Année politique Suisse 1969 : Bildung, Kultur und Medien
Kultur, Sprache, Kirchen
Controverses au sujet de l'encouragement d la culture — Les Chambres adoptent la révision de la loi sur le cinéma — Concessions, et difficultés dans les rapports des groupes linguistiques — Tendance d un engagement politique plus prononcé dans les Eglises.
 
Kulturpolitik
Dem Verlangen nach einer wirksameren Kulturpolitik des Bundes entsprach der Bundesrat mit der Ernennung einer Expertenkommission, der es obliegt, einen Bericht über den Stand der Kultur und Vorschläge für die weitere Ausgestaltung der Kulturpolitik auf allen Stufen (Gemeinde, Kanton, Bund) auszuarbeiten [1].
In verschiedenen Auseinandersetzungen wurde jedoch deutlich, dass die Ansprüche, die an eine öffentliche Kulturförderung gestellt werden, stark auseinandergehen. So kritisierte Friedrich Dürrenmatt das schweizerische Theaterwesen und verlangte weniger, dafür qualitativ höherstehende Theaterproduktionen, die vermehrt zwischen den Städten auszutauschen wären. Ein Protest der Gesellschaft der Schweizerischen Dramatiker gegen abschätzige Äusserungen des Direktors des Zürcher Schauspielhauses über die schweizerische dramatische Produktion sowie die Forderung, die subventionierten Bühnen sollten zur Aufführung schweizerischer Werke verpflichtet werden, rief einer heftigen Diskussion. Eine Ausstellung in der Berner Kunsthalle, die internationales Interesse erregte, wegen ihrer Neuartigkeit aber auch viele schockierte, löste eine Diskussion über die Frage aus, ob und wieweit die Behörden die Programme subventionierter Kulturinstitute beeinflussen sollten [2]. Trotz den bestehenden Schwierigkeiten war in einzelnen Kantonen das Bestreben erkennbar, die kulturpolitische Tätigkeit zu verstärken. Die Zürcher stimmten dem Gesetz über die Förderung des kulturellen Lebens zu, und in Bern wurde bei der Reorganisation der Erziehungsdirektion eine Abteilung Kulturelles geschaffen [3].
Die Bemühungen um eine Förderung des einheimischen Filmschaffens wurden fortgeführt. Dem Begehren nach einer Revision des eidgenössischen Filmgesetzes entsprach der Bundesrat mit einer Vorlage, nach der nicht nur Dokumentar-, Kultur- und Erziehungsfilme, sondern auch Spielfilme durch Bundesbeiträge unterstützt werden können. Abweichend vom Antrag des Bundesrates sprach sich das Parlament für eine unbefristete Unterstützung der schweizerischen Filmwochenschau aus, um die eingeleiteten Reformbestrebungen nicht zu gefährden. Die Gesetzesrevision wurde von den eidgenössischen Räten angenommen [4]. Auf dem Gebiet der kulturellen Aussenpolitik sind verschiedene von der Stiftung Pro Helvetia organisierte Ausstellungen zu erwähnen: eine Wanderausstellung schweizerischer Volkskunst in den USA und in Kanada, die 1968 in der Sowjetunion gezeigte Architekturausstellung in Rumänien und eine Ausstellung schweizerischer Bücher in der Tschechoslowakei [5]. Rechtliche und finanzielle Schwierigkeiten veranlassten den Bundesrat, auf die Erbschaft des Florentiner Kunstsammlers Ugo Bardini zu verzichten [6].
 
Sprache
Der Entspannung des Verhältnisses unter den Sprachgruppen diente die Wahl von Vertretern der Romandie in Spitzenpositionen der Bundesverwaltung, nachdem frühere Besetzungen in welschen Kreisen ein Gefühl der Benachteiligung hatten aufkommen lassen [7]. Auch die Erhöhung der Bundesbeiträge an die französischsprachige Schule in Bern, die den Gratisunterricht für Kinder von welschen Bundesbeamten gewährleistet, löste Genugtuung aus [8]. Dass anderseits die Abstimmungskampagne um das ETH-Gesetz den welschen Besorgnissen über einen « Wirtschaftsimperialismus » Zürichs neue Nahrung gab, wurde erwähnt. Man reagierte deshalb in der Westschweiz sehr ungehalten, als anlässlich der Feier für den neugewählten Bundesrat Brugger in Zürich der Präsident der freisinnigen Landespartei, der Genfer National- und Regierungsrat H. Schmitt, nicht offiziell als Redner eingeladen wurde [9]. Den von Paris aus geleiteten Bestrebungen der « Francophonie » gegenüber nahm man in den welschen Kantonen im allgemeinen eine sehr reservierte Haltung ein; von seiten der jurassischen Separatisten dagegen wurde die Verbindung zu dieser Bewegung verstärkt, indem ein Vertreter der Jugendorganisation Bélier Mitglied des Exekutivbüros der « Jeunesses francophones » wurde [10]. Mit der Überweisung einer Motion Franzoni (k.-chr., TI) durch die eidgenössischen Räte, die für gesetzliche Erlasse die Vorlage einer italienischen Originalfassung in allen Stadien der parlamentarischen Behandlung verlangte, wurde ein Schritt getan, der die Benachteiligung der dritten Amtssprache beseitigen helfen soll [11].
 
