Année politique Suisse 1967 : Wirtschaft / Landwirtschaft
Agrarpolitik
Die Landwirtschaft selbst machte sich Sorgen über ihre Zukunft in einem zunehmend integrierten Europa. Im Nationalrat erkundigte sich Revaclier (rad., GE) nach den Aussichten der Landwirtschaft und den zu treffenden Massnahmen. Bundesrat Schaffner sicherte die Unterstützung durch den Bund auch für die Zukunft zu, wollte aber die bisherige ungenügende reine Preispolitik durch eine konsequente Kosten- und Strukturpolitik ersetzt wissen. Unsere relativ günstige Verhandlungsposition der EWG gegenüber verdankten wir dem Umstand, dass fünfmal mehr Agrarprodukte aus den EWG-Ländern importiert als in sie exportiert würden. Anzustreben sei eine natürliche Betriebsgrössenbereinigung mit dem Ziel des krisensicheren, lebensfähigen Familienbetriebes. Der Schweizer Bauer habe eine faire und loyale Konkurrenz seiner EWG-Berufskollegen nicht zu fürchten
[1].
Zu weniger optimistischen Schlüssen kam eine Untersuchung von Professor H. Ch. Binswanger
[2]. Sie hob zwar hervor, dass die EWG-Agrarpolitik ähnlich gestaltet sei wie die schweizerische. Der entscheidende Unterschied bestehe allerdings darin, dass die EWG-Preise wesentlich tiefer lägen, nämlich ungefähr in der Mitte zwischen den schweizerischen und den Weltmarktpreisen. Eine Anpassung der schweizerischen Preise an das EWG-Niveau hätte für die schweizerische Landwirtschaft einen Einkommensausfall von rund 20 Prozent zur Folge.
In einem Vortrag in der Schweiz erklärte der ehemalige französische Landwirtschaftsminister Pisani
[3], bevor die Probleme eines integrierten europäischen Agrarmarktes gelöst werden könnten, gelte es, die Weltmarktprobleme zu lösen. Zudem müsste den Landwirten eine Zukunftsvision gezeigt werden, damit sie ihre Lage nicht nur nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge zu beurteilen vermöchten. Auch Pisani betrachtete den Familienbetrieb als Ziel, glaubte aber, dass die erfolgreiche Landwirtschaft der Zukunft erst dann realisiert sei, wenn die Hälfte der heute bestehenden Betriebe verschwunden sei. Der Generaldirektor des GATT, E. Wyndham White
[4], forderte ausserdem eine Liberalisierung der Agrarmärkte; eine internationale Koordination und eine multilaterale Rationalisierung der Produktion seien unumgänglich. Diese Ziele lägen im übrigen auch im Interesse der Entwicklungsländer.
Die schweizerische Landwirtschaft durfte indessen auch erfreulichere Perspektiven zur Kenntnis nehmen. Das zeigte die Antwort von Bundesrat Schaffner auf die von Nationalrat Max Weber (soz., BE) eingereichte Interpellation über die Auswirkungen der Kennedy-Runde
[5]. So hat die Schweiz insbesondere für den Export von Milchprodukten im Rahmen der Zollrunde günstige Bedingungen ausgehandelt. Die EWG wird ihre Zölle auf Käse um die Hälfte auf 5 % senken, wobei allerdings ein höherer Mindestpreis einzuhalten ist. Um solche Zugeständnisse von Seiten unserer Handelspartner zu erreichen, mussten freilich einige Gegenleistungen erbracht werden. Gewisse Kontingente (Wein, Wurstwaren und Blumen) wurden aufgestockt. Die wenigen Zollherabsetzungen, die gewährt werden mussten, erreichten zwar nicht 50 %. Die Konzessionen zeigen jedoch die Problematik, mit der jede Liberalisierung auf dem internationalen Agrarmarkt verbunden ist. Will die Schweiz ihre Agrarprodukte, insbesondere den Käse, im Ausland vermarkten, so muss sie auch bereit sein, ausländische Produkte zu gleichen Bedingungen auf dem Inlandmarkt zuzulassen.
Die schweizerische Agrarpolitik ist nach wie vor umstritten. Grundsätzliche Einwände werden seit Jahren unvermindert gegen die Berechnungen des bäuerlichen Arbeitseinkommens erhöben. Obschon sie im « Grünen Bericht »
[6] teilweise widerlegt worden waren, wollte die Kritik vor allem von Arbeitnehmerseite nicht verstummen. Der Gewerkschaftsbund wies kritisch auf die Unternehmervorteile und den ständigen Inflationsgewinn der Landwirtschaft hin
[7]. Angestelltenkreise fochten die Anwendung des Paritätslohnprinzips an
[8]. Der Schweizerische Bauernverband andererseits freute sich, dass seine Berechnungen einer wissenschaftlichen Überprüfung standhielten. Er verlangte seinerseits, dass in Zukunft bei der Ermittlung des unbereinigten Tagesgrundlohnanspruches der Wochenverdienst des Industriearbeiters durch 5,5 Arbeitstage (statt wie bisher 6) zu dividieren .sei. Zudem wurde ein höherer Betriebsleiterzuschlag gefordert
[9]. Obschon die kritischen Stimmen überwogen, wurde der « Grüne Bericht » doch allgemein als Arbeitsgrundlage anerkannt.
