Année politique Suisse 1968 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
Strassenbau
Die grössten Investitionen im Bereich des Verkehrswesens erfordert weiterhin der Strassenbau. Im Zusammenhang mit den Fragen der Gesamtverkehrskonzeption stiess deshalb die Veröffentlichung einer allgemeinen Strassenrechnung, mit deren Führung das Eidg. Statistische Amt 1960 beauftragt worden war, auf grosses Interesse
[11]. Die Rechnung, deren Methoden der Bundesrat genehmigt hatte, ermittelte vor allem den Grad der Eigenwirtschaftlichkeit der Strasse als Verkehrsträger, indem sie die Leistungen der motorisierten Strassenbenützer (Fahrzeugsteuern sowie Treibstoff- und Fahrzeugzölle unter Abzug eines den übrigen Warenzöllen entsprechenden Fiskalzollbetrages) den Aufwendungen für Bau, Unterhalt und Verwaltung der Strassen (ohne Kosten aus Lärmbekämpfung und Unfällen sowie unter Abzug eines Anteils der nichtmotorisierten Benützer) gegenüberstellte, wobei die Aufwendungen abschreibungsweise auf 33/8 Jahre verteilt und für Leistungs- bzw. Aufwandüberschüsse Zinsen kalkuliert wurden. Das Ergebnis war ein Eigenwirtschaftlichkeitsgrad von über 100 % seit 1954 (1961: 149,5 %, 1965: 129,1 %). Daneben wurde aber auch der Deckungsgrad in einer reinen Ausgabenrechnung (ohne Berücksichtigung des Kapitalwertes der Investitionen) ausgewiesen, der sich fast ständig unter 100 % gehalten hatte (1965: 56,7 %), und endlich eine finanzpolitische Rechnung aufgestellt, in der nur die nach Gesetz für Strassenzwecke bestimmten Belastungen als Leistungen der Strassenbenützer gewertet waren (Eigenwirtschaftlichkeitsgrad 1965: 93,2 %, Deckungsgrad 1965: 44 %).
Strassenverkehrsverbände und einzelne Pressestimmen begrüssten diese Ergebnisse als Beweis dafür, dass der Motorfahrzeugverkehr nicht etwa begünstigt, sondern im Gegenteil fiskalisch überlastet sei
[12]. Von anderer Seite wurden allerlei Vorbehalte angebracht. Direktor A. Martin gab zu bedenken, dass die Strassenrechnung zu einem Teil auf Ermessensannahmen beruhe, verwies auf die Kosten aus Unfällen und Lärmbekämpfung und machte die aus der Publikation noch nicht ersichtliche ungleiche Abnützung der Strassen durch die verschiedenen Fahrzeugkategorien geltend
[13]. Sowohl aus Unternehmer- wie aus Linkskreisen wurde die Verteilung der Investitionen auf eine Zeitspanne von mehr als 30 Jahren als problematisch bezeichnet
[14]. Es fehlte auch nicht der Einwand, die Kapitalrechnung sei zu theoretisch und biete keine genügende Grundlage für die Lösung der Verkehrsprobleme
[15] Noch vor Jahresende wurden amtliche Studien für eine Differenzierung der Ergebnisse nach verschiedenen Fahrzeugkategorien an die Hand genommen
[16].