Kirchen
Im Zusammenhang mit der Bewegung in den Kirchen fühlten sich kirchliche Kreise vermehrt zu einem politischen Engagement verpflichtet. So riefen junge evangelische Theologen anlässlich der Zwinglifeiern in Zürich nach Reformen und nach einem Heraustreten der Kirchen aus ihrem Glasgehäuse zum Kampf für eine gerechtere Welt [12]. Auf dem, Gebiet der Entwicklungshilfe intensivierte sich die Zusammenarbeit protestantischer und katholischer Organisationen bei der Aufklärung der Bevölkerung und bei Geldsammlungen; die Kirchenleitungen empfahlen den Kirchgemeinden, feste Entwicklungshilfebeiträge in ihre Voranschläge aufzunehmen [13]. Den veränderten konfessionellen Verhältnissen entsprach es, wenn der Tessiner Staatsrat gleichzeitig mit der Bildung einer besonderen tessinischen Diözese die Revision eines Verfassungsartikels beantragte, der die römisch-katholische Konfession zur Staatsreligion erklärt; dadurch soll den protestantischen Kirchgemeinden die öffentlich-rechtliche Anerkennung verschafft werden [14]. Anderseits meldeten sich in katholischen Kantonen konservative Widerstände gegen eine Einschränkung der Zahl der allgemeinen Feiertage in Anpassung an das eidgenössische Arbeitsgesetz; so wurde im Kanton Freiburg eine Verlegung des Festes « Mariä Empfängnis » auf den folgenden Sonntag, die als Kompensation für eine dritte obligatorische Ferienwoche gedacht war, mit dem fakultativen Referendum angefochten und vom Volk verworfen [15].
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R.G.
 
[1] Vgl. SPJ, 1967, S. 127. Der Kommission gehört auch F. Jotterand, der Initiator der Gespräche mit Bundesrat Tschudi, an (vgl. NZZ, 693, 25.11.69, und SPJ, 1967, S. 127).
[2] Um die gleiche Frage ging es auch bei der Krise am Schauspielhaus Zürich (vgl. NZZ, 727, 15.12.69; 739, 22.12.69; Vr, 299, 22.12.69). Zu Dürrenmatt vgl. NZ, 493, 27.10.69; zum Protest vgl. BN, 343, 19.8.69; NZZ, 507, 20.8.69; zur Kunsthalle Bern vgl. GdL, 69, 24.3.69; PS, 68, 25.3.69; Bund, 89, 18.4.69; 224, 25.9.69; Tw, 73, 28.3.69; TdG, 87, 15.4.69; H. SZEEMANN, «Kunst: Wo bleibt die Kontestation? » in Die Schweiz, Nationales Jahrbuch der NHG, 41/1970, S. 297 ff.
[3] NZZ, 53, 2.2.70; Mitteilungen der Zentralen Informationsstelle für Fragen des Schul- und Erziehungswesens in der Schweiz, 1969, Nr. 34/35, S. 21.
[4] Vgl. SPJ, 1966, S. 125; 1968, S. 129; BBI, 1969, I, S. 1184 ff.; Debatte des NR am 26.9. (Sten. Bull. NR, 1969, S. 580 ff.), des StR am 17.12.(Sten. Bull. StR, 1969, S. 354 ff.).
[5] NZZ, 17, 9.1.69; 293, 16.5.69; 309, 23.5.69.
[6] Vgl. SPJ, 1966, S. 125; TLM, 53, 22.2.69; 57, 26.2.69; 63, 4.3.69; 70, 11.3.69; NZ, 114, 11.3.69; Bund, 58, 11.3.69; NZZ, 153, 11.3.69.
[7] Vgl. oben, S. 22 f.
[8] BBI, 1969, I, S. 1054 ff.; II, S. 1509 f. Vgl. JdG, 17, 22.1.69; GdL, 115, 20.5.69; Tw, 225, 26.9.69; NZZ, 711, 5.12.69.
[9] GdL, 294, 17.12.69; TdL, 351, 17.12.69; vgl. dazu NZZ, 735, 19.12.69.
[10] O. REVERDIN, « Le français, la francophonie, la France et la Suisse », in Schweizer Monatshefte, 49/1970, S. 902 ff.; TdG, 6, 8.1.69; GdL, 7, 10.1.69; NZZ, 18, 10.1.69; 661, 6.11.69.
[11] Verhandl. B.vers., 1969, I, S. 25. Vgl. NZZ, 346, 10.6.69.
[12] Die beiden wichtigsten kirchenpolitischen Ereignisse, die Einleitung eines Vernehmlassungsverfahrens über die konfessionellen Ausnahmeartikel und der Papstbesuch in Genf werden oben, S. 16 und S. 47 f., dargestellt. Zum Ruf nach Reformen vgl. Vr, 18, 23.1.69; NZN, 18, 23.1.69; NZ, 36, 23.1.69; Bund, 20, 26.1.69.
[13] Vgl. oben, S. 50; NZZ, 669, 11.11.69; 678, 16.11.69; NZN, 209, 10.9.69; Vat., 223, 26.9.69.
[14] Das Abkommen vom 24.7.1968 wurde vom Grossen Rat ratifiziert (NZZ, 622, 14.10.69). Vgl. NZZ, 283, 9.5.69; 663, 7.11.69.
[15] Vgl. SPJ, 1968, S. 146, und unten, S. 160.
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