Année politique Suisse 1967 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
 
Radion und Fernsehen
Die sich in weiten Kreisen verbreitende Oppositionsstimmung [1] liess Probleme der Massenkommunikationsmittel noch stärker in den Vordergrund treten. So spitzte sich die Auseinandersetzung um die Programmgestaltung von Fernsehen und Radio zu, namentlich als der Zürcher Regierungsrat und Nationalrat König (LdU), Mitglied des Zentralvorstandes der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), in einem Interview mit der « Weltwoche » dem Bundesrat vorwarf, dass er auf die SRG einen ungebührlichen Druck ausübe, und für Radio und Fernsehen die gleiche Freiheit verlangte, wie sie die Presse geniesst. König bezog sich dabei vor allem auf eine Zusammenkunft von vier Bundesräten mit dem Zentralpräsidenten und dem Generaldirektor der SRG am 27. Juni 1966 in Bern, die durch den Wunsch der SRG-Leitung nach einer stärkeren Beteiligung der Bundesräte an Femseh- und Radiosendungen veranlasst worden war [2]. Die Einstellung der satirischen Radiosendereihe «Mini Meinig — Dini Meinig» Anfang März wurde mit der von den Bundesräten geäusserten Kritik in Zusammenhang gebracht [3]. Die Auseinandersetzung liess das Bestreben nach einer Verankerung der Radio- und Fernsehordnung in der Bundesverfassung, das 1957 durch einen negativen Volksentscheid durchkreuzt worden war, neu aufleben. Die Redaktion der « Weltwoche » kündigte eine Volksinitiative zur Garantierung der Programmfreiheit an [4], während im Nationalrat ein Postulat Hackhofer (k.-chr., ZH) und eine Interpellation Hofer (BGB, BE) die Wiederaufnahme eines normalen Gesetzgebungsverfahrens anregten, das allerdings mindestens so sehr der öffentlichen Aufgabe der beiden Massenmedien Rechnung tragen sollte wie dem Prinzip der Programmfreiheit [5]. Bundesrat Gnägi, der am 15. März eine ganze Reihe parlamentarischer Vorstösse zur Radio- und Fernsehfrage zu beantworten hatte, gab bekannt, dass der Bundesrat durch Veranlassung eines Rechtsgutachtens bereits zu einem neuen Anlauf für einen Radio- und Fernsehartikel angesetzt habe. Er wies den Vorwurf einer Verletzung der Programmautonomie durch den Bundesrat zurück, betonte aber zugleich den grundsätzlichen Unterschied zwischen den mit einer Art Monopol ausgestatteten Massenmedien und den einander konkurrenzierenden Presseorganen [6]. Die Diskussion in Parlament und Öffentlichkeit ergab eine gewisse Frontbildung gegenüber der auflagenstarken und parteipolitisch neutralen « blauen Presse », deren Mitarbeiter es verstanden hatten, sich in den Massenmedien Positionen zu schaffen; anderseits wurde der Vorstoss Königs als Auftakt zu den Zürcher Aprilwahlen gedeutet [7].
