Année politique Suisse 1968 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
 
Raumplanung und Bodenrecht
Die Schaffung einer eidgenössischen Verfassungsgrundlage für Bodenrecht und Landesplanung, die der Bundesrat gleich nach der Verwerfung der sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Volksinitiative im Sommer 1967 eingeleitet hatte [1], erwies sich als eine höchst schwierige politische Aufgabe, mit der die eidgenössischen Räte vor Jahresende nicht fertig wurden. Die Landesregierung versäumte es nicht, in ihren Richtlinien die grosse Bedeutung und die Dringlichkeit des Problems hervorzuheben; Bundespräsident Spühler stellte es in seinen Erläuterungen vor dem Parlament sogar an die Spitze der Prioritäten und versprach eine so rasche Vorbereitung der Ausführungsgesetzgebung, dass mit deren Beratung unmittelbar nach einer Annahme der neuen Verfassungsbestimmungen durch Volk und Stände begonnen werden könne [2].
Der Bundesrat hatte in seiner Botschaft zwei getrennte Verfassungsartikel vorgeschlagen. Art. 22ter enthielt eine Eigentumsgarantie, die Befugnis des Bundes und der Kantone zur gesetzlichen Eigentumsbeschränkung oder Enteignung im öffentlichen Interesse sowie den Grundsatz der vollen Entschädigung von Enteignungen und diesen gleichkommenden Eigentumsbeschränkungen (materielle Enteignung); ein Art. 22quater ermächtigte den Bund einerseits, auf dem Gesetzgebungswege Grundsätze über die Erschliessung und Besiedlung des Landes sowie über die Nutzung des Bodens, insbesondere über die Schaffung von kantonalen Zonenordnungen, aufzustellen, und gab ihm anderseits den Auftrag, die entsprechenden Bestrebungen der Kantone zu fördern und zu koordinieren [3].
Keine Schwierigkeiten bot die Verabschiedung des Art. 22ter. Nachdem der Ständerat im Dezember 1967 der Fassung des Bundesrates zugestimmt hatte, tat der Nationalrat im März dasselbe, wobei er Vorstösse der Linken für eine Relativierung der Eigentumsgarantie durch das « Volkswohl » sowie für die Gewährung einer bloss angemessenen Entschädigung bei materiellen Enteignungen zurückwies. Auch ein Antrag Brunner (rad., ZG), man möge auf die Formulierung der bisher ungeschriebenen Eigentumsgarantie verzichten, wenn man nicht die ganze Komplexität der modernen Eigentumsverhältnisse berücksichtigen wolle, unterlag [4].
Dagegen ergab sich beim Art. 22quater eine grundsätzliche Differenz zwischen National- und Ständeratsmehrheit, an der die verfassungsrechtliche Verankerung einer Landesplanungskompetenz des Bundes zu scheitern drohte. Der Ständerat hatte zwar diese Kompetenz gegenüber dem Vorschlag des Bundesrates etwas modifiziert; sie umfasste jedoch noch die Aufstellung allgemeiner gesetzlicher Vorschriften über die Besiedlung des Landes und die Nutzung des Bodens sowie die Aufsicht über die Anwendung dieser Vorschriften durch die Kantone, wozu die Aufgabe einer Förderung und Koordination der kantonalen Tätigkeit kam [5]. Der Nationalrat beschränkte nun im März die Befugnis des Bundes zur Aufstellung allgemeiner Vorschriften auf eine Zonenordnung, die der Erschliessung und Besiedlung des Landes und der zweckmässigen Nutzung des Bodens dienen sollte; die Aufsichts-, Förderungs- und Koordinationskompetenz wurde beibehalten. Anträge von sozialdemokratischer Seite, die auf Rückkehr zur Bundesratsfassung bzw. auf Zustimmung zum Ständerat lauteten, erhielten kaum mehr als 50 Stimmen [6]. Die dadurch markierten Fronten: verbindliche Bundesvorschriften nur für eine Zonenordnung oder aber Bundesvorschriften über eine solche hinaus, mindestens für alle Besiedlungsfragen, blieben in der Sommer- und Herbstsession im wesentlichen unverändert, auch wenn beide Räte mit untergeordneten Konzessionen dem Partner das Nachgeben zu erleichtern versuchten [7]. Eigenartig war die Verkehrung der Fronten, die darin bestand, dass der Nationalrat die föderalistischere, der Ständerat dagegen die zentralistischere Lösung vertrat, der sich im Sommer auch der Bundesrat anschloss [8]. Diese Haltung des Ständerates wurde von verschiedener Seite mit dem Einfluss des freisinnigen Landesplanungsexponenten Rohner (SG) in Zusammenhang gebracht [9]; die Differenz betraf zudem nicht bloss das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen, sondern ebensosehr dasjenige zwischen Staatsintervention und Wirtschaftsfreiheit.
