Année politique Suisse 1969 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
Raumplanung und Bodenrecht
Eine eidgenössische
Verfassungsgrundlage für Bodenrecht und Landesplanung kam im Verlauf des Jahres endlich zustande, allerdings in einer Form, welche die politischen Auseinandersetzungen noch nicht abschloss, sondern nur auf die Gesetzgebungsphase vertagte. Der Kompromiss, den führende Mitglieder der beiden Räte mit verschiedener Interessenrichtung im Dezember 1968 geschlossen hatten und der darauf vom Ständerat akzeptiert worden war
[1], fand im März auch die Zustimmung des Nationalrates
[2]. Nach diesem Kompromiss
[3] erhielt der Bund in Art. 22 quater den Auftrag, Grundsätze für eine durch die Kantone zu schaffende, der zweckmässigen Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes dienende Raumplanung aufzustellen. Über diese Normsetzungskompetenz hinaus wurde ihm eine Förderungs- und Koordinierungsaufgabe zugewiesen und ausserdem die Pflicht auferlegt, bei der Erfüllung seiner Aufgaben die Erfordernisse der Landesplanung zu berücksichtigen. Diese Formel wurde von den bürgerlichen Regierungsparteien und den Liberalen befürwortet, wobei freisinnige Votanten den Wunsch äusserten, dass die Grundzüge der Ausführungsgesetzgebung schon vor der Volksabstimmung über die Verfassungsartikel publiziert würden. Bundespräsident von Moos setzte sich dagegen noch einmal für eine konkretere und zugleich umfassendere Formulierung der Bundeskompetenzen ein, doch hatte er dabei nur die Sozialdemokraten und den Landesring auf seiner Seite. Art. 22ter, der die Eigentumsgarantie und die Bedingungen für Enteignung und Eigentumsbeschränkung enthielt, war schon seit dem März 1968 nicht mehr umstritten
[4].
Die Kampagne um den
Volksentscheid, der am 14. September stattfand, wurde nicht zwischen Befürwortern und Gegnern einer eidgenössischen Ordnung auf dem Gebiet des Bodenrechts und der Landesplanung geführt, sondern zwischen den verschiedenen Gruppen, die sich auf den Dezember-Kompromiss geeinigt hatten, einerseits und einigen Aussenseitern, denen die Vorlage zu wenig weit ging, anderseits. Alle grossen Parteien und Wirtschaftsorganisationen, auch die sozialdemokratische Landespartei und der Schweizerische Gewerkschaftsbund, gaben die Ja-Parole aus
[5]. Für eine Verwerfung kämpften der Landesring, die Partei der Arbeit, die Liberalsozialisten und eine sozialdemokratische Minderheit
[6]. Sie erklärten die dem Bund eingeräumten Kompetenzen als ungenügend für eine wirksame Landesplanung und wandten sich gegen den Grundsatz der vollen Entschädigung von enteignungsähnlichen Eigentumsbeschränkungen, z. T. auch gegen die in der Bundesverfassung bisher nicht ausgesprochene Eigentumsgarantie. Den bürgerlichen Parteien, die 1967 die sozialistische Bodenrechtsinitiative bekämpft hatten, wurde vorgeworfen, sie hätten ihr Versprechen, eine bessere Lösung auszuarbeiten, nicht eingelöst; insbesondere von liberalsozialistischer Seite wurde für den Fall einer Verwerfung eine neue Initiative angekündigt
[7]. Stimmen, die den Kompromiss als zu etatistisch ablehnten, wurden selten laut
[8]. Gleichwohl rechnete man im Lager der Befürworter mit Gegnern auf beiden Seiten
[9] und bestritt die Möglichkeit, dass nach einem ablehnenden Volksentscheid eine weiterréichende Vorlage Aussicht auf Annahme hätte
[10]. Exponenten der Unternehmerschaft und des Grundeigentums betonten, dass sie von der Einführung der neuen Verfassungsartikel keine einschneidenden Massnahmen erwarteten
[11]. Föderalistische Kreise, insbesondere in der welschen Schweiz, warben für die Vorlage mit dem Hinweis, dass sie die Selbständigkeit der Kantone respektiere
[12].
