[5].
Die parlamentarische Behandlung erweiterte den Entwurf allein dahin, dass die Hochschulkantone und der Bund zur Errichtung eines Koordinationsorgans verpflichtet wurden
[6]. Nach einem entsprechenden Beschluss der vorberatenden Nationalratskommission beeilten sich die Erziehungsdirektoren der Hochschulkantone, an einer Konferenz mit den Hochschulrektoren und Vertretern der für Hochschul- und Forschungsfragen zuständigen Bundesinstitutionen ein solches Organ zu konstituieren
[7]. Unter dieser Voraussetzung drang ein Vorschlag Hofstetters (rad., SO) zugunsten der disponiblen Quote im Nationalrat nicht durch; ein bernischer Vorstoss gegen den Verteilungsschlüssel, der in Form eines Nichteintretensantrags erfolgte, wurde von einem Westschweizer mit dem Hinweis pariert, dass wegen der Jurafrage zahlreiche bernische Studenten ausserbernische Universitäten bevölkerten
[8].
Über die Übergangslösung hinaus richtete sich das Interesse bereits auf eine Dauerregelung der Bundeshilfe an die kantonalen Universitäten, für welche der Wissenschaftsrat einen Vorentwurf auszuarbeiten hatte. Dabei wurde betont, dass die langfristige Ordnung nicht durch die Prinzipien der Übergangslösung präjudiziert werden dürfe
[9]. Insbesondere wurde eine Gesamtkonzeption der schweizerischen Hochschul- und Forschungspolitik gefordert. Umstritten blieb die Frage, ob die Koordinationsaufgabe von den universitären und kantonalen Instanzen und dem von ihnen gebildeten Koordinationsorgan wirksam gelöst werden könne oder ob es hiezu eines unabhängigen Gremiums, etwa des Wissenschaftsrates, bedürfe
[10]. Daneben stand das Problem einer Struktur- und Studienreform zur Diskussion, wobei eine permanente Universitätsleitung, eine Differenzierung zwischen Berufsstudium und Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie die Erweiterung des Lehrkörpers durch Ausgestaltung des sogenannten Mittelbaus (Nebendozenten und Assistenten) postuliert wurden
[11]. Die enorme Vermehrung der Studentenzahlen, die ohne Beschränkung der Zulassung von Ausländern die von der Kommission Labhardt 1964 gestellte Prognose noch erheblich übertroffen hätte
[12], gab auch Anlass zum Ruf nach einer Dämpfung der Mittelschulfrequenzen
[13]. Nachdem die bis 1968 reichende Übergangslösung nur zwei Fünftel der vom Labhardt-Bericht beantragten Bundesmittel bereitgestellt hatte, wurde von Bundesrat Tschudi an der Konferenz über Landesplanung im Oktober erneut auf die beschränkten finanziellen Möglichkeiten der Eidgenossenschaft und der Kantone hingewiesen
[14]. In diesem Zusammenhang mussten auch die Pläne für neue Universitätsgründungen in den Kantonen Luzern und Aargau etwas reduziert werden. So sprach sich der Delegierte des luzernischen Regierungsrates für Universitätsfragen, H. Aepli, für einen etappenweisen Aufbau aus, wobei zunächst nur eine mathematisch-naturwissenschaftliche und eine philosophisch-sprachlichhistorische Fakultät — neben der bereits existierenden theologischen Ausbildungsstätte — in Frage kämen
[15]. Anderseits gab der aargauische Erziehungsdirektor A. Schmid im Grossen Rat bekannt, dass die von der Regierung eingesetzten Fachkommissionen bloss an die Errichtung einer medizinischen Akademie in Verbindung mit einem Ausbau des Kantonsspitals sowie an ein bildungswissenschaftliches Institut dächten
[16].
Abgesehen von der Konstituierung eines gesamtschweizerischen Koordinationsorgans machte auch die Zusammenarbeit innerhalb der beiden Hauptsprachgebiete Fortschritte. Voran waren hiebei die westschweizerischen Universitäten gegangen, deren Rektoren im November Vereinbarungen über Examensreglemente und Anerkennung akademischer Grade trafen und ein ständiges Verbindungsamt ins Leben riefen
[17]. Aber auch die Rektoren der deutschschweizerischen Kantonshochschulen schlossen sich nun zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen; der Vertreter Freiburgs beteiligte sich an beiden Gruppierungen
[18]. Regelmässige Arbeitssitzungen wurden ferner von den Erziehungsdirektoren der deutschschweizerischen Hochschulkantone unter Beizug der Rektoren sowie der Vertreter entsprechender eidgenössischer Institutionen eingeführt
[19].
Der im Dezember 1965 vom Nationalrat bereits genehmigte Kredit von 444 Mio Fr. für den Ausbau der ETH passierte im März auch den Ständerat, wo jedoch — noch deutlicher als in der Volkskammer — gewisse Bedenken zum Ausdruck kamen; es wurde namentlich eine Beeinträchtigung der Bundesleistungen für die kantonalen Hochschulen befürchtet
[20].
