Année politique Suisse 1969 : Sozialpolitik
Sozialversicherungen
La 7e révision de l'AVS nécessite une adaptation des prestations complémentaires — Les communistes, les partis bourgeois et les socialistes lancent trois initiatives en faveur d'une révision fondamentale de l'AVS — Discussions autour d'une révision de l'assurance-maladie ; lancement d'une initiative socialiste — Etudes sur une conception nouvelle de l'assurance-chômage.
Alters- und Hinterlassenenversicherung
Die auf den 1. Januar 1969 in Kraft getretene siebente Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)
hatte einerseits den Satz der von Versicherten und Arbeitgebern zu leistenden Beiträge von 4 auf 5,2 %, also um 30 % erhöht und anderseits die Renten im allgemeinen um einen Drittel hinaufgesetzt
[1]. Die Minimalrenten erfuhren sogar eine Erhöhung von ca. 45 %
[2]. Die Bezüger der kantonalen Ergänzungsleistungen wurden dagegen enttäuscht; die aufgebesserte eidgenössische AHV-Rente und die gekürzte Ergänzungsleistung ergaben zusammen einen bloss um 15 oder 20 Prozent erhöhten Betrag
[3]. Die Einkommensgrenzen, welche zum Bezug von Ergänzungsleistungen berechtigen, waren nämlich bei der im Rahmen der 7. AHV-Revision durchgeführten Abänderung des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen nicht um einen Drittel erhöht worden
[4]. Deshalb wurde eine Revision dieses Gesetzes gefordert und nach verschiedenen Vorstössen
[5] unverzüglich an die Hand genommen
[6]. In verschiedenen Kantonen und Gemeinden wurden Sonderregelungen getroffen, um die den Rentnern entgangene effektive Rentenerhöhung wettzumachen
[7].
Bereits setzte aus verschiedenen Gründen die Diskussion um
die 8. AHV-Revision ein. Einmal wurde diese vom Beschluss des sozialdemokratischen Parteitages vom Juni 1968, eine Initiative für ein System der sozialen Sicherheit zu lancieren
[8], angeregt. Andere Kreise (z. B. Privatversicherungen, aber auch finanziell gut stehende Pensionskassen des öffentlichen Personals) wiesen darauf hin, dass gewisse mit der 7. AHV-Revision verwirklichte Änderungen das Verhältnis zwischen erster und zweiter Säule gestört hätten
[9]. Die Vereinigung schweizerischer Lebensversicherungsgesellschaften meldete an zwei Pressekonferenzen
[10] Bedenken gegen die durch die sozialdemokratische Initiative geforderte Volkspension an. Die Privatversicherungskreise anerkannten zwar das Postulat, dass ein Rentner den während der Erwerbstätigkeit erreichten Lebensstandard einigermassen sollte weiterführen können. Sie hielten aber am System der drei Säulen fest und waren der Ansicht, der Staat habe die betriebliche und verbandliche Vorsorge durch Steuererleichterungen zu fördern und sich im übrigen möglichst zurückzuhalten, um die private Spartätigkeit nicht zu gefährden und das Gleichgewicht zwischen staatlichem und privatem Bereich nicht zu stören; es sollte auch auf diesem Wege möglich sein, die Renten an die steigenden Lebenskosten (Indexierung) und das wachsende Volkseinkommen (Dynamisierung) anzupassen.
Als Konkurrenzunternehmen zu ihrer eigenen Initiative betrachtete die Sozialdemokratische Partei die im März vom Zentralkomitee der PdA angekündigte und im Dezember mit 58 020 gültigen Unterschriften eingereichte Initiative für eine « wirkliche Volkspension »
[11]. Sie fordert Renten, die mindestens 60 % des in den fünf besten Jahren erzielten Einkommens, und zwar wenigstens 500 Fr. monatlich für Alleinstehende und 800 Fr. für Ehepaare, betragen sollen, jedoch höchstens den doppelten Betrag dieser Ansätze erreichen dürfen. In einen Wettbewerb mit dem sozialdemokratischen Vorstoss trat man aber auch weiter rechts. Ein überparteiliches Komitee, in dem alle bürgerlichen Parteien und der « Beobachter » vertreten waren, lancierte im Oktober eine Initiative für eine « zeitgemässe Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge»
[12]. Diese sieht zwar eine Beitragsbegrenzung (höchstens 8 Lohnprozente) vor; sie soll aber den Rentnern «ein ausreichendes, ihrer gewohnten Lebenshaltung angeméssenes Einkommen » gewährleisten. Die obligatorisch erklärte zweite Säule soll ausgebaut werden, die dritte Säule durch « Massnahmen der Fiskal- und Eigentumspolitik » gefördert werden. Die bürgerliche Aktion wurde indessen nicht von Kritik aus den eigenen Reihen verschont. So wandte sich die Gewerbekammer aus abstimmungspolitischen Gründen gegen die Blockierung der Beiträge bei 8 Lohnprozenten sowie gegen die den Arbeitgeber stark belastende Obligatorischerklärung der zweiten Säule
[13]. Auch von gewerkschaftlicher Seite wurde die Ansetzung der oberen Beitragsgrenze kritisiert
[14]. Die « Tagwacht » verurteilte die Initiative als « Auffangaktion » der vom Volke immer weniger verstandenen « Säulen-Heiligen » der « Rechtsparteien unseres Landes »
[15].