Das wachsende System der
Nationalstrassen stellte namentlich finanzielle Probleme. Der Bundesvorschuss stieg von 1907 Mio Fr. zu Beginn des Jahres auf 2061 Mio Fr. am Jahresende
[17]. Der Bundesrat entschloss sich bereits im Frühjahr, die ihm zustehenden Befugnisse zur Heraufsetzung der Treibstoffzölle restlos auszuschöpfen; der Stand der Treibstoffpreise in Deutschland und andern Nachbarländern liess nicht befürchten, dass eine neue Zollerhöhung zu einem Rückgang der Treibstoffkäufe in der Schweiz führen werde. So wurde einerseits die völlige Gleichstellung des Grundzolls auf Dieselöl mit demjenigen auf Benzin angeordnet und anderseits dem zweckgebundenen Zuschlag auf den Treibstoffzöllen noch der gesetzlich vorgesehene 15. Rappen pro Liter hinzugefügt
[18]. Für die Forderung nach Strassentunnelgebühren wurden neue Argumente vorgetragen: im Februar machten die Kantone Freiburg, Waadt und Wallis in einer Eingabe geltend, dass die Westschweiz, die ihren Tunnel durch den Grossen St. Bernhard ohne Bundeshilfe gebaut und deshalb einer Gebührenpflicht unterstellt hatte, durch die Eröffnung taxfreier Alpentunnels benachteiligt werde; falls Bernhardin und Gotthard gebührenfrei bleiben sollten, müsste der Grosse-St.-Bernhard-Tunnel Bundessubventionen erhalten
[19]. Der Vorstoss erntete im Tessin entschiedene Kritik und veranlasste einen Gegenschritt der Tessiner Regierung beim Bundesrat
[20].
Der Bundesrat liess in seinen Richtlinien die Gebührenfrage, die sich wegen der Begehren um Bundesbeiträge an Unterhalt und Betrieb der Nationalstrassen verschärfte, noch offen und verwies auf die Studien der vom EFZD eingesetzten Kommission für die Nationalstrassenfinanzierung
[21]. Diese gab schon vor Fertigstellung ihres Berichts Ende Oktober die Empfehlung aus, es sei auf jede Art von Nationalstrassengebühren zu verzichten. Sie knüpfte diese Stellungnahme freilich an gewisse Voraussetzungen: keine wesentliche Erweiterung des Nationalstrassennetzes, keine namhafte Baukostensteigerung, gleichmässige Zunahme des Motorfahrzeugbestandes und des Treibstoffverbrauches, keine übermässige Belastung des Bundes mit Unterhalts- und Betriebskosten
[22]. Dass diese Voraussetzungen realistisch seien, wurde weitherum bezweifelt
[23]. Gerade in bezug auf die Betriebs- und Unterhaltskosten, die von der Bundesverfassung (Art. 36 Dis, Abs. 5) im Normalfall den Kantonen zugewiesen werden, verstärkte sich der Druck auf die Bundeskasse; ihre teilweise Übernahme durch den Bund wurde sowohl von Strassenbenützerverbänden wie von den kantonalen Baudirektoren, die im Frühjahr ein Koordinationsorgan gründeten, verlangt
[24]. Die Begehren kamen in mehreren parlamentarischen Vorstössen zum Ausdruck, die der Nationalrat im Dezember überwies. Bundesrat Tschudi sagte auf Neujahr 1969 Bundesbeiträge für den Betrieb der Nationalstrassentunnels auf Grund der geltenden Gesetzgebung zu, zeigte sich aber einer Subventionierung der Unterhalts- und Betriebsaufwendungen finanzstarker Kantone abgeneigt
[25].
Im Laufe des Jahres wurde die Gesamtlänge der befahrbaren Nationalstrassenstrecken von 469 auf 508 km gebracht; dazu waren Ende 1968 257 km im Bau (Ende 1967: 251 km)
[26]. Im Mai genehmigte der Bundesrat ein generelles Projekt für den Gotthard-Tunnel mit zwei konkurrierenden Varianten, für welche parallele Ausschreibungen erfolgten
[27]. Die bernische Regierung ersuchte im Herbst das EDI, eine Transjuraverbindung Oensingen-Boncourt ins Nationalstrassennetz aufzunehmen, und der Nationalrat überwies entsprechende Vorstösse. Bundesrat Tschudi zeigte sich jedoch nicht gewillt, mehr als eine Subventionierung kantonaler Hauptstrassen durch den Jura zu unterstützen; er berief sich darauf, dass das Eidg. Amt für Strassen- und Flussbau als Ergänzung des Nationalstrassennetzes einzig die Westumfahrung von Zürich in Betracht ziehe. Immerhin stellte er eine Aufwertung des Hauptstrassennetzes in Aussicht, durch welche wichtige Verbindungen wie Nationalstrassen ausgebaut werden könnten
[28].
