Année politique Suisse 1968 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
 
Eisenbahn
Im Eisenbahnwesen verschärfte die zunehmende Verlagerung des Verkehrs von der Schiene auf die Strasse die finanzielle Problematik. Das Jahresergebnis der SBB für 1967 zeitigte im Personenverkehr eine weitere Frequenzabnahme und trotz den Anfang 1967 in Kraft getretenen höheren Tarifen erstmals auch einen Ertragsrückgang; die Gesamtrechnung wies nur einen minimen Reingewinn aus. Angesichts der zu erwartenden Mehrbelastung durch die Reallohnerhöhungen für das Bundespersonal bezeichnete der Bundesrat eine weitere Tariferhöhung als unumgänglich [36]. Nachdem der Bundesratsbeschluss über die Bildung der Eisenbahntarife auch vom Nationalrat genehmigt worden war [37], konnte das EVED in eigener Kompetenz neue Ansätze verfügen. Es tat dies auf den 1. November auf Grund von Beratungen der Kommerziellen Konferenz, in welcher die Verkehrsunternehmungen und die Verkehrsinteressenten vertreten sind; obwohl Gewerkschafts- und Konsumentenkreise wie auch die Tessiner Regierung Einwendungen erhoben hatten, wurden die Personentarife durchschnittlich um 11 %, die Gütertarife für Wagenladungen um 6-7 % erhöht. Die Tarifrevision, die auch die Abonnemente für den Berufsverkehr verteuerte, enthielt immerhin kleine sozialpolitische Konzessionen, so die versuchsweise Gewährung von verbilligten Halbtaxabonnementen für AHV-Rentner [38].
Mit dieser Tariferhöhung, die auch nach Ansicht des Bundesrates die SBB den Grenzen ihrer Wettbewerbsfähigkeit nahe brachte, war freilich noch keine finanzielle Stabilisierung zu erreichen. Der Verwaltungsrat der SBB beanspruchte deshalb eine volle Abgeltung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen über die 1961 gewährte Erhöhung des Dotationskapitals hinaus. Der Bundesrat stellte eine entsprechende Vorlage in Aussicht, die sich auf im Gang befindliche Studien der Bahnen über ihre unternehmungsfremden Lasten stützen würde [39]. Das Budget der SBB für 1969 rechnete mit einem neuen Reinverlust von 15,3 Mio Fr. [40].
Zur Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Bahnen wird auch eine Steigerung und Rationalisierung des Leistungsangebots angestrebt. Dieses soll durch den Bau neuer Verbindungslinien verstärkt, unwirtschaftliche Dienstleistungen sollen abgebaut werden. Von besonderer Bedeutung ist die Frage des Neubaus oder Ausbaus von Alpentransitlinien, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn gegenüber dem durch neue Investitionen geförderten Strassenverkehr zu erhöhen vermöchten, doch zögerten sich die Entscheide auf diesem Gebiet weiter hinaus. Die 1963 eingesetzte Expertenkommission « Eisenbahntunnel durch die Alpen » gelangte mit ihren Arbeiten noch nicht zum Abschluss [41]. Dafür sprach sich eine Vertretung der Generaldirektion der SBB anlässlich eines Gütertransportjubiläums entschieden für den Bau eines Gotthard-Basistunnels aus und erklärte, dass ein solcher billiger und wirtschaftlicher wäre als ein Ostalpendurchstich [42]. Diese Stellungnahme erregte in der Ostschweiz scharfen Widerspruch, namentlich bei den Anhängern der Splügen-Variante, zu deren Unterstützung sich im April Exponenten aus fünf Staaten zu einem internationalen Komitee konstituiert hatten [43]. Der Bundesrat sah sich veranlasst, die Erklärung der SBB als unverbindlich zu bezeichnen [44]. Auch das Schicksal der BLS (Berner Alpenbahn-Gesellschaft Bern-Lötschberg-Simplon) blieb in der Schwebe; die Gruppe von Aktionären, die den Kaufvertrag angefochten hatte, wurde mit ihrer Klage zwar vom bernischen Obergericht abgewiesen, appellierte jedoch ans Bundesgericht [45].
