Année politique Suisse 1969 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit
 
Arbeitsrecht
Auf dem Gebiet des Arbeitsrechts wurde die Revision der Bestimmungen über den « Dienstvertrag » fortgesetzt [1]. Die zuständige Kommission des Nationalrats schloss ihre bereits im Vorjahre begonnenen Beratungen ab [2], so dass der Nationalrat im Juni einen ersten Teil der Gesetzesrevision behandeln konnte; der Rest der Vorlage wurde in der Wintersession verabschiedet [3].
Erste Differenzen ergaben sich bei der Definition der Schwarzarbeit. Gegen eine aus gewerkschaftlichen Kreisen bestehende Minderheit, die für eine largere Fassung eintrat, beschloss die Volkskammer, unverändert eine den Arbeitgeber konkurrenzierende Tätigkeit als massgebendes Kriterium für die Unzulässigkeit von Arbeit gegen Entgelt in der Freizeit vorzusehen. Ebenfalls umstritten war die Geheimhaltungspflicht. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, die Pflicht zur Verschwiegenheit im Interesse des Arbeitgebers auch auf die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszudehnen. Die Mehrheit der Kommission wünschte jedoch einen Vorbehalt gegen die befürchtete Gefahr, dass dadurch das wirtschaftliche Fortkommen des Arbeitnehmers erschwert werden könnte. Der Rat entschied sich indessen für die Fassung des Bundesrates. Nur mit knappem Mehr unterstützte er den Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Sondervergütung (Gratifikation) in Fällen, wo eine solche verabredet oder üblich ist [4]. Anlass zur Diskussion gab weiter die Frage der Lohnzahlung bei Krankheit oder Unfall des Arbeitnehmers. Man einigte sich schliesslich auf eine Leistungsdauer von mindestens drei Wochen für das erste Dienstjahr [5]. Nach der Wiederaufnahme der Verhandlungen im November wurde ein Minderheitsantrag Wüthrich (soz., BE) über die Gewährung von Bildungsurlaub (in Erweiterung einer Standesinitiative des Kantons Genf) abgelehnt. Eine heftige Diskussion entspann sich über den Ferienanspruch des Arbeitnehmers. Sie endete damit, dass die gesetzliche Mindestdauer der Ferien auf zwei Wochen pro Dienstjahr bzw. auf drei Wochen für Jugendliche bis zum 19. Altersjahr festgelegt wurde; die Kantone sollten jedoch befugt sein, eine Ausdehnung um eine Woche vorzunehmen. Ein Antrag Götsch (soz., ZH) für eine gesetzlich verankerte Mindestdauer von drei bzw. vier Wochen unterlag [6]. In der heiss umstrittenen Frage der Freizügigkeit gegenüber Personalfürsorgeeinrichtungen ging der Rat auf Antrag der Kommission über den Vorschlag des Bundesrates hinaus und beschloss, den Anspruch des Arbeitnehmers auf einen Teil der Arbeitgeberbeiträge gesetzlich zu verankern, womit ein wesentlicher Schritt zur Erleichterung des Stellenwechsels getan wurde [7]. Bezüglich der missbräuchlichen Kündigung wurde dem Arbeitnehmer nur ein Einspracherecht gegen Kündigung wegen Militärdienstes zugesprochen [8]. Endlich kodifizierte der Rat die Abgangsentschädigung; als Voraussetzungen wurden unbestritten das 50. Altersjahr sowie 20 oder mehr Dienstjahre festgelegt. Die Vorlage ging hierauf an den Ständerat.
 
[1] Vgl. SPJ, 1967, S. 107 f.; 1968, S. 106.
[2] NZZ, 57, 28.1.69; 106, 18.2.69; 243, 22.4.69; 264, 1.5.69.
[3] Verhandlungen vom 18.-24.6. und vom 25.-27.11. (Sten. Bull. NR, 1969, S. 398 ff., 451 ff. u. 775 ff.). Zwischen den beiden Beratungsperioden nahm die Kommission zu verschiedenen neu eingereichten Anträgen Stellung (NZZ, 570, 17.9.69).
[4] Vgl. dazu auch NZZ, 369, 19.6.69.
[5] Vgl. dazu auch NZZ, 379, 24.6.69.
[6] Vgl. dazu auch NZZ, 695, 26.11.69.
[7] Der Anspruch auf Sicherstellung eines Teils der Arbeitgeberbeiträge an die Personalfürsorgekasse beginnt nach 5 Beitragsjahren und erreicht nach 30 Beitragsjahren das gesamte vom Arbeitgeber geäufnete Deckungskapital; dieses Maximum war in der Kommission mit Stichentscheid des Präsidenten abgelehnt worden. Auf Antrag der Kommission wurde ausserdem dem Bundesrat in einem Postulat die Vorbereitung eines privatrechtlichen Spezialgesetzes über die Personalfürsorgeeinrichtungen nahegelegt (Sten. Bull. NR, 1969, S. 865). Schon im März hatten beide Räte in Motionen die Befreiung von Freizügigkeitsleistungen der Personalfürsorge von der Wehrsteuer beantragt (Motion Hofstetter, rad., SO, im NR, vgl. NZZ, 139, 4.3.69, und Motion Torche, k.-chr., FR, im StR, vgl. NZZ, 171, 18.3.69). Vgl. auch SPJ, 1968, S. 110.
[8] Vgl. dazu auch NZZ, 697 u. 698, 27.11.69.