Année politique Suisse 1969 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit / Arbeitsschutz
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Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht
Das Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht, das in der jüngsten Vergangenheit fast ausschliesslich im Hinblick auf die Hochschulen diskutiert worden war [22], wurde im Laufe des Jahres zu einem allgemeinen Gesprächsgegenstand der Sozialpolitik. Das zeigte sich allein schon darin, dass es auf der Traktandenliste von Gewerkschaftskongressen und -versammlungen viel häufiger auftauchte als früher [23]. Es scheint aber für die anlaufende Auseinandersetzung kennzeichnend,dass sie sich mit einer einzigen Ausnahme, dem Anspruch des PTT-Personals auf Vertretung im PTT-Verwaltungsrat, noch kaum im Raum konkreter verbindlicher Forderungen bewegte. So war kaum je von den institutionellen Formen, in denen die Mitbestimmung verwirklicht werden könnte (z. B. Einsitz in Geschäftsleitungen, Verwaltungsräte) und noch weniger von den Kompetenzen die Rede, die solchen Organen der Mitbestimmung zukommen sollten [24]. Diese vage Form der Diskussion erklärt denn auch, wieso man weitgehend aneinander vorbeiredete. So stiess eine sehr wenig konkrete gewerkschaftliche Verlautbarung, wonach die gewerkschaftliche Mitbestimmung im Betriebe bei den « für die Entwicklung massgebenden Beschlüssen » spielen solle, in Unternehmerkreisen auf strikte Ablehnung [25]. Dieser begegnete die «Gewerkschaftskorrespondenz» bezeichnenderweise dadurch, dass sie die angeblich revolutionäre Mitbestimmungsforderung als mit den bestehenden Verhältnissen konform erklärte (Anhörungsrecht des Sozialpartners, Mitbestimmungsrecht bei Gesamtarbeitsverträgen, ausgebaute Volksrechte usw.) und damit der Diskussion die giftig wirkende Spitze brach [26]. Ebenso konform verstand man das Mitbestimmungsrecht auf seiten des Landesverbandes freier Schweizer Arbeiter, wo man es offensichtlich in der alten Form paritätischer Betriebskommissionen verwirklicht sah, deren Kompetenzbereich auf soziale Fragen beschränkt bleiben sollte [27]. Die PdA dagegen setzte in ihrer Mitbestimmungskonzeption eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel voraus, was unter den herrschenden Mehrheitsverhältnissen nicht realisierbar erscheint [28]. Konkrete Resultate auf dem Weg zur Mitbestimmung wurden einzig bei der Schaffung des PTT-Organisationsgesetzes erzielt. Freilich konnte die Forderung nach fünf Personalvertretern im 15-köpfigen Verwaltungsrat, die eine Minderheit der vorberatenden Nationalratskommission aufgestellt hatte, nur in abgeschwächter Form durchgesetzt werden (« Zuerkennung einer angemessenen Vertretung des Personals ») [29],
 
[22] Vgl. SPJ, 1968, S. 106 u. 121 ff.
[23] NZZ, 155, 11.3.69. Die Mitbestimmungsforderung wurde namentlich unterstützt durch die PTT-Union Zürich (Vr, 55, 7.3.69), die Gewerkschaft Textil, Chemie, Papier (Tw, 126, 3.6.69; NZZ, 336, 5.6.69), die Delegiertenversammlung des Zollbeamtenverbandes (TLM, 172, 21.6.69), die Schweiz. Graphische Gewerkschaft (NZN, 136, 16.6.69), den Kongress des Schweiz. Gewerkschaftsbundes (GdL, 244, 20.10.69).
[24] Eine Ausnahme bildete Prof. A. Rich, der die Anwendung des deutschen Mitbestimmungsmodells empfahl (Tat, 39, 15.2.69; Vr, 43, 21.2.69).
[25] Vgl. gk, 50, 20.12.68, und wf, Dokumentations- und Pressedienst, 5, 3.2.69.
[26] gk, 5, 6.2.69; vgl. auch unten, S. 174.
[27] G. Egli, Zentralsekretär des Landesverbandes freier Schweizer Arbeiter, in NZZ, 497, 15.8.69; vgl. auch Bund, 275, 24.11.69; ferner NZ, 269, 17.6.69 (« Demokratisierung durch Kaderweiterbildung »); BN, 141, 5./6.4.69 (Mitarbeiteraktien).
[28] VO, 34, 11.2.69; 37, 14.2.69.
[29] Verhandlungen des NR vom 19.3. (Sten. Bull. NR, S. 211 ff.) und des StR vom 2.6. (Sten. Bull. StR, S. 94 ff.). Vgl. oben, S. 102.