Um einige regionale Änderungen im Eisenbahnnetz, die der Leistungssteigerung oder der Rationalisierung dienen sollen, kam es zu Auseinandersetzungen mit der ansässigen Bevölkerung. So wurde der Beschluss des EVED, eine Entlastungsstrecke Olten-Rothrist dem linken Aareufer entlang zu führen, aus Gründen des Landschaftsschutzes bekämpft und von der solothurnischen Regierung in einer Beschwerde beim Bundesrat angefochten [46]. Der gleichfalls beschlossene Bau einer kürzeren Verbindung Zürich-Aarau mit einem Tunnel durch den Heitersberg zwischen,Limmat- und Reusstal erregte Befürchtungen für die Verkehrsverhältnisse der bisher gut bedienten Zentren Baden und Brugg [47]. Auch ein Vorschlag, die nicht mehr genügenden Anlagen der Seetallinie (Wildegg-Luzern) nur noch für den Gütertransport zu benützen, stiess in der betroffenen Gegend auf Opposition [48].
 
[36] BBl, 1968, I, S. 1192 ff. Genehmigung im StR am 5.6. (NZZ, 339, 5.6.68), im NR am 26.6. (NZZ, 389, 27.6.68). Zur Reallohnerhöhung für das Bundespersonal s. unten, S. 106 ff.
[37] AS, 1968, S. 403 f.; NZZ, 145, 5.3.68. Vgl. dazu SPJ, 1967, S. 89 f.
[38] NZZ, 492, 12.8.68; Bund, 188, 13.8.68. Vgl. Kritik in Dov., 74, 29.3.68; NZZ, 360, 14.6.68 (Schweiz. Gewerkschaftsbund); 376, 21.6.68 (Schweiz. Konsumentenbund); 382, 25.6.68 (Memorandum des Tessiner Staatsrats); ferner in Tat, 189, 13.8.68, u. Lb, 189, 14.8.68. Es wurde auch die Einführung voller Tariffreiheit für die Bahnen empfohlen (A. Meyer in Bund, 213, 11.9.68; 214, 12.9.68). Die AHV-Rentner-Abonnemente wurden gut verkauft und trugen dazu bei, den Frequenzrückgang im Personenverkehr aufzufangen (Die Volkswirtschaft, 42/1969, S. 50).
[39] BBl, 1968, I, S. 1200 f.; II, S. 778; NZZ, 324, 29.5.68. Vgl. auch Join. FAURE, « L'avenir économique des CFF », in Schweizerisches Archiv für Verkehrswissenschaft und Verkehrspolitik, 23/1968, S. 87 ff.
[40] BBI, 1968, II, S. 772 ff. Genehmigung im StR am 9.12. (NZZ, 764, 10.12.68), im NR am 11.12. (NZZ, 768, 11.12.68).
[41] Vgl. SPJ, 1967, S. 89. Über den Stand der Arbeiten vgl. Jahresbericht der Litra, 1967/68, S. 73 f.
[42] NZZ, 363, 17.6.68. Vgl. ähnliche Äusserung eines SBB-Generaldirektors in Ostschw., 122, 25.5.68.
[43] Ostschw., 147, 27.6.68; NBüZ, 178, 4.7.68; 181, 6.7.68. Zur Gründung des internationalen Komitees vgl. NZ, 164, 8.4.68; NBüZ, 93, 9.4.68.
[44] Antwort auf Kleine Anfrage von NR Grass (rad., GR) (NZZ, 576, 18.9.68; NBüZ, 244, 17.9.68).
[45] Tat, 60, 12.3.68; 61, 13.3.68; Bund, 60, 12.3.68; NZZ, 447, 23.7.68; Tw, 173, 26.7.68; Jahresbericht der Litra, 1967/68, S. 82 ff. Das Bundesgericht hat die Klage am 18.2.1969 abgewiesen (NZZ, 113, 20.2.69).
[46] NZZ, 277, 7.5.68; 313, 23.5.68; 447, 23.7.68; NZ, 211, 9.5.68.
[47] Vgl. Postulat Binder (k.-chr., AG) überwiesen am 18.12. (NZZ, 784, 18.12.68), ferner Tat, 290, 10.12.68; NZZ, 530, 28.8.68; 565, 13.9.68; 701, 12.11.68.
[48] Vat., 275, 25.11.68; 290, 12.12.68.