Année politique Suisse 1967 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
 
Luftfahrt
Im Bereich des Luftverkehrs ergeben sich zusehends Spannungen zwischen den Anforderungen der technischen Entwicklung und den Lebensgewohnheiten der Bevölkerung. Um die Swissair international konkurrenzfähig zu erhalten, beschloss deren Verwaltungsrat am 28. April die Bestellung von zwei Grossflugzeugen, sogenannten Jumbo-Jets, mit einem Fassungsvermögen von über 400 Passagieren und die Generalversammlung genehmigte eine neue Kapitalerhöhung durch Ausgabe von Inhaberaktien, die in beschränktem Umfang auch ausländische Mittel mobilisieren sollte; die Frage der Anschaffung von Überschallflugzeugen wurde dagegen noch offen gelassen, da über deren Wirtschaftlichkeit Ungewissheit bestand und da die wachsende Bewegung gegen den Fluglärm Zurückhaltung empfahl [71].
Zur umstrittenen Frage einer Überschalluftfahrt über der Schweiz sah sich Bundesrat Gnägi wiederholt zur Stellungnahme veranlasst. Er verwies jeweils auf Bestrebungen, das Problem international zu lösen, und lehnte ein isoliertes Verbot von zivilen Überschallflügen über Schweizer Gebiet ab, um die schweizerischen Verhandlungsmöglichkeiten nicht zu beeinträchtigen. Bei der Beantwortung einer Interpellation in der Dezembersession des Nationalrates gab er immerhin die Zusicherung, dass Überschallgeschwindigkeiten nicht zugelassen werden sollten, wenn sie «mit den befürchteten unzumutbaren Lärmwirkungen verbunden» seien; der Bundesrat besitze die Kompetenz zu einem solchen Verbot. Der Chef des VED fügte jedoch bei, dass auch Überschallflüge über Nachbarländern weite Gebiete der Schweiz dem Überschallknall aussetzen würden [72].
Das wachsende Verkehrsvolumen der Luftfahrt erfordert den weiteren Ausbau der Start- und Landeflächen. In einer allgemeinen Standortbestimmung warf der Direktor des Eidg. Luftamts, W. Guldimann, die Frage auf, ob der Bund sich nicht an den Flughäfen direkt beteiligen sollte, statt bloss Subventionen an die Flughafenkantone auszuzahlen [73]. Im Vordergrund steht zurzeit eine dritte Ausbauetappe des Flughafens von Zürich, für deren Planung der Zürcher Regierungsrat im August einen Kredit beantragte [74]. Gegen diesen Antrag bildete sich bereits vor der parlamentarischen Behandlung ein Aktionskomitee, das die referendumspflichtige Vorlage zu bekämpfen drohte, wenn nicht ein Nachtstart- und -landeverbot erlassen und eine Lärmgrenze festgesetzt werde [75].
Das Projekt eines Flughafens bei Bern erlitt einen Rückschlag. Die bernische Regierung beantragte im Januar dem Grossen Rat, an dem von ihr bevorzugten Standort Rosshäusern vorsorglich Land zu erwerben und unter Beteiligung der Stadt eine Amtsstelle für die Abklärung der Flugplatzfragen zu schaffen. Als sich aber im April in der vorberatenden Grossratskommission starke Opposition gegen eine Festlegung auf das Rosshäusern-Projekt meldete — und auch bekannt wurde, dass sich bei einer Umfrage des kantonalen Handels- und Industrievereins eine Mehrheit gegen den Bau eines neuen Flugplatzes ergeben hatte — zog die Regierung ihren Antrag zurück und verschob die Behandlung der Angelegenheit auf 1968, um bis dahin die Frage des Luftanschlusses der Region Bern noch einmal von Grund auf zu überprüfen [76]. Die Möglichkeit eines weiteren Ausbaus des bisherigen Flugplatzes Belpmoos wurde vom Eidg. Luftamt im September abgelehnt [77].
