Année politique Suisse 1967 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
 
Arbeitnehmer
In den Arbeitnehmerkreisen gaben die Schwierigkeiten in der Nachwuchsrekrutierung ähnlich wie im vergangenen Jahre am meisten zu reden. Wenn 1967 auch nicht alle Verbände davon in gleicher Weise betroffen wurden [15], so ist doch der allgemeine Trend — mit Ausnahme der Angestelltenverbände [16] — seit mehreren Jahren rückläufig [17]. Dass diese Erscheinung international ist, beweist eine Studie von Hartmut Schellhoss über « Apathie und Legitimität, Das Problem der neuen Gewerkschaft » [18]. Je mehr die Gewerkschaften zum allgemeinen Ordnungsfaktor aufsteigen, je mehr sie ihren ursprünglich klassenkämpferischen Charakter ablegen, desto weniger betrachten es die jungen Arbeiter als notwendig, ihnen noch beizutreten. Denn sie werden der Vorteile, welche die Gewerkschaften in ihrem Interesse aushandeln, auch ohne Beitritt (und Mitgliederbeitrag!) teilhaftig. Die Reaktion vieler Gewerkschaften auf diese Entwicklung ist verständlich, aber, wie die Erfahrung zeigt, nicht immer erfolgversprechend. So wurde am Luzerner Kongress des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbandes erneut ein Berufsbeitrag der Nichtorganisierten gefordert [19]. An der Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie im Juni 1967, die dem Thema « Die Gewerkschaften in ihrer Umwelt » gewidmet war, bekannte sich der Solothurner Regierungsrat W. Ritschard, früher Gewerkschaftsfunktionär, ébenfalls zum Prinzip, für die Organisierten sollten Vorzugsbedingungen ausgehandelt werden [20]. Der erste Versuch, einen « Friedensrappen » bei Nichtorganisierten einzukassieren, verhinderte indessen anfangs 1968 die Erneuerung des Gesamtarbeitsvertrages in der Bekleidungsindustrie [21]. Es ist daher begreiflich, dass Nationalrat A. Heil an der Feier zum 60jährigen Jubiläum des Christlichnationalen Gewerkschaftsbundes im Mai 1967 bezweifelte, ob man die mangelnde Solidarität der Arbeitnehmer dadurch kompensieren solle, Staat und Arbeitgeber in die Rolle von « Mitgliedertreibern » zu drängen [22]. In diesem Sinne lehnte auch der Kongress des Schweizerischen Eisenbahnerverbandes alle Anträge ab, welche die Mitgliedschaft zur Gewerkschaft obligatorisch erklären wollten [23].
Nach Heil sollten die Gewerkschaften endlich davon Kenntnis nehmen, dass sich der Arbeiter zum Wohlstandsbürger gewandelt habe; sie hätten sich deshalb in vermehrtem Masse den Selbsthilfeeinrichtungen und den Bildungs- und Förderungsinstitutionen zu widmen. So möchte der Landesverband freier Schweizer Arbeiter vermehrtes Gewicht auf Kulturpolitik und den Ausbau der Arbeitsgerichtsbarkeit legen [24]. In dieser Richtung gingen auch die Vorschläge des Präsidenten des SMUV, Nationalrat Wüthrich: Schaffung von Kassen zur Weiterbildung und zum Ausbau des Gesundheitsdienstes. Freilich soll auch hier wieder indirekt das Solidaritätsprinzip für die Nichtorganisierten verwirklicht werden (die Gesamtheit aller und nicht nur der organisierten Arbeiter hätten ein halbes oder ganzes Lohnprozent an diese paritätisch gedachte Kasse abzuliefern) [25]. Würde aber die Gewerkschaft nicht gerade dann an Anziehungskraft gewinnen, wenn sie solche Dienstleistungen ausschliesslich ihren Mitgliedern zukommen liesse? Ob freilich der Gewerkschafter, bei dem mehr und mehr die Konsumentenhaltung in den Vordergrund tritt, heute schon zu den hiezu nötigen finanziellen Opfern bereit wäre, kann bezweifelt werden. Lehnte doch die Jahresversammlung des Schweizerischen VPOD (Verband des Personals öffentlicher Dienste) den Antrag des Vorstandes ab, die Mitgliederbeiträge automatisch an die Teuerung anzupassen [26]. Die Gewerkschaften sind für ihre Mitglieder heute eben vor allem insofern interessant, als sie deren Forderungen nach Erhöhung des Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen gegenüber den Arbeitgebern und dem Staat so nachdrücklich als möglich vertreten [27].
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E.G. / U.K.
 
[15] Der Christlichnationale Gewerkschaftsbund verzeichnete einen Mitgliederrückgang von 1060 Mitgliedern (von 92 696 Ende 1966 auf 91 636 Ende 1967). Der Christliche Metallarbeiterverband kennt dagegen weniger Nachwuchssorgen. Das Durchschnittsalter seiner Mitglieder liegt unter 30 Jahren (NZ, 240, 29.5.67). Der Schweizerische Gewerkschaftsbund verlor im Laufe des Jahres 1967 2995 Mitglieder. (Mitteilungen der Gewerkschaftssekretariate.)
[16] Die Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände zählte Ende 1967 124 789 Mitglieder, 2422 mehr als im Vorjahr und über 20 000 mehr als 1960 (Mitteilung von Dr. E. Schmid von der VSA).
[17] Drei Verbände erreichten ihr Maximum im Jahre 1963: der SGB mit 451 102, der CNG mit 93 397 und der Landesverband freier Schweizer Arbeiter mit 18 723. Für den Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter liegt der Höhepunkt von 14 991 Mitgliedern im Jahre 1964.
[18] München 1967.
[19] Tw, 245/46, 19./20.10.67; NZZ, 4429, 20.10.67.
[20] NZ, 276, 19.6.67; Lb, 166, 20.7.67.
[21] NZZ, 203, 31.3.68.
[22] NZZ, 2002, 8.5.67.
[23] Tw, 129, 6.6.67; NZZ, 2425, 8.6.67.
[24] NZZ, 1917, 2.5.67; NZ, 328, 19.7.67. Vgl. auch oben, S. 108.
[25] Tw, 245/46, 19./20.10.67; NZZ, 4412, 19.10.67. Vgl. auch oben. S. 108.
[26] PS, 137, 19.6.67; NZZ, 2565, 12.6.67; TdG, 136, 13.6.67.
[27] Vgl. z.B. die Lohn- und Ferienforderungen des Föderativverbandes des Personals öffentlicher Verwaltungen und Betriebe kurz vor den Nationalratswahlen; Tw, 243, 17.10.67; NZZ, 4365, 17.10.67. Vgl. auch oben. S. 108 ff.