Année politique Suisse 1967 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
 
Eisenbahn
Auf dem Gebiet der Eisenbahnpolitik wurden noch keine grossen Entscheide getroffen. Die Weiterführung der Privatbahnhilfe, welcher der Ständerat bereits im Dezember 1966 zugestimmt hatte, wurde am 1. März auch vom Nationalrat genehmigt; dieser überwies aber zugleich zwei Postulate zur Frage des Vorortverkehrs. Das eine hatte die vorberatende Kommission beantragt; es strebte die Einbeziehung von bloss personenbefördernden Vorortbahnen in den Kreis der subventionswürdigen Verkehrsmittel an und verlangte eine entsprechende Erweiterung des Begriffs « Bahnen des allgemeinen Verkehrs» im Eisenbahngesetz. Das andere Postulat (Grütter, soz., BE) wünschte Vorschläge für eine Ausnützung des bestehenden Eisenbahnnetzes zur Bewältigung des Nahverkehrs in den Stadtregionen. Bundesrat Gnägi stellte die Prüfung einer neuen gesetzlichen Regelung in Aussicht. Abänderungsanträge auf Berücksichtigung der Vorortbahnen, auf Erhöhung der Kreditsumme und anderseits auf Festsetzung eines Zeitraumes, für welchen der Kredit auszureichen habe, wurden abgelehnt; der Chef des VED behielt sich vor, nötigenfalls vor Ablauf der in der Botschaft erwähnten Frist von 5 Jahren um einen neuen Kredit zu ersuchen [37].
Die Privatbahnhilfe wurde gleichzeitig auch in die Bemühungen um einen Abbau der Bundessubventionen einbezogen. Der Bericht, der von der Kommission Stocker im Herbst 1966 zu dieser Frage veröffentlicht worden war, hatte zwei Grundsätze des Eisenbahngesetzes angefochten: die Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen der Privatbahnen durch den Bund sowie die Annäherung der Privatbahntarife an das Niveau der SBB unter Vergütung des Einnahmenausfalls durch den Bund [38]. In seiner Botschaft vom 17. Januar 1967 beantragte der Bundesrat demgemäss eine gewisse Reduktion der Bundesaufwendungen: als Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen sollte nicht mehr ein Drittel, sondern nur noch ein Viertel der gesetzlichen Abschreibungen vergütet werden und Tarifsenkungen, die der Bund zu entschädigen hatte, waren nur noch für die Beförderung von Einheimischen in Berg- und andern Entwicklungsgebieten sowie für den Gütertransport vorgesehen [39]. Beide eidgenössischen Räte wiesen jedoch diese Abbauvorschläge zurück und genehmigten bloss eine stärkere Abstufung der Beiträge an technische Verbesserungen, Betriebsumstellungen und Defizitdeckung entsprechend der Finanzkraft und den Privatbahnlasten der Kantone [40]. Zur Verteidigung der Privatbahnsubventionen vereinigten sich namentlich die Vertreter der interessierten Kantone und die sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Kreise [41].
Die Frage der Übernahme von Privatbahnen durch den Bund wurde im Sommer einer Expertenkommission zum Studium übertragen. Ausgenommen wurde von diesem Auftrag der Kauf der BLS-Gruppe (Berner Alpenbahn-Gesellschaft Bem-Lötschberg-Simplon samt mitbetriebenen Linien) durch den Bund; für die Übernahme der Rhätischen Bahn wurden die im Gange befindlichen Verhandlungen vorbehalten [42]. Der Kauf der BLS-Gruppe wurde von Bundesrat Gnägi am 2. März bei der Beantwortung der Interpellation Bürgi (rad., SG) im Nationalrat entschieden verteidigt, wobei er die Nettobelastung des Bundes durch die Transaktion auf rund 250 Mio Fr. veranschlagte [43]. Die Übernahme verzögerte sich jedoch infolge der Anfechtung des Kaufvertrages durch eine Gruppe von BLS-Aktionären, die am 10. Februar beim bernischen Obergericht Klage einreichte [44]. Die Verhandlungen über einen Kauf der Rhätischen Bahn führten einstweilen zu einer teilweisen Einigung über die Berechnungsgrundlagen für den Übernahmepreis [45].