Der Entscheid brachte eine
knappe Annahme; die Stimmbeteiligung sank noch tiefer als drei Monate zuvor beim ETH-Gesetz, tiefer auch als bei der Abstimmung über die Bodenrechtsinitiative im Jahre 1967
[13]. Die stärksten annehmenden Mehrheiten — aber meist auch die schwächste Beteiligung — wiesen die französischsprachigen Kantone und das Tessin auf; dieses trotz der wuchtigen Verwerfung eines kantonalen Planungsgesetzes im April
[14]. Nur wenige Kantone verwarfen: im stark industrialisierten Aargau mochte die Opposition von links den Ausschlag gegeben haben; in den Bergkantonen Schwyz und Obwalden kam die Gegnerschaft jedoch zweifellos von rechts
[15]. Die Vorlage war auch in ländlichen Gegenden umstritten, da nur ein Teil der Bauern die vorgesehene Schaffung von Landwirtschaftszonen befürwortete
[16].
Trotz dem schwer zu deutenden und wenig ermutigenden Ausgang der Abstimmung zeigte sich der Bundesrat entschlossen, das neue Verfassungsinstrument rasch und voll auszunützen. Er hatte zwar entgegen den geäusserten Wünschen vor dem 14. September nichts über die geplante
Ausführungsgesetzgebung verlauten lassen, anscheinend um die Abstimmung nicht ungünstig zu beeinflussen. Doch nach der Annahme der neuen Artikel wurde überraschend bekanntgegeben, dass bereits im Sommer Organe für die Vorbereitung von Bundesmassnahmen eingesetzt worden waren: so eine Expertengruppe unter dem früheren aargauischen Baudirektor K. Kim, welche bis Ende 1970 die Elemente für eine den Erfordernissen der Landesplanung entsprechende Politik des Bundes auszuarbeiten hat, und eine interdepartementale Koordinationskonferenz unter dem Delegierten für Wohnungsbau, F. Berger. Dazu trat nun noch ein Gremium unter Nationalrat Schürmann (k.-chr., SO), das die Gesetzgebungsarbeit zu leisten hat. Sein Leiter sprach sich für eine extensive Auslegung der neuen Verfassungsartikel aus und stellte für 1971 eine Vorlage in Aussicht, in welcher die Kantine zur Aufstellung von Nutzungsplänen mit Zonenausscheidung verpflichtet werden sollen; er erwog auch rechtliche Vorkehren, durch welche säumige Kantone zur Erfüllung ihrer Pflicht gezwungen werden könnten. Aus Landesringkreisen wurde erstaunt festgestellt, dass die vom Volk sanktionierte Kompromissformel durch eine solche Interpretation fast den gleichen Inhalt erhielte wie die von der Linksopposition erfolglos vertretene Fassung
[17].
Doch vorerst bleibt die Initiative noch den Kantonen überlassen. Einen empfindlichen Rückschlag erlitten die landesplanerischen Bestrebungen durch die Verwerfung der legge urbanistica im Tessin, wo die grossen Parteien gegen die Opposition der Unternehmerverbände und das Unbehagen der Stimmbürger gegenüber der neuartigen Materie nicht aufkamen
[18]. Ein Fortschritt in der interkantonalen Zusammenarbeit wurde in der Nordwestecke des Landes erreicht, wo die Regierungen von Baselstadt und Baselland in einem Vertrag die gemeinsame Organisation der Regionalplanung vereinbarten; es wurde eine gemeinsame Planungsstelle in Liestal sowie eine Koordination über die Grenzen der beiden Halbkantone hinaus vorgesehen. Der Vertrag, in welchem die Bestrebungen der privaten Arbeitsgruppe « Regio Basiliensis » eine institutionelle Verankerung fanden, wurde noch vor der Abstimmung über die Wiedervereinigung vom Grossen Rat von Baselstadt genehmigt, während sich die parlamentarische Gutheissung in Baselland verzögerte
[19].
Da die 1961 eingeführte Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland
auf Ende 1970 befristet ist, sah sich der Bundesrat veranlasst, eine Verlängerung um weitere fünf Jahre zu beantragen. Angesichts der seit 1967 wieder zunehmenden Landverkäufe an Ausländer, die zum Teil auf eine largere Bewilligungspraxis zurückzuführen sind, enthielt der Antrag eine Definition des bisher verschieden ausgelegten Begriffs des berechtigten Interesses, welches das Gesetz zur Bedingung für eine Bewilligung macht. Dabei wurde auf die bereits von der Eidg. Rekurskommission eingeführte Praxis abgestellt, die von den kantonalen Instanzen bisher nicht überall befolgt worden war
[20]. Im Vemehmlassungsverfahren hatten verschiedene Kantone eine Verlängerung des Bundesbeschlusses abgelehnt; in der Presse fand der Antrag des Bundesrates jedoch eine positive Aufnahme
[21].
[1] Vgl. SPJ, 1968, S. 97 f.
[2] Verhandlungen vom 5.3.1969 (Sten. Bull. NR, 1969, S. 22 ff.).