Die umfassendere Bundeskompetenz wurde namentlich damit begründet, dass es nicht genüge, das Land in Nutzungszonen aufzuteilen, sondern dass auch die Besiedlung bundesgesetzlich gesteuert werden müsse, namentlich zur Vermeidung übergrosser Konzentrationen sowie der Entvölkerung ganzer Gebiete [10]. Demgegenüber wurde geltend gemacht, dass der Begriff Besiedlung zu unbestimmt sei und dass die vom Ständerat vorgesehenen Vorschriften fast jeden bodenrechtlichen Eingriff zu decken vermöchten, wodurch die Niederlassungs-, Handels- und Gewerbefreiheit schwer gefährdet würde [11]. Dieser Berufung auf die Freiheitsrechte hielten jedoch die Befürworter vermehrter Planung entgegen, dass bei weiterer Bevölkerungszunahme Freiheit nur noch im Rahmen einer Raumordnung Bestand haben könne [12]. Die Version des Nationalrates wurde aber auch mit dem Argument verteidigt, dass Zonenordnungsvorschriften in Verbindung mit einer Förderungs- und Koordinationskompetenz zur Lösung der nächsten Landesplanungsaufgaben ausreichen und die Volksabstimmung leichter passieren würden [13]. Vertreter der Unternehmerschaft, der Banken, des Gewerbes und der Hauseigentümer drohten mehr oder weniger offen mit der Bekämpfung einer Vorlage, die über die Nationalratsfassung hinausginge; die Landwirtschaft liess keine eindeutige Haltung erkennen [14].
Als die vorberatende Ständeratskommission im November mit einer weiteren Nuancierung der von ihr verfolgten Linie kein ermutigendes Echo fand, wurde zu Beginn der Wintersession in Gesprächen zwischen Exponenten beider Räte eine neue Formel konzipiert, die nun Aussicht auf Erfolg zu bieten schien. Als Gegenstand der Normgebungskompetenz des Bundes wurde der noch weniger abgenützte Begriff « Raumplanung » gewählt, die Vorschriften zu Grundsätzen gemildert, dafür aber — einem wiederholt aufgetretenen Postulat entsprechend — dem Bund nicht nur eine Befugnis, sondern ein Auftrag erteilt. Von einer Zonenordnungskompetenz und von Bundesaufsicht war nicht mehr ausdrücklich die Rede; Bundesrat von Moos erklärte jedoch im Ständerat unwidersprochen, dass er annehme, beides sei in der vorgeschlagenen Formulierung inbegriffen. Der Rat stimmte dem neuen Antrag zu [15]. Dies verursachte in Linkskreisen einige Enttäuschung, bei den Gegnern der früheren Ständeratsfassung jedoch Genugtuung. Der Chef des EJPD äusserte die Vermutung, die neue Formel werde nicht von allen Befürwortern gleich verstanden. Von Unternehmerseite wurde denn auch betont, dass der eigentliche Entscheid nun auf der Gesetzgebungsebene fallen werde [16]. Neben einem Planungsgesetz, das die Planungsziele festlegen und Regeln für Zonenordnung und interkantonale Koordination aufstellen sollte, sah Bundesrat Tschudi in einer Rede zum 25jährigen Jubiläum der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung auch die Konzipierung eines Leitbildes für die Besiedlung des Landes, das der Planung als Wegleitung zu dienen hätte, vor [17]. Bereits arbeiten verschiedene Institute, Gruppen und Büros, insbesondere das Institut für Orts-, Regional- und Landesplanung an der ETH in Zürich, an der Aufstellung von landesplanerischen Leitbildern und Richtlinien, wobei ihnen Mittel aus der Wohnbauförderungsaktion des Bundes zur Verfügung stehen [18].
Aus der Tätigkeit der Kantone ist vor allem die parlamentarische Beratung moderner Bau- und Planungsgesetze im Aargau und im Tessin zu erwähnen; in beiden Fällen kam es jedoch vor Jahresende noch nicht zur Inkraftsetzung. Baselland und Schwyz brachten neue Baugesetze zur Volksabstimmung; das schwyzerische wurde knapp verworfen [19].
 
[1] Vgl. SPJ, 1967, S. 97 f.
[2] BBI, 1968, I, S. 1220 u. 1247, Sten. Bull. NR, 1968, S. 238; Sten. Bull. StR, 1968, S. 164.
[3] BBI, 1967, II, S. 148.
[4] Vgl. Debatte vom 6.3.1968 (Sten. Bull. NR, 1968, S. 2 ff.). Eine redaktionelle Differenz wurde in der Junisession behoben (Sten. Bull. StR, 1968, S. 85).