Die Vorbereitungen für eine Übernahme der bernischen Alpenbahn durch den Bund hatten in der Ostschweiz das alte Verlangen nach dem Bau einer Ostalpentransitlinie verstärkt, das sich auf das sog. « Ostalpenbahnversprechen » aus dem Jahre 1878 stützt. Zur Abklärung dieses Versprechens hatte das Eidg. Amt für Verkehr im Einvernehmen mit den ostschweizerischen Kantonen Prof. W. Oswald mit der Ausarbeitung eines Gutachtens beauftragt; dieses wurde im August abgeliefert und stellte fest, dass der Bund nur zu einer Subvention im Betrag von 4,5 Mio Fr., nicht aber zum Bau einer Ostalpenbahn verpflichtet sei. Immerhin räumte es ein, dass aus Gründen der Gleichbehandlung der verschiedenen Landesteile ein Ostalpendurchstich vor einem andern neuen Alpendurchstich — im Vordergrund steht ein Gotthard-Basistunnel Amsteg-Giornico — den Vorzug haben müsste, wenn jener annähernd so wirtschaftlich wäre wie dieser [46]. Umstritten blieb weiterhin der Vorrang der beiden konkurrierenden Routen für eine Ostalpenbahn (Tödi-Greina oder Splügen) [47]. Die Kommission « Eisenbahntunnel durch die Alpen », die 1964 zum Studium der gesamten Alpentunnelfrage eingesetzt worden war, hatte am Jahresende ihren Bericht noch nicht erstattet [48].
Die Rechnung der SBB für 1966 ergab erstmals seit 1949 einen Reinverlust, und zwar ohne jede Verzinsung des Dotationskapitals; er betrug mit 7,6 Mio Fr. allerdings nur einen Drittel des budgetierten Fehlbetrages [49]. Das Budget für 1968 sah trotz den Anfang 1967 in Kraft getretenen Tariferhöhungen praktisch keinen Reingewinn vor [50]. Das in Durchführung stehende kostspielige Investitionsprogramm, der wachsende Konkurrenzdruck und nicht zuletzt die Reallohnforderungen des Personals veranlassten deshalb den Bundesrat zu einer Reform des Tariffestsetzungsverfahrens, die künftig eine elastischere Anpassung der Beförderungspreise an Kostenentwicklung und Konkurrenzlage ermöglichen soll. In einem Bundesratsbeschluss vom 17. Oktober wurden neue Rahmenbestimmungen für die Tarifgestaltung der Bahn- und Schiffsunternehmungen niedergelegt, wobei an die Stelle von Höchstpreisen blosse Verhältniszahlen traten und die Rücksichtnahme auf volkswirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedürfnisse der Benützer von der finanziellen Lage des Transportunternehmens abhängig gemacht wurde. Der Beschluss, der zuvor von Vertretern der Verkehrsinteressenten gutgeheissen worden war, bedurfte einer einfachen Genehmigung durch die Bundesversammlung [51]. Der Ständerat erteilte im Dezember diese Genehmigung, auf Antrag seiner vorberatenden Kommission allerdings nur für eine Frist von 10 Jahren [52]. In der Presse wie im Ratssaal kam ein Missbehagen darüber zum Ausdruck, dass eine so weittragende Regelung nicht durch einen dem Referendum unterstehenden Bundesbeschluss getroffen werde [53]. Im Nationalrat wurde bei der Beratung des SBB-Budgets für 1968 die Anregung gemacht, Kantone und Gemeinden zu einer Beteiligung am Ausbau der SBB im Raum grosser Siedlungsagglomerationen zu verpflichten — eine Art Gegenforderung zum Begehren nach Bundessubventionen für Vorortbahnen [54].
 
[37] NZZ, 848, 28.2.67; 867, 1.3.67; Tw, 51, 2.3.67. Vgl. dazu SPJ 1966, S. 84 f. In seinem Basler Vortrag vom 28.11. (vgl. oben S. 82, Anm. 43) wandte sich Bundesrat Gnägi erneut gegen eine massive Finanzierung städtischer Verkehrslösungen durch den Bund (NZZ, 5137, 29.11.67).