Die längst beschlossene, aber nur mühsam bereinigte, vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund unterstützte
[16] sozialdemokratische Initiative tauchte erst als letzte im Wettrennen um eine verbesserte Sozialversicherung auf
[17]. Sie sieht eine
Volkspension vor, die einerseits aus einer allgemeinen Grundversicherung und anderseits aus einer Zusatzversicherung bestände, die für diejenigen Arbeitnehmer obligatorisch wäre, welche ohne sie nicht auf eine Rente von mindestens 60 % ihres « massgeblichen Einkommens » kämen, wobei allerdings eine obere Grenze gezogen wird. Die Grundversicherung soll durch Beiträge der öffentlichen Hand von wenigstens einem Drittel und durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge im Verhältnis von 2 zu 1 finanziert werden. Diese Relation hat auch Gültigkeit für die Zusatzversicherung. Die Funktion der Zusatzversicherung könnte von den bestehenden Vorsorgekassen übernommen werden. Am schweizerischen sozialdemokratischen Parteitag, der sich am 2. November in Bern mit der Initiative befasste, setzte sich eine Minderheit unter der Führung der Zürcher Kantonalpartei für eine Volkspension nach schwedischem Vorbild ein. Diese hätte aus einer Grundversicherung mit höheren existenzsichernden Renten von mindestens 7200 Franken pro Jahr für Alleinstehende und einer individuellen Zusatzversicherung bestehen sollen, wobei ebenfalls Grund- und Zusatzversicherung mindestens 60 % des früheren Erwerbseinkommens hätten ausmachen müssen. Weiter hätten nach einer Übergangsfrist von zehn Jahren die bestehenden Pensionskassen in eine eidgenössische Zusatzversicherung eingebaut werden sollen
[18]. Bürgerlicherseits kritisierte man am sozialdemokratischen Volksbegehren vor allem die als überdimensioniert empfundene Belastung des Arbeitgebers und vermutete dahinter die Absicht, man wolle die betrieblichen und verbandlichen Versicherungseinrichtungen auf « kaltem Wege » beseitigen
[19]. Es wurde zwar in der Presse festgestellt, dass die Gewerkschaften keiner Lösung zuzustimmen bereit waren, die ihre Pensionskassen ausgeschaltet hätte. Anderseits wies man auf eine Übergangsbestimmung der Initiative hin, die auf Antrag der « Zürcher Opposition » angenommen worden war und nach welcher das System der Zusatzversicherungen spätestens drei Jahrè nach Annahme der postulierten Regelung vollständig funktionieren muss. Durch diese Terminierung werde für die Zusatzversicherung praktisch das Umlageverfahren vorgeschrieben; die nach dem Kapitaldeckungsverfahren aufgebauten privaten Pensionskassen wären somit der Konkurrenz einer nach dem Umlageverfahren aufgebauten staatlichen Zusatzversicherung nicht gewachsen; « die Folge wäre mithin eine Verstaatlichung der Pensionskassen »
[20]. Der Landesring lehnte die Volkspension zwar als wirtschaftspolitisch unerwünscht ab, stimmte indessen der Rentenhöhe von 60 % des Erwerbseinkommens zu. Er forderte die Gründung einer Eidgenössischen Pensionskasse, die jenen helfen soll, die nicht einer Betriebs- oder Verbandspensionskasse angeschlossen sind
[21].