Nun erhielten aber die Gegner der offiziellen Agrarpolitik neuen Wind in die Segel, als im Mai 1967 wiederum Preiserhöhungen verkündet wurden. Die Gewerkschaften wandten sich nicht mehr nur gegen die Überwälzung der Preiserhöhungen auf den Verbraucher, sondern sie bekämpften die Preiserhöhungen an sich
[10]. Auf die teilweise heftigen Reaktionen der Konsumentinnen werden wir im Zusammenhang mit den einzelnen Produktenmärkten noch zu sprechen kommen. Die Preishausse wurde in all diesen Kreisen als illusorisches Mittel zur Sanierung der Landwirtschaft bezeichnet. Es wurden eine Differenzierung des Paritätslohns und vermehrtes marktmässiges Denken gefordert
[11]. Diese tiefgreifenden Einwände erregten die Gemüter derart, dass zum Teil unerfreuliche Polemiken heraufbeschworen wurden.
Die Landwirtschaft war weiter bemüht, ihre Strukturprobleme zu meistern. Eine mögliche Lösung wird in der Neuordung des Bodenrechts gesehen
[12]. Landwirtschaftszonen sollten die Probleme des Bodens und der Verschuldung entschärfen. Ein Schritt zur langfristigen Grundlagenverbesserung wurde mit der Eröffnung des landwirtschaftlichen Technikums in Zollikofen im Herbst 1967 getan
[13]. Bereits kamen Diskussionen über die Errichtung eines zweiten, spezialisierten Technikums (für Weinbau, Obstbau und Gartenbau) in Gang. Die Westschweiz beansprucht, dass die Schule in ihrem Gebiet gebaut wird. Das interkantonale Konkordat ist indessen noch nicht zustandegekommen, da die Standortfrage ungelöst blieb
[14].
Im Nationalrat wurde eine Motion Brosi (dem., GR) gutgeheissen
[15], welche den Bundesrat beauftragte, eine Gesamtkonzeption für die Entwicklung der Berggebiete auszuarbeiten. Es geht darum, die Kulturlandschaft in den Bergen zu erhalten. Bundesrat Schaffner nahm die Motion unter Hinweis auf die beschränkten finanziellen Möglichkeiten des Bundes entgegen
[16].
[1] NZ, 267, 14.6.67; GdL, 136, 14.6.67; Agrarpolitische Revue, 23/1966-67, S. 520.
[2] Unveröffentlichte Untersuchung des Schweiz. Instituts für Aussenwirtschaft und Marktforschung, St. Gallen, kommentiert in Agrarpolitische Revue, 23/1966-67, S. 610 ff.
[3] Rede vom 10.10.1967 im G. Duttweiler-Institut in Rüschlikon, vgl. NZZ, 4258, 11.10.67.
[4] Anlässlich eines Vortrages vor Agrarjournalisten in Heidelberg. Vgl. NZZ, 3896, 19.9.67.
[5] Sten.Bull.NR, 1967, S. 299 ff.; Agrarpolitische Revue, 23/1966-67, S. 519. Vgl. oben. S. 58 f.
[6] Bericht der Fachkommission betreffend Ermittlung und Beurteilung der bäuerlichen Einkommenslage (Grüne Kommission) an das EVD, Bern 1966 (vervielf.). Vgl. SPJ 1966, S. 65.
[7] Schweizerischer Gewerkschaftsbund in Tw, 49, 28.2.67.
[8] Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände in NZZ, 903, 9.3.67 und Nationale Arbeitnehmergemeinschaft in Lb, 52, 4.3.67
[9] NZZ, 986, 8.3.67; NBZ, 58, 10.3.67.
[11] PS, 128, 8.6.67; Genossenschaft, 16, 22.4.67; NZZ, 3825, 14.9.67; 4769 u. 4778, 9.11.67.
[12] Dieses Problem wird an anderer Stelle behandelt. Vgl. unten, S. 94 ff.
[15] NZZ, 1002, 8.3.67. Eine gleichlautende Motion wurde in der Dezembersession 1966 im StR von Danioth (k.-chr., UR) eingereicht und gutgeheissen (NZZ, 5211, 1.12.66).
[16] NZZ, 1002, 8.3.67; Agrarpolitische Revue, 23/1966-67, S. 360.
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