[38] Vgl. SPJ 1966, S. 58 f. u. 84, ferner oben S. 62 f.
[39] BBI, 1967, I, S. 316 ff. u. 366 ff.
[40] Der StR am 15.3. (Sten. Bull. StR, 1967, S. 102 ff.), der NR am 20.9. (Sten. Bull. NR, 1967, S. 347 ff.).
[41] Vgl. u.a. die Stellungnahme der ostschweizerischen Kantonsregierungen (NZZ, 311, 24.1.67), die Intervention der Bündner Regierung (NZZ, 684, 17.2.67), die Stellungnahme des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (NZZ, 2084, 12.5.67) und die Erklärung NR Dübys, des Präsidenten des Schweizerischen Eisenbahner-Verbandes, im Namen der sozialdemokratischen Fraktion (Sten. Bull. NR, 1967, S. 350).
[42] NZZ, 3079, 17.7.67. Am 2.3. erklärte Bundesrat Gnägi vor dem NR, die Kommission werde sich weder mit der BLS-Gruppe noch mit dir Rhätischen Bahn zu befassen haben (Sten. Bull. NR, 1967, S. 48). Vgl. dazu auch SPJ 1966, S. 85 f.
[43] Sten. Bull. NR, 1967, S. 48 ff. Kaufpreis (100 Mio Fr.) und Entschädigung der SBB für Einnahmenausfälle (375 Mio Fr.) ergeben zusammen 475 Mio Fr.; nach Abzug der Einsparung von Bundessubventionen (220 Mio Fr.) verbleiben rund 250 Mio Fr. Entsprechende Beantwortung einer Interpellation Dobler (k.-chr., AI) im StR am 7.3. (NZZ, 978, 7.3.67).
[44] Jahresbericht der Litra, 1966/67, S. 83 ff. Die Kläger erklären, die Hauptaktionäre, der Kanton Bern und der Bund, würden durch den Vertrag auf Kosten der Privataktionäre begünstigt.
[45] NZZ, 4278, 11.10.67.
[46] Jahresbericht der Litra, 1966/67, S. 61 ff.; NZZ, 3651, 5.9.67.
[47] Für Tödi-Greina: NZZ, 2088, 12.5.67; Ostschw., 260, 9.11.67; für Splügen: Lb, 91, 21.4.67; 92, 22.4.67; 171, 26.7.67.
[48] Die Tat (238, 10.10.67) schrieb die Verzögerung den Bestrebungen zu, zuvor die Übernahme der BLS durch den Bund zu sichern.
[49] BBI, 1967, I, S. 873 ff. Genehmigung im NR am 7.6. (NZZ, 2486, 7.6.67), im StR am 26.6. (NZZ, 2803, 27.6.67).
[50] BBI, 1967, II, S. 1041 ff. Von einer Verzinsung des Dotationskapitals und einer Einlage in die Reserve wurde erneut abgesehen.
[51] BBI, 1967, II, S. 957 ff. Vgl. auch Jahresbericht der Litra, 1966/67, S. 90 ff.; ferner H. Herold in NZZ, 5414, 15.12.67, und die Ausführungen des Präsidenten der Generaldirektion der SBB, 0. Wichsers, zum Investitionsprogramm (BN, 151, 11.4.67), anderseits Kritik in Bericht über Handel und Industrie der Schweiz im Jahre 1966 sowie Mitteilungen über die im Vereinsjahr 1966/67 vom Vorort behandelten Geschäfte, S. 195 f.
[52] NZZ, 5163, 1.12.67 (Kommissionsantrag); 5499, 20.12.67 (Ratsbeschluss).
[53] H. Herold in NZZ, 5414, 15.12.67, der auf die 1962 eingeführten Bestimmungen des Geschäftsverkehrsgesetzes hinwies, und Hürlimann (k.-chr., ZG) im StR (NZZ, 5499, 20.12.67).
[54] Interpellation Eisenring (k.-chr., ZH). Der NR genehmigte das SBB-Budget am 5.12. (NZZ, 5243, 5.12.67), der Ständerat am 20.12. (NZZ, 5499, 20.12.67).