Année politique Suisse 1969 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
 
Strukturpolitik
Durch die Wandlungen in der Struktur unserer Wirtschaft, die sich vor allem in einer weiter akzentuierten Konzentrationsbewegung manifestierten, wurden ebenfalls ordnungspolitische Probleme aufgeworfen. Die neuen, aufsehenerregenden Fusionen und Aufkaufsoperationen in der schweizerischen Industrie — es seien nur die vielen Zusammenschlüsse in der Uhrenindustrie [6], die vorbereitenden. Gespräche über eine Fusion der beiden Chemiegrossunternehmungen Ciba und Geigy [7] die Schulterschlüsse in der Textilindustrie und im textilen Verbandswesen [8] sowie in der Nahrungsmittelindustrie [9] und nicht zuletzt die Übernahme von zum Teil bedrängten Firmen der Maschinenindustrie durch grosse Konzerne [10] erwähnt — lösten nicht nur Bewunderung, sondern auch ein gewisses Unbehagen über die Machtballungen der Grossbetriebe im Kleinstaat aus [11]. Dieses fand in parlamentarischen Vorstössen, in denen auf die staatspolitischen und sozialen Gefahren der Wirtschaftskonzentration hingewiesen wurde, seinen Niederschlag. Bundesrat Schaffner betrachtete die unternehmerische Zusammenarbeit weitgehend als zwangsläufige Folge der modernen Wirtschaftsentwicklung. Er sah weder eine Möglichkeit noch eine Notwendigkeit des Eingreifens durch den Bund. Er verwies auch auf Untersuchungen, die von der Kartellkommission und einem Gremium unter Prof. F. Kneschaurek in Angriff genommen wurden und die den wettbewerbspolitischen Aspekt der Marktmacht und Probleme der Prospektive abklären sollen [12]. Industriekreise versprachen sich von den Fusionen verbesserte Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung, Kostensenkungen vor allem auf dem Gebiete der Forschung und eine stärkere Stellung am Markt, was hauptsächlich für die Exportindustrie von entscheidender Bedeutung ist. Es wurde auch auf den Umstand aufmerksam gemacht, dass noch viele Unternehmungen zu Fusionen bereit wären, dass sich aber die Fiskalgesetze und das Gesellschaftsrecht als Hemmschuh auswirkten [13].
Ein anderes Strukturproblem stellte sich weiterhin durch die ungleiche wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Regionen unseres Landes. Die grossen Unterschiede in Volkseinkommen und Wirtschaftswachstum versuchte man auf drei Ebenen etwas abzubauen. Einmal wurde in einer ganzen Anzahl von Kantonen eine aktive Entwicklungspolitik in die Wege geleitet oder fortgesetzt [14]. Dann wurde vorgeschlagen, die erheblichen strukturellen Unterschiede mit Hilfe des kooperativen Föderalismus auszugleichen [15]. Schliesslich wurden auch Bundesmassnahmen zur Förderung wirtschaftlich zurückgebliebener Teile unseres Landes gefordert. Eine starke Wirkung versprach man sich von einem intensivierten Finanzausgleich [16]. Ständerat Vincenz (k.-chr., GR) schlug in einer Motion die Schaffung eines nationalen Investitionsfonds vor [17]. Die direkte Unterstützung der eigentlichen Berggebiete und die Arbeiten an einem Konzept für die Entwicklung dieser Gebiete wurden fortgesetzt [18].
 
[6] PS, 33, 11.2.69; 57, 12.3.69; NZZ, 388, 27.6.69; JdG, 153, 4.7.69; NZZ, 404, 4.7.69; GdL, 211, 10.9.69; 225, 27./28.9.69; 243, 18./19. 10.69; 277, 27.11.69; 301,26.12.69; 303,29.12.69.
[7] NZZ, 231, 16.4.69; Tw, 89, 18.4.69; NZ, 178, 20.4.69; NZZ, 318, 28.5.69; für weitere Zusammenschlüsse in der chemischen Industrie vgl. NZ, 117, 12.3.69; NZZ, 509, 20.8.69; 617, 11.10.69. 726, 14.12.69.
[8] NZZ, 17, 9.1.69; 49, 23.1.69; 223, 14.4.69; 266, 2.5.69; 312, 25.5.69.
[9] Formierung einer Superholding Ursina/Interfranck (NZZ, 467, 12.10.69); Zusammenschlüsse bei den Bierbrauereien (NZZ, 715, 8.12.69; 730, 16.12.69; GdL, 291, 13./14.12.69); Zusammenarbeitsvertrag zwischen Suchard und Tobler (GdL, 94, 24.4.69; 142, 21./22.6.69) und weitere internationale Ausweitung von Nestlé (GdL, 100, 1.5.69; TLM, 123, 3.5.69).
[10] Sulzer übernahm die Maschinenfabrik Burckhardt, Basel (NZ, 162, 10.4.69). Nach langen Verhandlungen mit Siemens entschied sich Sécheron schliesslich für eine Eingliederung in den BBC-Konzern (NZZ, 331, 3.6.69; 402, 4.7.69; TdG, 244, 18./19.10.69); für weitere Konzentrationen in der Maschinenindustrie vgl. NZZ, 37, 19.1.69; Lb, 23, 29.1.69; NZZ, 226, 15.4.69; GdL, 192, 19.8.69; NZZ, 673, 13.11.69; 714, 7.12.69; GdL, 289, 11.12.69.
[11] Z. B. Sonntags-Journal, 31, 2./3.8.69; VO, 127, 6.6.69; 244, 22.10.69. 245, 23.10.69; NZZ, 132, 28.2.69; 149, 9.3.69; Vr, 18, 23.1.69; 19, 24.1.69; 20, 25.1.69; 24, 30.1.69; Tat, 245, 18.10.69. Vgl. insbes. die Ausführungen über die Pressekonzentration unten, S. 144.
[12] Das Postulat von NR Heil (k.-chr., ZH) sowie die Motionen von NR Fischer (rad., BE) und StR Munz (rad., TG) wurden überwiesen (NZZ, 370, 20.6.69; 587, 24.9.69). Vgl. auch die Antwort auf eine Kleine Anfrage von NR Ziegler (soz., GE) in NZZ, 402, 4.7.69. Überblick von V. GAWRONSKI, «Strukturwandel, Arbeitsmarkt und Beschäftigungspolitik », in Mitteilungsblatt des Delegierten für Konjunkturfragen, 25/1969, S. 50 ff.
[13] Hoffmann-La Roche und BBC schlossen einen Rahmenvertrag ab, der eine gemeinsame Forschung auf dem Gebiete der medizinischen Elektronik einleitete (GdL, 127, 4.6.69). Vgl. auch NZ, 111, 9.3.69; NZZ, 154, 11.3.69; 203, 1.4.69; Bulletin des Schweizerischen Bankvereins, 1969, S. 5 ff.
[14] Für die Kantone Graubünden und Wallis vgl. Mitteilungsblatt des Delegierten für Konjunkturfragen, 25/1969, S. 2 ff; für die ostschweizerischen Kantone vgl. TAW, 44, 4.11.69; für Neuenburg vgl. NZ, 563, 7.12.69; für Waadt vgl. TLM, 157, 6.6.69; Bund, 143, 23.6.69.
[15] GEORG FISCHER, Berechnung und Vorausschätzung regionaler Volkseinkommenszahlen in der Schweiz 1950-1980, St. Gallen 1969; BN, 424, 11./12.10.69; TAW, 7, 18.2.69.
[16] Vgl. unten, S. 81 f.
[17] Vat., 84, 12.4.69.
[18] Vgl. unten, S. 86.