Année politique Suisse 1967 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen
 
Alters- und Hinterlassenenversicherung
Da das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) seit der 6. AHV-Revision von 1963/64 die Bestimmung enthält, dass die finanzielle Struktur des Sozialwerks in der Regel alle 5 Jahre überprüft werden solle, wurde eine 7. Revision spruchreif. Die im Vorjahr von den verschiedenen wetteifernden Gruppen vorgebrachten Postulate [2] wurden durch weitere ergänzt. So richtete das Komitee « Gesichertes Alter », dem Exponenten verschiedener Parteien und Arbeitnehmerverbände angehören, im März eine Eingabe an den Bundesrat, die über die Forderungen der Volksinitiative des Christlichnationalen Gewerkschaftsbundes noch hinausging [3]: sie empfahl nicht nur den Übergang zur dynamischen Rente und die Einrichtung einer Zusatzversicherung für Personen mit ungenügender Altersvorsorge, sondern auch eine Befreiung der Renten von der Wehrsteuer sowie die Prüfung des amerikanischen Medicare-Systems für eine besondere Versicherung der Rentenbezüger gegen Belastungen durch Spital- und Arztkosten; zudem sollten die kantonalen Ergänzungsleistungen durch eine massive Heraufsetzung der Minimalrenten ersetzt und noch überboten werden. Zur Finanzierung wurde ausser einer Erhöhung der Arbeitnehmer-, Arbeitgeber- und Staatsbeiträge um 25 % eine Verzinsung der Nebenfonds der AHV verlangt. Vorschläge anderer Organisationen betrafen die Vereinfachung der AHV-Verwaltung durch Aufhebung der individuellen Beitragskonten und die Einführung von Einheitsrenten [4] sowie die Gewährung von Sachleistungen an invalide Altersrentner auf Kosten der AHV [5]. Die Association suisse des vieillards, invalides, veuves et orphelins (AVIVO) veranstaltete im September in Bern mit gegen 2000 hauptsächlich aus der Westschweiz herbeigeführten alten Leuten eine Demonstration für massive Erhöhungen der Renten und Ergänzungsleistungen sowie für Sonderbestimmungen zugunsten der Invaliden [6]. Als Termin für das Inkrafttreten der Revision wurde von verschiedenen Gruppen Anfang 1969, von der Partei der Arbeit Anfang 1968 gefordert [7].
Der Ruf nach höheren AHV-Leistungen begegnete im Wahljahr nur gedämpfter Kritik. Es wurde auf die Frage der Mittelbeschaffung hingewiesen und vor einem Missbrauch der AHV zu wahlpolitischen Zwecken gewarnt [8]. Der Gewerbeverband verlangte eine Verstärkung des Versicherungsprinzips und eine bessere Berücksichtigung der Bedürfnisse der Selbständigerwerbenden bei der Ansetzung der Beiträge [9]. Die Zürcher Handelskammer machte geltend, dass eine Indexrente die Erhaltung des Geldwertes erschweren würde [10]. Anderseits überwies der Nationalrat in der Herbst- und in der Wintersession mehrere Postulate, in denen eine ganze Reihe der erwähnten Revisionsbegehren enthalten waren [11]. Noch vor den Wahlen stellte Bundesrat Tschudi die Unterbreitung einer Vorlage für das Frühjahr 1968 und die Inkraftsetzung auf Neujahr 1969 in Aussicht; zugleich sprach er die Hoffnung aus, dass durch eine Prämienerhöhung eine erhebliche Steigerung der Leistungen ermöglicht werde [12]. Von konservativ-christlichsozialer Seite wurde diese Ankündigung als wahlpolitische Überschreitung der Kompetenzen des Departementschefs kritisiert [13].
 
[2] Vgl. SPJ 1966, S. 111 f.
[3] Tat, 69, 23.2.67. Im Komitee sind der Christlichnationale Gewerkschaftsbund, die Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände, die Nationale Arbeitnehmergemeinschaft und der Schweizerische Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter vertreten, dazu auch der Landesring der Unabhängigen (vgl. SPJ 1966, S. 112, Anm. 72).
[4] Landesring der Unabhängigen (Tat, 77, 3.4.67). Einen ähnlichen Vorschlag entwickelte der neue NR Brunner (rad., ZG) in einem Vortrag vor der Studiengesellschaft für Wirtschaftspolitik in Zürich: neben einer kleinen, auf den individuellen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen beruhenden Kapitalrente sollten von den individuellen Beiträgen unabhängige einheitliche Umlagerenten ausgerichtet werden, die jeweils auf Grund der Gesamteinnahmen der AHV zu berechnen wären; dadurch würde für jedermann eine Existenzsicherung erreicht, zugleich aber das Sozialwerk entpolitisiert und die Spartätigkeit erhalten (Tages-Anzeiger, 277, 25.11.67; NZZ, 5105, 28.11.67).
[5] Schweizerischer Gewerkschaftsbund (NZZ, 4677, 3.11.67).
[6] NZZ, 3853, 16.9.67; TdG, 217, 16.9.67.
[7] Vgl. NZZ, 1894, 30.4.67 (Schweizerischer Gewerkschaftsbund); 4109, 2.10.67 (Nationale Arbeitnehmergemeinschaft); 4208, 7.10.67 (Gesichertes Alter); TdL, 93, 3.4.67 (Partei der Arbeit).
[8] Wirtschaftsförderung, Dokumentations- und Pressedienst, 1/2, 9.1.67; Bund, 17, 13.1.67 (Gewerblicher Presse- und Informationsdienst); StR Dietschi (rad., BS) in NZZ, 445, 2.2.67; NR Hofstetter (rad., SO) in Bund, 77, 24.2.67. Wahlpropagandistisch wurde der Ruf nach einer AHV-Revision namentlich vom Landesring eingesetzt (vgl. Inserate, z. B. in Weltwoche, 1765, 8.9.67; Tat, 250, 24.10.67).
[9] NZZ, 5098, 27.11.67; 5298, 8.12.67. Vgl. ähnliche Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der liberalen Berufe (NZZ, 4292, 12.10.67) und des Schweizerischen Bauernverbandes (s. unten, S. 157).
[10] NZZ, 4620, 31.10.67.
[11] Im September Postulate Vontobel (LdU, ZH) für massive Rentenerhöhung, dynamische Rente, Beitragserhöhung und Verzinsung der Nebenfonds, Dafflon (PdA, GE) und Schütz (soz., ZH) für sofortige Rentenanpassungen (Übersicht über die Verhandlungen der Bundesversammlung, 1967, III, S. 20, 29 u. 31), im Dezember Postulat Grass (rad., GR) für Befreiung der AHV- und IV-Renten von der Wehrsteuer (NZZ, 5399, 14.12.67).
[12] Erklärung im NR vom 27.9. (NZZ, 4045, 28.9.67) und Rede zum 50jährigen Jubiläum der Stiftung für das Alter (NZZ, 4245, 10.10.67).
[13] Vgl. Schweizerische Katholische Korrespondenz in Vat., 243, 19.10.67.