Radio und Fernsehen stehen untereinander und namentlich gegenüber den ausländischen Sendern im Wettbewerb um das Interesse des Publikums. Während aber das Fernsehen seine Teilnehmerzahl weiterhin beträchtlich zu steigern vermag, wächst der Bestand der Radiohörer nur noch sehr langsam [8]. Um die steigenden Aufwendungen zu decken und Mittel für den weiteren Programmausbau zu beschaffen, sah sich der Bundesrat genötigt, die schon 1965 um 7 Fr. erhöhte Radiogebühr auf Neujahr 1968 noch einmal um denselben Betrag (auf 40 Fr.) heraufzusetzen. Die von der SRG gewünschte Indexierung lehnte er jedoch ab. Er erklärte sich auch nicht zu einer vorzeitigen Konzessionsrevision zwecks Zulassung der Radioreklame bereit [9]. Das Leistungsangebot des Radios wurde ab Neujahr 1968 namentlich durch Verlängerung der Sendezeiten, durch Ausbau der Gemeinschaftssendungen für alle drei Sprachregionen sowie durch vermehrte Lokalsendungen erhöht [10]. Ausgreifendere Pläne gab die SRG für das Fernsehen bekannt : bis 1976 sollten für 92 % der Bevölkerung zwei weitere Fernsehketten benützbar gemacht werden, wobei die eine für die Vermittlung des Programms einer andern Sprachregion, die zweite namentlich für ausgewählte Programme aus dem gleichsprachigen Ausland sowie für Bildungssendungen vorgesehen war. Die Überlassung der dritten Kette an eine andere Konzessionärin, insbesondere für die unbeschränkte Ausstrahlung eines ausländischen Programms, wurde von der SRG nicht befürwortet; sie gab dem Kontakt mit dem anderssprachigen Landesteil vor dem Kontakt mit dem Ausland den Vorzug [11]. Diese Haltung wurde als Tendenz zur Abschirmung des Schweizervolkes gegen ausländische Sendungen kritisiert [12]; einem parlamentarischen Vorstoss für die Zulassung von Experimenten mit Kleinumsetzern, die zur weiteren Verbreitung ausländischer Programme dienen könnten, begegnete Bundesrat Gnägi vor allem mit dem Hinweis auf die Gefahr von Störungen [13].
Um den Zugang zu ausländischen Programmen ging es auch bei der Wahl zwischen den beiden in Europa eingeführten Systemen für das Farbfernsehen. Indem sich der Bundesrat am 15. August endgültig für das von drei Nachbarländern übernommene PAL-System entschied, wurde der westschweizerischen Bevölkerung der Empfang von Farbsendungen aus Frankreich, das ein anderes System gewählt hat, erschwert. Bundesrat Gnägi begab sich im September zu einer Pressekonferenz nach Lausanne, um dem entstandenen Unmut durch eine einlässliche Begründung des Entscheids entgegenzuwirken [14]. Gleichzeitig waren am Lausanner Comptoir die ersten farbigen Versuchssendungen der PTT zu sehen [15]. Regionale Differenzen entstanden anderseits in der Frage eines Standortwechsels des Radioorchesters Beromünster von Zürich nach Basel. Ein Angebot der Regierung von Baselstadt aus dem Jahre 1966, das Radioorchester zu übernehmen und sich an seiner Finanzierung zu beteiligen, wurde im Juli von der deutschschweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft als Verhandlungsbasis akzeptiert, nachdem Bemühungen, in der Ostschweiz finanzielle Unterstützung zu finden, kein konkretes Ergebnis gezeitigt hatten. Das Basler Angebot, das als Konsequenz der Radioreorganisation von 1964 bezeichnet wurde, stiess auf lebhaften Widerstand in Zürich und in der Ostschweiz, wo man einen Wegzug des Radioorchesters als schweren Verlust für das regionale Musikleben ablehnte und die Heranziehung des Fernsehens zur Finanzierung vorschlug; der Bundesrat wurde um eine Präzisierung früherer Zusagen ersucht, erklärte jedoch die SRG als zuständig [16].
 
[1] Vgl. oben, S. 13 f.
[2] Weltwoche, 1733, 27.1.67. Zur Zusammenkunft vom 27.6.1966 vgl. insbesondere Erklärung Bundesrat Gnägis vor dem NR am 15.3.67 (Sten.Bull.NR, 1967, S. 111 ff.).
[3] Vgl. Votum NR Königs am 15.3. (Sten.Bull.NR, 1967, S. 108 ff.). Der Direktor des Zürcher Radiostudios, G. Padel, begründete die Einstellung mit Differenzen zwischen ihm und dem Sendeleiter H. Gmür (NZZ, 888, 2.3.67). Vgl. dazu auch Tat, 23, 28.1.67; NZZ, 396, 30.1.67; Tages-Anzeiger, 31.1.67; NZ, 103, 3.3.67.