Krankenversicherung
Die
beängstigende Kostenentwicklung in der Krankenversicherung stand weiterhin zur Diskussion. Nicht nur eine Expertenkommission des EDI, sondern auch die Ärzteschaft, die Krankenkassen, das Mouvement populaire des familles (MPF) und die Sozialdemokratische Partei mit ihrer am Parteitag vom 2. November textlich bereinigten Krankenversicherungsinitiative suchten nach entsprechenden Lösungsmöglichkeiten. So wurde die Frage diskutiert, ob man mit einer hohen Franchise beispielsweise von 100 oder 200 Franken
[22] die kostensteigernden sogenannten Bagatellfälle
[23] wirksam bekämpfen könne, und ob dies im Sinne der Präventivmedizin überhaupt sinnvoll sei
[24]. Das Konkordat Schweizerischer Krankenkassen wollte die Franchise abschaffen und setzte sich bei der Expertenkommission des EDI für einen sozial gerechten Selbstbehalt ein
[25]. Dagegen verteidigte die Krankenkasse für den Kanton Bern
[26] und mit ihr die « Ärzte-Information »
[27] die gemeinsam mit den bernischen Ärzten vorgeschlagene und am 1. Januar 1969 in Kraft gesetzte « massvoll erhöhte Franchise », da sie zusammen mit dem prozentualen Selbstbehalt die erwünschte kostenvermindernde Wirkung habe. Mit dem bernischen Beispiel, so glaubte die « Ärzte-Information », könne man auch ohne Totalrevision des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes die Kostenprobleme lösen. Entschieden lehnten hingegen die Ärzte nicht nur die « stracks zur Sozialisierung der Gesellschaft » führende « Sozialisierung der Medizin »
[28] ab, sondern auch das Krankenversicherungsobligatorium, das von den Sozialdemokraten
[29] und vom MPF
[30] gefordert wurde. Ausser diesem Obligatorium enthält die sozialdemokratische Initiative noch weitergehende, ebenso umstrittene Postulate. So verlangt sie eine 80prozentige .Erwerbsausfallentschädigung und möchte auch die Zahnbehandlung in die Versicherung eingeschlossen wissen. Nach beiden Vorschlägen soll die Krankenversicherung durch Beiträge der öffentlichen Hand sowie durch Prämien finanziert werden, die zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu tragen wären. Arbeitgeberbeiträge an die Prämien der Krankenversicherung strebt auch ein vom Nationalrat überwiesenes Postulat Vincent (PdA, GE)
[31] an. Das MPF sieht anstelle der Prämien pro Person Familienbeiträge vor.
Krankenversicherung
Für die Arbeitslosenversicherung, deren hohe Verwaltungskosten erneut zu Kritik Anlass gaben, wurde verwaltungsintern eine Neukonzeption geprüft. Durch eine Änderung der Verordnung zum Arbeitslosenversicherungsgesetz ermöglichte der Bundesrat den Arbeitslosenkassen, ihr Vermögen in stärkerem Masse als bisher zur Förderung des Wohnungsbaues einzusetzen
[32].
[1] Vgl. SPJ, 1968, S. 109 ff.
[2] Tw, 8, 11./12.1.69; Vr, 19, 24.1.69; vgl. auch die AHV-Initiative des Christlichnationalen Gewerkschaftsbundes (CNG) (SPJ, 1966, S. 111).
[3] Tw, 8, 11./12.1.69; NZ, 53, 2.2.69.
[5] Eingabe der Sozialdemokratischen Partei an das EDI (PS, 15, 21.1.69; Tw, 19, 24.1.69; NZZ, 51, 24.1.69) ; die Postulate Dafllon (PdA, GE), Grolimund (rad., SO) und Schaffer (soz., BE) wurden am 26.9. im NR überwiesen (Verhandl. B.vers., 1969, III, S. 21 f., 26 f. u. 35; NZZ, 593, 26.9.69) und wie eine Kleine Anfrage Breitenmoser (k.-chr., BS) mit dem Hinweis auf die laufenden Revisionsarbeiten beantwortet (NZZ, 558, 11.9.69).
[6] Vgl. Vernehmlassungsverfahren des EDI über die Notwendigkeit einer Revision des Ergänzungsleistungsgesetzes (NZZ, 53, 26.1.69; Bund, 20, 26.1.69; NZ, 41, 26.1.69). Die Eidg. AHV-Kommission schlug dem Bundesrat vor, einen Vorentwurf ausarbeiten zu lassen (NZZ, 351, 12.6.69; JdG, 134, 12.6.69).
[7] Vgl. unten, S. 160; ferner GdL, 83, 11.4.69; 93, 23.4.69 (Lausanne); Tw, 244, 18./19.10.69 (Bern); Vr, 276, 25.11.69; NZZ, 709, 4.12.69 (Zürich).