[1] BBl, 1965, 111, S. 369 ff. Vgl. auch SPJ 1965, in SJPW, 6/1966, S. 204 f.
[2] Für die disponible Quote: NZZ, 43, 5.1.66; 385, 28.1.66 (Ständiger Ausschuss für Staats- und Kulturpolitik der Freisinnig-demokratischen Partei der Schweiz); 895, 2.3.66 (B. Wehrli, Sekretär des Vororts); 2441, 3.6.66 (Wirtschaftsförderung); 2543, 9.6.66 (Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände); GdL, 19, 24.1.66; NZ, 130, 20.3.66. Vgl. ferner BN, 50, 2.2.66; Tw, 65, 18.3.66.
[3] NZZ, 194, 16.1.66; Tw, 32, 8.2.66; NZZ, 542, 8.2.66 (NR Hofstetter, rad., SO).
[6] Beratung im NR am 22. u. 23.3. (Sten. Bull. NR, 1966, S. 202 ff.), im StR am 9.6.1966 (Sten. Bull. StR, 1966, S. 143 ff.)
[7] NZZ, 443, 2.2.66; 1164, 17.3.66.
[8] Gegen den Nichteintretensantrag Tschumi (BGB, BE) wandte sich namentlich Reverdin (lib., GE). Tschumi zog seinen Antrag zurück (Sten. Bull. NR, 1966, S. 206 f., 221 f. u. 230).
[9] So von der Schweizerischen Hochschulrektorenkonferenz, die zur Ausarbeitung einer Stellungnahme eine besondere Kommission einsetzte (NZZ, 2578, 11.6.66), und vom Verband schweizerischer Studentenschaften (NZZ, 2985, 7.7.66).
[10] NZZ, 2099, 12.5.66; 3083, 15.7.66; 3445, 16.8.66; 4520, 22.10.66. Vgl. auch MAX IMBODEN, « Die schweizerischen Hochschulen an der Wende », in Schweizer Monatshefte, 46/1966-67, S. 867 ff.; in diesem am 28.10.1966 vor der Gesellschaft Schweizer Monatshefte gehaltenen Vortrag empfahl der Präsident des Wissenschaftsrates den Ausbau des interkantonalen Koordinationsorgans zu einer repräsentativen Schweizerischen Hochschulkonferenz und regte ein eidgenössisches Freizügigkeitsgesetz auch für nichtmedizinische Berufsstudien an, um die unterschiedlichen Examensbestimmungen einander anzugleichen.
[11] GdL, 75, 30.3.66 (Schweizerische Vereinigung junger Wissenschafter); 154, 5.7.66; NZZ, 3083 u. 3096, 15.7.66; 4520, 22.10.66; 5591, 27.12.66. Vgl. auch M. IMBODEN, a.a.O., und Vorschläge des 5. Schweizerischen Akademischen Seminars im Philipp-Albert-Stapfer-Haus auf Schloss Lenzburg (in Schweizerische Hochschulzeitung, 39/1966, S. 329 ff.).
[12] Die Zahl der Studenten an den neun schweizerischen Hochschulen stieg vom Wintersemester 1962/63 bis zum Wintersemester 1965/66 von 25 659 auf 32 871. Der Labhardt-Bericht (Bericht der Eidgenössischen Expertenkommission für Fragen der Hochschulförderung, Bern 1964, S. 28, 105 u. 252 ff.) rechnete für 1965/66 mit 33 100 Studenten, wovon 22 500 Schweizer; deren Zahl stieg jedoch auf 24 229. (Vgl. Jürg STEINER, « Die Zahl der Studierenden an den schweizerischen Hochschulen im Wintersemester 1965/66 », in Schweizerische Hochschulzeitung, 39/1966, S. 195 ff.).
[13] NZZ, 3083, 15.7.66; 4501, 21.10.66.
[14] NZZ, 4604, 27.10.66. Vgl. auch oben S. 92.
[15] HUBERT AEPLI, « Stand, Probleme und Perspektiven der Luzerner Hochschulplanung », in Schweizerische Hochschulzeitung, 39/1966, S. 213 ff.
[16] NZZ, 4024, 23.9.66; 4946, 17.11.66. Bereits im Sommer hatte der Jahresbericht der Aargauischen Handelskammer eine Volluniversität als in absehbarer Zeit nicht realisierbar erklärt (NZ, 262, 10.6.66).
[17]GdL, 19, 24.1.66; NZZ, 5144, 28.11.66.
[18] NZZ, 5196, 30.11.66.
[19] NZZ, 367, 27.1.66; 2365, 28.5.66.
[20] Vgl. SPJ 1965, in SJPW, 6/1966, S. 205. Behandlung im StR am 9.3.1966 (NZZ, 1022, 9.3.66). Zweifel betrafen insbesondere die Unumgänglichkeit der Errichtung einer neuen Forschungsanlage mit einem Protonenbeschleuniger in Villigen (AG); vgl. dazu NZZ, 339, 26.1.66.
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