[11] Eidg. Statistisches Amt, Schweizerische Strassenrechnung, Die Strassenkosten und ihre Deckung 1959-1965, Bern 1968 (Statistische Quellenwerke der Schweiz, H. 424).
[12] NZZ, 329, 30.5.68 (Treuhandverband des Autotransportgewerbes); 347, 10.6.68 (Touring-Club); Lb, 237, 9.10.68 (Schweiz. Transportgewerbeverband); ferner Tat, 103, 3.5.68; NZ, 201, 3.5.68. Vorbehalte gegenüber dem Schwerverkehr äusserte der Automobil-Club der Schweiz (NZZ, 744, 2.12.68).
[14] wf, Dokumentations- und Pressedienst, 29/30, 15.7.68; Tw, 146, 25.6.68.
[15] BN, 196, 11./12.5.68; Jahresbericht der Litra, 1967/68, S. 36 f.
[16] NZ, 525, 12.11.68. Die Publikation des Eidg. Statistischen Amtes hatte solche angekündigt (Schweizerische Strassenrechnung, S. 16).
[17] Mitteilung der Eidg. Finanzverwaltung.
[18] AS, 1968, S. 414 ff. Über die erforderlichen Voraussetzungen für eine Erhöhung des für den Nationalstrassenbau bestimmten Zollzuschlags vgl. SPJ, 1965, in SJPW, 6/1966, S. 180; diese Voraussetzung war schon vor Ende 1967 erfüllt (NZZ, 206, 1.4.68). Zugleich erhöhte sich der à-fonds-perdu-Beitrag des Bundes an den Nationalstrassenbau von 70 auf 80 Mio Fr. pro Jahr (AS W,1968, S. 60). Vgl. auch SPJ, 1967, S. 85.
[20] NZZ, 137, 1.3.68; 156, 11.3.68; 565, 13.9.68.
[21] BBI, 1968, I, S. 1243. Vgl. dazu SPJ, 1967, S. 85.
[22] NZZ, 670, 30.10.68. Die Kommission lehnte auch eine Belastung des grenzüberschreitenden Schwerverkehrs ab. Über Zusammensetzung und Arbeit der Kommission vgl. Jahresbericht der Litra, 1967/68, S. 99 ff.
[23] Vgl. die Kritik in BN, 457, 30.10.68; 485, 16./17.11.68; Ostschw., 252, 30.10.68; Bund, 255, 30.10.68; 266, 12.11.68; NZ, 505, 31.10.68, Tw, 258, 2./3.11.68; JdG, 258, 4.11.68; wf, Dokumentations- und Pressedienst, 45, 4.11.68; Lb, 267, 13.11.68.
[24] NZZ, 30, 15.1.68 (Schweiz. Autostrassen-Verein); Bund, 25, 31.1.68 (Direktor des Automobil-Clubs der Schweiz); NZZ, 347,10.6.68 (Touring-Club); 649, 21.10.68 (Baudirektoren-Konferenz); 752, 4.12.68 (Schweiz. Strassenverkehrsverband). Zur Gründung und Stellungnahme des Koordinationsorgans (Nationale Konferenz für Strassenverkehrsfragen) vgl. NZZ, 216, 5.4.68; 722, 21.11.68.
[25] Motionen Baumann (BGB, AG) und Eisenring (k.-chr., ZH) sowie Postulat Albrecht (k.-chr.,NW), am 18.12. als Postulate überwiesen (Sten. Bull. NR, 1968, S. 671 ff.).
[26] NZZ, 129, 27.2.69; vgl. auch SPJ, 1967, S. 84.
[27] NZZ, 298, 15.5.68; 679, 3.11.68.
[28] Vgl. Motion Kohler (rad., BE) und Postulat Wenger (rad., BE), im NR am 12.12. behandelt (NZZ, 772, 13.12.68), ferner Bund, 252, 27.10.68 (Gesuch der bernischen Regierung); NZ, 127, 17.3.68 (Interview mit NR Wenger).
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