[8] Vgl. SPJ, 1968, S. 110 f. u. 157.
[9] Vgl. Prof. H. Herold vom Vorort in Bund, 13, 17.1.69, und P. Cadotsch, Vorsteher der Personalkassen der Stadt Bern, in Tw, 86, 15.4.69.
[10] Pressekonferenzen in Bern vom 6.2. (Bund, 31, 7.2.69; Lb, 31, 7.2.69; NZZ, 83, 7.2.69; BN, 57, 7.2.69; Tw, 32, 8./9.2.69; Bund. 35, 12.2.69; NZZ, 100, 14.2.69; NZN, 38, 15.2.69; Tat, 42, 19.2.69) und in Genf vom 4.3. (TLM, 64, 5.3.69; JdG, 55, 6.3.69; PS, 53, 7.3.69).
[11] TLM, 337, 3.12.69; NZ, 557, 3.12.69. Text in VO, 98, 1.5.69. Die Initiative wurde auch von der AVIVO (Association suisse des vieillards, invalides, veuves et orphelins) unterstützt (NZZ, 228, 15.4.69). Zur sozialdemokratischen Reaktion vgl. Tw, 82, 10.4.69; Vr, 82, 10.4.69.
[12] NZ, 443, 28.9.69; Tw, 229, 1.10.69; GdL, 229, 2.10.69; NZZ, 602, 2.10.69 (lnitiativtext); Lb, 230, 3.10.69; Vat., 231, 4.10.69; BN, 413, 4./5.10.69; Tw, 233, 6.10.69.
[13] Schweizerische Gewerbe-Zeitung, 40, 3.10.69; 42, 17.10.69.
[16] Der Kongress des Schweiz. Gewerkschaftsbundes unterstützte die Initiative, drang aber auf Beifügung einer Rückzugsklausel (TdG, 243, 17.10.69; Tw, 244, 18./19.10.69; BN, 435, 18./19.10.69; GdL, 243, 18./19.10.69; NZZ, 630, 19.10.69; gk, 37, 23.10.69). Vgl. auch unten, S. 171.
[17] Tw, 256, 1./2.11.69; Bund, 257, 3.11.69; PS, 251, 3.11.69; NZ, 505, 3.11.69; Vr, 257, 3.11.69; NZN, 255, 4.11.69; Tat, 259, 5.11.69.
[20] Bund, 267, 14.11.69; vgl. auch Tat, 267, 13.11.69; NZZ, 656, 3.11.69; 696, 26.11.69.
[21] Tat, 240, 13.10.69; Bund, 250, 26.10.69.
[22] Mitteilung des Konkordates Schweiz. Krankenkassen (NZ, 2, 3.1.69).
[23] Zur Kostenexplosion vgl. Tw, 24, 30.1.69; NZZ, 574, 18.9.69; Tw, 224, 25.9.69, und SPJ, 1968, S. 114. Zu den Bagatellfällen vgl. Bund, 5, 8.1.69; 19, 24.1.69; Tw, 26, 1./2.2.69.
[24] NR Berger (soz., ZH) in Tw, 119, 24./25.5.69, und NR Staehelin (LdU, AG) in Tat, 126, 31.5.69:
[25] NZZ, 243, 22.4.69; Tw, 93, 23.4.69; Lb, 92, 23.4.69; vgl. auch NZZ, 124, 26.2.69.
[26] Bund, 5, 8.1.69. — Im Kanton Bern gilt seit dem 1.1.1969 folgende Regelung der Franchise: Versichertengruppe I (Minderbemittelte) 20 Franken; Versichertengruppe II (Mittelstand) 30 Franken.
[28] NZZ, 623, 15.10.69; vgl. auch Bund, 9, 13.1.69; NBZ, 155, 7.7.69.
[29] Initiativtext in gk, 39, 6.11.69; vgl. Referat am Parteitag von NR R. Müller (Vr, 257, 3.11.69).
[30] NZ, 203, 6.5.69; PS, 42, 21.2.69; 64, 20.3.69; GdL, 44, 22./23.2.69.
[31] Am 25.6. mit 49: 47 Stimmen überwiesen (VO, 148, 1.7.69; NZZ, 382, 25.6.69).
[32] NZZ, 376, 23.6.69; AS, 1969, S. 449 ff.; zur Kritik vgl. NZ, 288, 27.6.69 (Votum Eibels, rad., ZH, im NR). Vgl. auch SPJ, 1967, S. 113 f.
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