[5] Sten. Bull. StR, 1967, S. 396 u. 405. Vgl. SPJ, 1967. S. 97 f.
[6] Vgl. Debatte vom 6.3.1968 (Sten. Bull. NR, 1968, S. 2 ff.).
[7] Vgl. Debatten des StR vom 12.6. (Sten. Bull. StR, 1968, S. 83 ff.) und des NR vom 25.9. (Sten. Bull. NR, 1968, S. 518 ff.). Der StR beschränkte die Bundesvorschriften über die Bodennutzung (nicht aber über die Besiedlung) auf eine Zonenordnung; der NR fügte der Zonenordnungskompetenz namentlich noch eine Befugnis zum Erlass unverbindlicher Richtlinien für die Erschliessung und Besiedlung des Landes hinzu. Im StR betrug das entscheidende Stimmenverhältnis 25: 13, im NR 74: 67. Die Tat stellte Abwesenheit sozialdemokratischer und kommunistischer Nationalräte der welschen Schweiz fest (228, 28.9.68).
[8] Vgl. Erklärung von Bundesrat von Moos im StR (Sten. Bull. StR, 1968, S. 96).
[9] NZZ, 583, 22.9.68; Vr, 238, 10.10.68. StR Rohner ist Präsident der Schweiz. Vereinigung für Landesplanung.
[10] Vgl. insbes. die Voten von Hürlimann (k.-chr., ZG) und Muheim (soz., LU) im NR (Sten. Bull. NR, 1968, S. 523 ff., 535 ff.), W. Neukomm (Vizedirektor des Schweiz. Bauernverbandes) in Lb, 274, 21. 11.68, ferner ROLAND BOSSHART, Notwendigkeit und Möglichkeit einer Raumordnung in der Schweiz, Diss. St. Gallen, Winterthur 1968, S. 244 ff.
[11] Hugo SIEBER, Bodenrecht und Landesplanung, Sep. aus Protokoll der ordentlichen Delegiertenversammlung des Schweiz. Handels- und Industrievereins vom 14.9.1968, S. 8; wf, Dokumentations- und Pressedienst, 41, 7.10.68.
[12] So Hürlimann (k.-chr., ZG) im NR (Sten. Bull. NR, 1968, S. 526); vgl. auch.Warnung vor Bodenfeudalismus in Bund, 239, 11.10.68.
[13] Vgl. Bärlocher (k.-chr., SG) im NR (Sten. Bull. NR, 1968, S. 533 ff.); BN, 387, 14./15. 9. 68; NZZ, 583, 22.9.68.
[14] Vgl. GdL, 127, 1./2.6.68 (Bankiervereinigung); Raissig (Zentralsekretär des Schweiz. Hauseigentümerverbandes) im NR (Sten. Bull. NR, 1968, S. 527 ff.); Schweizerische Gewerbe-Zeitung, 40, 4.10.68; wf, Dokumentations- und Pressedienst, 41, 7.10.68. Zur Haltung der Landwirtschaft vgl. Agrarpolitische Revue, 24/1968, S. 32 f., 145 f., 404 f.; Sten. Bull. NR, 1968, S. 10 f.
[15] Vgl. Sten. Bull. StR, 1968, S. 290 ff.; ferner Tages-Anzeiger, 292, 11.12.68. Zum Vorschlag der StR-Kommission vom November vgl. NZZ, 731, 26.11.68;737, 28.11.68 (Wirtschaftsförderung); 742, 29.11.68; Schweizerische Gewerbe-Zeitung, 48, 29.11.68. Am 5.3.1969 schloss sich der NR materiell der StR-Fassung an (NZZ, 142, 5.3.69).
[16] Enttäuschung in Tw, 291,11.12.68; NZ, 581,15.12.68; Genugtuung in wf, Dokumentationsund Pressedienst, 51,.16.12.68; Schweizerische Gewerbe-Zeitung, 51, 20.12.68. Vgl. Votum von Bundesrat von Moos im StR (Sten. Bull. StR, 1968, S. 294).
[17] NZZ, 567, 13.9.68.
[18] NZ, 87, 21.2.68; NZZ, 123, 25.2.68; 442, 21.7.68; 755, 5.12.68; BN, 423, 8.10.68. Vgl. auch Hs. AREGGER, Darstellung einer schweizerischen Nationalplanung (im Auftrag der Schweiz. Vereinigung für Landesplanung), 1968 (vervielf.). Auf den gesamtpolitischen Aspekt der Raumordnung verwies insbes. F. Berger, Delegierter für Wohnungsbau, in NZZ, 800, 29.12.68. Über die vom Bundesrat veranlassten Entwicklungsstudien vgl. oben, S. 50.
[19] S. unten, S. 142 f.