[3] Eine bloss redaktionelle Differenz im französischen Text wurde durch Zustimmung des StR am 12.3. behoben (Sten. Bull. StR, 1969, S. 33). Definitiver Text in AS, 1969, S. 1249 ff.
[4] Vgl. SPJ, 1968, S. 96.
[5] Parteien: Sozialdemokraten (Tw, 143, 23.6.69), BGB (NBZ, 204, 4.9.69), Konservativ-Christlichsoziale (Vat., 195, 25.8.69), Freisinnige (NZZ, 531, 29.8.69), ferner Liberale, Demokraten und Evangelische (TLM, 252, 9.9.69); Wirtschaftsverbände: Hauseigentümer (NZZ, 297, 19.5.69), Bauern (NBZ, 115, 20.5.69), Gewerbe (NZZ, 304, 21.5.69), Schweiz. Gewerkschaftsbund (Tw, 148, 28./29.6.69), Handels- und Industrieverein (NZZ, 394, 1.7.69), Angestellte (NZZ, 537, 2.9.69), Christlichnationaler Gewerkschaftsbund (NZZ, 544, 4.9.69).
[6] Landesring: Tat, 205, 1.9.69; Partei der Arbeit: VO, 193, 22.8.69; Liberalsozialisten: NZZ, 167, 17.3.69; Sozialdemokraten von Baselland (NZ, 375, 18.8.69), St. Gallen (Tw, 188, 14.8.69) und Neuenburg (PS, 199, 2.9.69).
[7] Vgl. auch Badener Tagblatt, 204, 4.9.69; Tat, 209, 5.9.69. Zur Bodenrechtsinitiative vgl. SPJ, 1967, S. 95 ff.
[8] Vgl. Kritik Prof. H. Siebers in NZZ, 9, 11.2.69, und E. Ruchtis in Bund, 208, 7.9.69. Die Genfer Vigilants bekämpften die Vorlage als zu zentralistisch (JdG, 212, 12.9.69).
[9] Vgl. NZZ, 520, 26.8.69; Vat., 201, 1.9.69; Lb, 209, 9.9.69; Ostschw., 213, 13.9.69.
[10] NZZ, 560, 11.9.69; Vr, 212, 11.9.69; Ostschw., 213, 13.9.69.
[11] So G. Winterberger, Sekretär des Vororts (NZZ, 509, 20.8.69), und NR W. Raissig (rad., ZH), Zentralsekretär des Schweiz. Hauseigentümerverbandes (NZZ, 520, 26.8.69).
[12] JdG, 203, 1.9.69; GdL, 205, 3.9.69; 213, 12.9.69; 214, 13./14.9.69; BN, 376, 10.9.69; NBüZ, 251, 12.9.69.
[13] Annahme mit 286 282: 225 536 Stimmen und 19 2 1/2, Ständen, Stimmbeteiligung 32,9 %. Relativ hoch war die Zahl der leeren Stimmen. Vgl. BBI, 1969, II, S. 1104. Zur Abstimmung über das ETH-Gesetz vgl. unten, S. 132.
[15] Vgl. NZZ, 566, 15.9.69.
[16] NZZ, 515, 22.8.69; Ostschw., 214, 15.9.69.
[17] NZZ, 574, 18.9.69; TLM, 261, 18.9.69; JdG, 217, 18.9.69; Tat, 221, 19.9.69; NZ, 429, 19.9.69; 476, 17.10.69; TdG, 224, 25.9.69.
[18] Verwerfung am 20.4. mit 19 285: 8948 Stimmen. Vgl. unten, S. 157, ferner NZZ, 241, 22.4.69; Tat, 94, 23.4.69; NZ, 189, 26.4.69.
[19] BN, 81, 22./23.2.69; 274, 5./6.7.69; 477, 14.11.69; NZ, 258, 10.6.69; NZZ, 349, 11.6.69.
[20] BBI, 1969, II, S. 1385 ff. Vgl. auch SPJ, 1965, in SJPW, 6/1966, S. 202 f. Zur Entwicklung der Verkäufe vgl. Die Volkswirtschaft, 42/1969, S. 407 ff. Am meisten Verkäufe wurden in den Fremdenverkehrskantonen Graubünden, Tessin, Waadt und Wallis bewilligt, wobei insbesondere die Nachfrage nach Eigentumswohnungen stark zunahm.
[21] Vgl. GdL, 287, 9.12.69; NZZ, 718, 9.12.69; NZ, 566, 9.12.69; Lb, 287, 9.12.69; Bund, 305, 30.12.69.
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