[4] Weltwoche, 1734, 3.2.67; NZ, 59, 5.2.67.
[5] Sten.Bull.NR, 1967, S. 99 ff.
[6] Sten.Bull.NR, 1967, S. 111 ff. Der NR überwies das Postulat Hackhofer und lehnte ein Postulat Vincent (PdA, GE) für Gewährleistung der Gleichberechtigung aller politischen Gruppen bei den Sendungen ab; Interpellanten waren ausser Hofer König (LdU, ZH), Müller (k.-chr., LU) und Baumgartner (rad., BE).
[7] Vgl. NBZ, 22, 27.1.67; 28, 3.2.67; Vat., 23, 28.1.67; 28, 3.2.67; Bund, 38, 28./29.1.67; NZZ, 386, 29.1.67; 488, 5.2.67; Tw, 28, 3.2.67; ferner Dürrenmatt (lib., BS) im NR (Sten.Bull. NR, 1967, S. 117 f.); auf der Gegenfront: Weltwoche, 1734, 3.2.67; Tat, 29, 4.2.67; NZ, 59, 5.2.67; zurückhaltender Zürcher Woche, 6, 10.2.67. Zu den Zürcher Wahlen vgl. oben, S. 28 ff.
[8] Die Fernsehteilnehmerzahl stieg von 620 783 Anfang 1966 über 751 695 Anfang 1967 (Zunahme 21,1 %) auf 867 951 Anfang 1968 (Zunahme 15,5 %), die Radiohörerzahl von 1 653 679 Anfang 1966 über 1 677 302 Anfang 1967 (Zunahme 2,1 %) auf 1 725 341 Anfang 1968 (Zunahme 2,9 %) (auf Grund der Bekanntmachungen der PTT).
[9] NZZ, 4798, 10.11.67; 4812, 11.11.67; Tat, 266, 11.11.67; Bund, 300, 12.11.67; vgl. ferner Erklärung Bundesrat Gnägis im NR vom 7.6. (NZZ, 2486, 7.6.67). Die Konzession der SRG läuft bis 1974.
[10] NZZ, 5219, 4.12.67.
[11] NZZ, 5165, 1.12.67.
[12] NZ, 71, 12.2.67; NZZ, 4060, 29.9.67; vgl. auch SPJ 1966, S. 126 f. Direktempfang aus dem gleichsprachigen Ausland ist in der deutschen Schweiz für 85,3 %, in der welschen Schweiz für 70,9 % und im Tessin für 78,8 % der Fernsehzuschauer möglich (NZZ, 5165, 1.12.67). Für den Rest wurde das Prinzip der Gleichheit vor dem Bildschirm geltend gemacht.
[13] Motion Eibel (rad., ZH), vom NR als Postulat überwiesen (NZZ, 1130, 15.3.67). Vgl. auch NZZ, 2092, 12.5.67, sowie Eingabe der Bündner Regierung für Ausstrahlung eines deutschen Programms im Churer Rheintal (NZZ, 4475, 23.10.67).
[14] NZZ, 3388, 16.8.67; JdG, 190, 16.8.67; 227, 30.9./1.10.67; Bund, 317, 1.12.67. Zur Reaktion in der Westschweiz vgl. TdL, 228, 16.8.67; TdG, 194, 19.8.67; 217, 16.9.67; NZZ, 3585, 31.8.67 ; GdL, 217, 16./17.9.67 ; Bund, 262, 28.9.67.
[15] TdG, 214, 13.9.67; NZZ, 4925, 17.11.67.
[16] NZZ, 2914, 5.7.67; 4684, 3.11.67; 4703, 5.11.67; 5054, 24.11.67; 5431, 15.12.67; Tat, 260, 4.11.67; 262, 7.11.67; NZ, 533, 17.11.67. Zur Antwort des Bundesrates auf eine dringliche Kleine Anfrage Eisenring (k.-chr., ZH) vgl. NZ, 8.12.67; NZZ, 5331, 23.12.67.