In der Waadt führten die Bemühungen um einen Ersatz für den Flugplatz von Rennaz, der bisher den touristischen und sportlichen Interessen der oberen Genferseegegend diente, der aber dem Nationalstrassenbau weichen muss, zu grosser Erregung in der betroffenen Bevölkerung; es kam zur Lancierung zweier kantonaler Verfassungsinitiativen, die nicht nur verkehrspolitische, sondern auch staatspolitische Bedeutung haben [78].
Der Versuch der im Raum von Basel domizilierten Gesellschaft Globe Air, ein Grossunternehmen für Charterflüge aufzubauen, der dem Basler Flughafen beträchtliche Frequenzsteigerungen eintrug, endete 1967 mit einem Zusammenbruch. In übersteigertem Expansionsdrang war der Boden seriöser Geschäftsführung und Preiskalkulation verlassen worden, und Missachtungen der Sicherheitsvorschriften hatten das Eidg. Luftamt wiederholt zum Einschreiten veranlasst. Streitigkeiten mit ehemaligen Verwaltungsratsmitgliedern sowie der Absturz einer Globe Air-Maschine über Zypern am 20. April, der 126 Menschenleben forderte, fügten dem Ruf der Gesellschaft weiteren Schaden zu. Nach erfolglosen Sanierungsbemühungen wurde im Oktober der Konkurs eröffnet [79].
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P.G.
 
[71] NZ, 163, 11.4.67; 176, 18.4.67; 197, 1.5.67; NZZ, 1885, 29.4.67.
[72] Vgl. Antwort des Bundesrates auf ein Gesuch der Regierung von Baselland um Festsetzung von Lärmgrenzen (NZZ, 4115, 2.10.67), Entgegnung Bundesrat Gnägis auf eine Kritik der Schweizerischen Liga gegen den Lärm an dieser Antwort (NZZ, 4469, 23.10.67; NZ, 506, 1.11.67), Beantwortung einer Interpellation Schmidt (soz., AG) im NR (Sten. Bull. NR, 1967, S. 600 ff.). Die Schweizerische Vereinigung für Gesundheitstechnik forderte im Juni ein Verbot des Überschallflugverkehrs (NZZ, 2831, 29.6.67).
[73] Vortrag im Verkehrshaus in Luzern (NZZ, 2905 u. 2906, 4.7.67).
[74] NZZ, 3647, 4.9.67; 3708, 8.9.67.
[75] NZZ, 4681, 3.11.67; 4932, 18.11.67; NZ, 549, 27.11.67. Ahnliche Forderungen erhob auch die Schweizerische Liga gegen den Lärm (NZZ, 4984, 21.11.67). Am 30.11. wurde ein Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Zürich gegründet, dem eine grössere Zahl von Gemeinden beitrat; er wandte sich vor allem gegen den Fluglärm (NZZ, 5234, 5.12.67).
[76] Bund, 28, 21./22.1.67; 108, 30.3.67; 112, 4.4.67; 122, 16.4.67. Ablehnende Mehrheiten in der weiteren Umgebung von Bern bei einer Volksabstimmung über die Aufnahme von Anleihen wurden als Ausdruck der flugplatzfeindlichen öffentlichen Meinung gedeutet (Bund, 117, 10.4.67; NZZ, 1557, 11.4.67).
[77] Bund, 264, 1.10.67; NZZ, 4108, 2.10.67.
[78] GdL, 20, 25.1.67; 140, 19.6.67; 150, 30.6.67; 184, 9.8.67; 287, 8.12.67. So wurde auch die Aufhebung der 1961 eingeführten Beschränkung des Initiativrechts verlangt.
[79] NZ, 154, 5.4.67; 156, 6.4.67; 198, 2.5.67; 481, 18.10.67; BN, 146, 7.4.67; 182, 2.5.67; 423, 6.10.67; 447, 21./22.10.67; NZZ, 1594, 13.4.67; 1722, 20.4.67; 1730, 21.4.67; 1948, 4.5.67; 2033, 10.5.67; 2744, 23.6.67; 4418, 20.10.67. Die Affäre hatte auch kulturpolitische Auswirkungen; s. unten, S. 127.