Année politique Suisse 1968 : Infrastruktur und Lebensraum / Energie
Energiepolitik
Die schweizerische
Energieversorgung richtet sich zunehmend auf Energieträger aus, die aus dem Ausland eingeführt werden müssen. Fast drei Viertel des Energiebedarfs werden durch Erdöl gedeckt
[1], und bald schon darf mit der Zuleitung von Erdgas gerechnet werden. Auch die Atombrennstoffe sind eine ausländische Energiequelle, doch können sie für einen längeren Zeitraum im Lande gelagert werden. Der wachsende Energiebedarf hat nun dazu Anlass gegeben, dass man gerade die Möglichkeiten der weniger importempfindlichen Atomenergieproduktion zu erweitern versucht. Da jedoch der Energieverbrauch — insbesondere der Elektrizitätskonsum — weiterhin weniger stark ansteigt als in den Jahren vor 1965, zeichnet sich die Tendenz zu einer gewissen Überproduktion ab, die den Wettbewerb unter den Produzenten verschiedenartiger Energie verstärkt und auch einen vermehrten Export schweizerischer Energie wünschbar werden lässt
[2].
Die zehn grossen Elektrizitätsproduzenten nahmen in einem neuen Bericht über den Ausbau der schweizerischen Elektrizitätsversorgung, der im Juli veröffentlicht wurde und frühere Berichte korrigierte
[3], nur noch eine jährliche Bedarfszunahme von 4,5 % an, während sie 1965 für den Zeitraum 1965-1970 mit einer Steigerung von 5,5 % und für den Zeitraum 1971-1976 mit einer solchen von 5 % pro Jahr gerechnet hatten
[4]. Die geringere Verbrauchszunahme wurde mit der Bremsung der Konjunktur und der Einwanderung sowie mit der Konkurrenzierung der Elektrizität durch das' Öl begründet. Der Bericht stellte fest, dass der geschätzte Bedarf durch die bestehenden und die sicher in Aussicht stehenden Kraftwerke bis 1975 gedeckt werden könnte, wobei in den Sommerhalbjahren erhebliche Überschüsse erzielt würden. Daraus wurde gefolgert, dass die Inbetriebnahme neuer Kraftwerke — aus politischen wie wirtschaftlichen Gründen wurden in erster Linie Atomkraftwerke in Betracht gezogen — zeitlich gestaffelt werden müsse, und es wurde auf die Zusammenarbeit unter den Elektrizitätsproduzenten sowie auf den Energieaustausch über die Grenze Gewicht gelegt. Als Beispiel der Zusammenarbeit zwischen Elektrizitätsunternehmungen sei eine Vereinbarung der an der Energie de l'Ouest-Suisse (EOS) beteiligten westschweizerischen Werke erwähnt, die ein gemeinsames Vorgehen beim Bau und Betrieb von thermischen, insbesondere atomaren Kraftwerken sowie einen Energiepreisausgleich vorsieht
[5]. Der internationale Energieaustausch wurde dadurch gefördert, dass das deutsch-französisch-schweizerische Verbundnetz durch die Inbetriebnahme von Höchstspannungsanlagen (380 000 statt 220 000 V) eine Verstärkung erfuhr
[6]; von Bedeutung für den Energieaustausch ist auch der Bau von Gemeinschaftswerken mit schweizerischer und ausländischer Beteiligung
[7].
In seinen Richtlinien für die Regierungspolitik 1968-1971 befürwortete der Bundesrat eine gleichmässigere Abstützung der Versorgung auf verschiedene Energieträger, wobei er die Verwendung von Atomenergie und Erdgas zu steigern empfahl; er kündigte einen eingehenden Bericht über die Frage der gesamten Energieversorgung an
[8]. Vor dem Nationalrat forderte Bundespräsident Spühler in diesem Zusammenhang eine enge Zusammenarbeit zwischen Elektrizitäts- und Gaswirtschaft
[9]. Der Direktor des Eidg. Amtes für Energiewirtschaft, H. R. Siegrist, hob namentlich die bereits von Ständerat Choisy (lib., GE) angeregte Verwertung des Wärmeüberschusses von Atomreaktoren für die Heizung städtischer Agglomerationen hervor; eine solche hätte freilich stadtnahe Standorte der Atomkraftwerke zur Voraussetzung. Zur Senkung der Gestehungskosten der Atomenergie legte Direktor Siegrist den Bau möglichst grosser Kraftwerke nahe. Auch von der Erdgaszufuhr erwartete er eine das Heizöl konkurrenzierende Wirkung, jedoch erst in einem Stadium, da die Schweiz von verschiedenen Ausbeutungsstätten her bedient werden und von einem freien Marktpreis Nutzen ziehen könnte
[10].
[1] 1968 entfielen 74,8 % des gesamten Energieverbrauchs auf flüssige Brenn- und Treibstoffe (Mitteilung des Eidg. Amtes für Energiewirtschaft). Vgl. SPJ, 1967, S. 77.
[2] Vgl. zum Wettbewerb NZZ, 229, 12.4.68; 541, 3.9.68; 750, 4.12.68; Lb, 108, 9.5.68.
[3] Ausbau der schweizerischen Elektrizitätsversorgung », in Bulletin des Schweizerischen Elektrotechnischen Vereins, 59/1968, S. 699 ff. Die zehn Werke sind: ATEL (Aare-Tessin AG für Elektrizität), BKW (Bernische Kraftwerke), CKW (Centralschweizerische Kraftwerke), Elektrizitäts-Gesellschaft Laufenburg, EOS (Energie de l'Ouest-Suisse), NOK (Nordostschweizerische Kraftwerke), die Städtewerke Basel, Bern und Zürich und die SBB.
[4] Die Verbrauchszunahme im hydrographischen Jahr 1967/68 (1.10.-30.9.) betrug gegenüber dem Vorjahr 3,8 % (1966/67: 3,9 %, 1965/66: 2,4 %) (Bulletin des Schweizerischen Elektrotechnischen Vereins, 59/1968, S. 1163 f.). Vgl. auch SPJ, 1967, S. 77.
[6] NZZ, 149, 7.3.68; 301, 16.5.68; GdL, 113, 15.5.68; Bund, 123, 28.5.68.
[7] Am Speicherwerk Emosson und am Projekt für ein Atomkraftwerk Kaiseraugst ist die Electricité de France beteiligt. Vgl. den Geschäftsbericht von Motor Columbus AG (BN, 428, 11.10.68; NZZ, 639, 16.10.68). Die mit Motor Columbus verbundene ATEL schloss ferner mit der italienischen staatlichen Elektrizitätsunternehmung ENEL einen langjährigen Energielieferungsvertrag ab (NZZ, 367, 18.6.68).
[8] BBI, 1968, I, S. 1234.
[9] Sten. Bull. NR, 1968, S. 238.
[10] NZZ, 480, 7.8.68. Vgl. SPJ, 1967, S. 77.
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