Année politique Suisse 1968 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung
 
Forschung
Bei der Entwicklung einer nationalen Forschungspolitik rückte die Frage der Förderung der angewandten Forschung, die bisher weit überwiegend von der Privatwirtschaft getragen wurde, in den Vordergrund. In parlamentarischen Vorstössen wurde der Bundesrat ersucht, im Landesinteresse liegende Forschungsziele aufzustellen, nach denen sich die Subventionspraxis auszurichten hätte, und auf vermehrte Zusammenarbeit von Staat und Privatwirtschaft zur Finanzierung der angewandten Forschung hinzuwirken [47]. Bundesrat Tschudi sprach sich in seiner Antwort vor allem für eine Förderung angewandter Forschung im Bereich von lebenswichtigen Landesanliegen wie Volksgesundheit, Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, Landesplanung, Wohnungsbau und Steigerung der Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft aus, ebenso für eine Koordination und Konzentration der Kräfte, wobei er eine Intensivierung des staatlichen Einsatzes für Unumgänglich erklärte. Er stellte einen umfassenden Bericht über den Stand der Forschung in der Schweiz in Aussicht, betonte aber, dass der Wissenschaftsrat eine Gesamtkonzeption für die Förderung der angewandten Forschung nicht vor der Stellungnahme der massgebenden Wirtschaftsverbände ausarbeiten wolle [48]. Eine solche Stellungnahme wurde dadurch erschwert, dass in der Industrie die Wünschbarkeit einer Subventionierung der angewandten Forschung, die nicht ohne Einfluss auf die Wettbewerbsverhältnisse bleiben kann, umstritten war [49]; insbesondere lehnte die chemische und pharmazeutische Industrie ihre Mitwirkung an einem von Bund und Wirtschaft gemeinsam zu finanzierenden Forschungsfonds für die Geiundheit ab. Der Wissenschaftsrat vereinbarte deshalb mit der vom Delegierten für Konjunkturfragen, Prof. H. Allemann, präsidierten, aus Vertretern des Bundes, der Privatwirtschaft und der Wissenschaft zusammengesetzten Kommission zur Förderung der wissenschaftlichen und technischen Forschung, die bereits seit Jahren im Rahmen der Krisenbekämpfung an nicht erwerbsorientierte Gesuchsteller Beiträge für angewandte Forschung ausrichtet, eine provisorische Neuorientierung dieser Beitragstätigkeit; die zur Verfügung stehenden Mittel sollen in erster Linie für Forschungen eingesetzt werden, an denen ein konkretes industrielles Interesse besteht, wobei die Kommission eine Verstärkung der Kontakte zwischen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Interessenten zu vermitteln hätte [50]. Dieses Überbrückungsprogramm wurde von der Schweizerischen Handelskammer gut aufgenommen [51]. In bezug auf das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Wissenschaft wünschte der Präsident des Wissenschaftsrates, Prof. M. Imboden, eine stärkere Beteiligung der Hochschulen an der angewandten Forschung; auf medizinischem Gebiet empfahl er, deren Unterstützung in Verbindung mit dem Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung zu organisieren [52]. Für einen weiteren Schritt zur Straffung der Forschungspolitik erklärte sich der neue Präsident des Nationalfonds-Forschungsrates, Nationalrat O. Reverdin: er verlangte auch für die Förderung der Grundlagenforschung, den eigentlichen Aufgabenbereich des Nationalfonds, die Festlegung von Prioritäten [53]. Besondere Aufmerksamkeit schenkte der Bundesrat namentlich der Hochenergiephysik und der Raumforschung; für diese genehmigte er ein aus Anregungen fachwissenschaftlicher Gremien hervorgegangenes Fünfjahrprogramm und betraute den Delegierten für Fragen der Atomenergie mit seiner Durchführung [54]. Infolge unterschiedlicher nationaler Raumforschungsziele (Forschungssatelliten, Trägerraketen, Fernmeldesatelliten) ergaben sich Schwierigkeiten für die eingeleitete europäische Zusammenarbeit; diese konnten an einer Europäischen Weltraumkonferenz in Bad Godesberg, an der zwölf europäische Staaten und Australien vertreten waren, erst teilweise behoben werden [55]. Als grundlegendes Arbeitsinstrument für Hochschulen und Forschung soll das Bibliotheks- und Dokumentationswesen gefördert werden; Bundesrat Tschudi postulierte einen Ausbau der Hochschulbibliotheken und Industriedokumentationen nach einheitlichen Methoden [56].
 
[47] Vgl. Motion Reimann (k.-chr., AG) für nationale Forschungsziele, vom StR am 13.3., vom NR am 25.6. überwiesen (NZZ, 164, 13.3.68; 384, 25.6.68), und Motion Choisy für einen Nationalfonds für die angewandte Forschung, vom StR am 13.3. als Postulat überwiesen (NZZ, 164, 13.3.68; vgl. dazu SPJ, 1967, S. 124 f.).
[48] NZZ, 164, 13.3.68.
[49] Vgl. zum folgenden: « Mehr Bundesmittel für angewandte Forschung? » in Mitteilungsblatt des Delegierten für Konjunkturfragen, 24/1968, S. 35 ff., sowie NZZ, 739, 28.11.68; ferner Bericht über Handel und Industrie der Schweiz im Jahre 1967 sowie Mitteilungen über die im Vereinsjahr 1967/68 vom Vorort behandelten Geschäfte, S. 163 f.; SPJ, 1967, S. 124 f.; ausserdem die Leidensgeschichte der Reaktorförderung durch den Bund (SPJ, 1965, in SJPW, 6/1966, S. 171; SPJ, 1966, S. 72 ff.; SPJ, 1967, S. 78 f., u. oben S. 82).
[50] Der Kommission stehen allerdings jährlich bloss 1,5 Mio Fr. zur Verfügung; eine Erhöhung der Summe wird angestrebt.
[51] NZZ, 573, 17.9.68.
[52] NZZ, 244, 22.4.68.
[53] Er löste am 1.4. Prof. A. von Muralt ab. Vgl. JdG, 68, 21.3.68; TdG, 70, 22.3.68; NZZ, 377, 21.6.68; ferner Domaine public, 91, 18.4.68.
[54] NZZ, 349, 10.6.68. Zur Hochenergiephysik vgl. oben, S. 82.
[55] Wissenschaftspolitik, 3/1969, H. 1, S. 33 ff.; NZ, 547, 25.11.68; NZZ, 692, 8.11.68.
[56] NZZ, 291, 13.5.68; vgl. auch 110, 19.2.68.