Année politique Suisse 1968 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Liberale Partei
Auch bei den Liberaldemokraten machte sich die Tendenz bemerkbar, die Ansichten der Parteijugend vermehrt zur Geltung kommen zu lassen. Vorbereitet durch ein Seminar der jungen Liberalen von Basel und Genf [25], war der liberale Herbstkongress dem Thema der Totalrevision der Bundesverfassung gewidmet. Die Richtlinien, die hier für die Neuordnung unseres Staates entworfen wurden, erstaunen einesteils durch ihre Kühnheit (Ersetzung des Ständerates durch einen Rat der Regionen, Festlegung der sozialen Menschenrechte in der Verfassung). Andernteils bewegen sie sich ganz im Rahmen der liberalen Tradition (Verstärkung des Schutzes für die individuellen Freiheitsrechte, Allgemeinverbindlicherklärung von wirtschaftlichen Abkommen auf privatrechtlicher Basis, eine Wiederaufnahme der korporativistischen Tradition der dreissiger Jahre) [26]. Lehnten die Liberaldemokraten an ihrem Frühjahrskongress in Basel jede politische Aktion gegen die sog. Überfremdung entschieden ab [27], beschloss die politisch ganz anders gelagerte neu entstandene Rechtsgruppe der « Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat », eine neue Volksinitiative gegen die Überfremdung zu lancieren [28]. Dass der besondere politische Rechtstrend, der sich in solchen Unternehmungen manifestiert, gegenwärtig nicht nur in Genf (Vigilants!), sondern auch in gewissen Zentren der deutschen Schweiz einen günstigen Nährboden besitzt [29], beweist neben der Wahl zweier Parteivertreter in den Basler Grossen Rat [30] vor allem das rasche Mitgliederwachstum der neuen Rechtspartei. Die « Aktion » besitzt heute bereits 4500 zahlende Mitglieder, wovon 2900 im Kanton Zürich wohnhaft sind [31].
 
[25] BN, 238, 11.6.68.
[26] GdL, 248, 23.10.68; 252, 28.10.68; BN, 453, 28.10.68; NZZ, 665, 28.10.68; Liberal-demokratische Union der Schweiz, Mitteilungsblatt, 1968, Nr. 31.
[27] Mitteilungsblatt, 1968, Nr. 29; GdL, 47, 26.2.68; NZZ, 26.2.68.
[28] NZZ, 319, 29.5.68. Im Gegensatz zum früheren, von den Demokraten eingeleiteten Volksbegehren gegen Überfremdung enthalten die Unterschriftenbogen einen ausdrücklichen Verzicht auf eine Rückzugsklausel. Vgl. oben, S. 105.
[29] Bezeichnenderweise stehen heute in beiden Bewegungen Leute an der Spitze, die sich schon in den dreissiger und vierziger Jahren auf der damaligen Rechten befunden hatten. Präsident der Genfer Vigilants ist nunmehr Mario Soldini, 1935 engster Mitarbeiter des Faschisten G. Oltramare. Bei der «Aktion» wechselte das Präsidium von Eduard Perret zu Nationalrat James Schwarzenbach. Vgl. TdG, 182, 5.8.68; NZZ, 319, 27.5.68; SPJ, 1967, S. 23.
[30] Vgl. oben, S. 29.
[31] NZZ, 379, 24.6.68.