Année politique Suisse 1970 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung / Stimmrecht
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Frauenstimmrecht
Die Vorlage des Bundesrates für die Einführung des Frauenstimmrechts in eidgenössischen Angelegenheiten [5] fand in keinem der beiden Räte Opposition. Der Nationalrat nahm im Juni zunächst zu einer Motion Arnold (soz., ZH) Stellung, welche die politische Gleichberechtigung der Frau durch ausdehnende Anwendung des Begriffs «Schweizer» in Art. 74 der Bundesverfassung auf beide Geschlechter, also ohne Referendum, herbeiführen wollte. Nicht zuletzt wegen der eindeutigen Verwerfung des Frauenstimmrechts in der eidgenössischen Abstimmung vom 1. Februar 1959 lehnte der Rat eine Umgehung des Volksentscheids ab [6]. Nationalrat Schwarzenbach (ZH) beantragte, man solle zuerst eine Frauenbefragung durchführen; dies wurde jedoch als Ausweichmanöver verworfen. Im Ständerat führte Nänny (rad., AR) die Gefahr für die Landsgemeinde als Grund für seine Stimmenthaltung an. In beiden Räten wurde bedauert, dass die Vorlage sich auf das Stimmrecht in eidgenössischen Angelegenheiten beschränkte, andere Voten dagegen rechtfertigten das stufenweise Vorgehen damit, dass es eine Beteiligung der Frauen bereits an den Nationalratswahlen von 1971 ermögliche [7]. Der Sprecher des Landesrings im Nationalrat nahm die beibehaltene Regelung, dass kantonale Ausschliessungsgründe wie Armengenössigkeit oder Steuerschulden auch für das eidgenössische Stimmrecht gültig sind, zum Anlass, auf einen Ausgleich unter den kantonalen Stimmrechtserfordernissen zu dringen [8].
Auf kantonaler Ebene lagen zum Zeitpunkt der Verhandlungen in den eidgenössischen Räten sowohl ermutigende wie ernüchternde Ergebnisse vor. Im April sprach sich das Wallis als letzter überwiegend französischsprachiger Kanton für das volle kantonale und kommunale Frauenstimmrecht aus, und zwar ergaben sich auch in allen deutschsprachigen Bezirken starke annehmende Mehrheiten [9]. Überraschend wirkte die Einführung des obligatorischen Gemeindefrauenstimmrechts an der Nidwaldner Landsgemeinde; es geschah dies auf Antrag eines Komitees junger Nidwaldner, nachdem die Behörden den politischen Gemeinden die Einführung des neuen Rechts hatten freistellen wollen [10]. Dagegen wandten sich beide Appenzeller Landsgemeinden gegen jede Heranziehung der Frau zu öffentlichen Angelegenheiten [11]. Ende September versagten auch die St. Galler den Frauen die Möglichkeit der Gleichberechtigung auf Gemeindeebene [12]. Doch im Spätherbst nahm eine neue Erfolgsreihe ihren Anfang: Ende Oktober führte Luzern als erster katholischer Kanton der deutschen Schweiz mit starkem Mehr das volle politische Mitbestimmungsrecht der Frau ein [13], und Mitte November folgte Zürich, während in Solothurn in einem neuen Anlauf mindestens das Gemeindefakultativum durchdrang [14]. In weiteren Kantonen (Aargau, Schaffhausen, Schwyz und Zug) gediehen Vorlagen für die volle Einführung bis zur Abstimmungsreife [15]. So standen am Jahresende die Chancen für einen Durchbruch im eidgenössischen Urnengang nicht schlecht [16]. Im Aktionskomitee der Befürworter waren alle Parteien vertreten, erstmals auch die PdA, was nicht unbeanstandet blieb [17].
 
[5] Vgl. SPJ, 1969, S. 15.
[6] Sten. Bull. NR, 1970, S. 432 ff. Vgl. SPJ, 1969, S. 15, Anm. 33. Das Postulat Gerwig (soz., BS), das die Einführung durch Gesetzesrevision empfahl, wurde kurz zuvor zurückgezogen (Verhandl. B.vers., 1970, II, S. 25).
[7] Verhandlungen im NR am 23.6. und 1.10. (Sten. Bull. NR, 1970, S. 442 ff. und 600), im StR am 23.9. (Sten. Bull. StR, 1970, S. 265 ff.).
[8] Einreichung eines Postulats Ketterer (LdU, ZH) (Verhandl. B.vers., 1970, II, S. 28).
[9] Annahme am 12.4. mit 26 263: 9895 Stimmen; Stimmbeteiligung 65 %; nur 8 verwerfende Gemeinden (TLM, 103, 13.4.70).
[10] NZZ, 187, 24.4.70; Vat., 96, 27.4.70.
[11] NZZ, 188, 24.4.70; 191, 27.4.70. Vgl. unten, S. 164.
[12] Verwerfung am 27.9. mit 26 950 : 24 129 Stimmen; Stimmbeteiligung 55 %; nur 16 annehmende Gemeinden (Ostschw., 226, 28.9.70).
[13] Annahme am 25.10. mit 25 170 : 14 781 Stimmen; Stimmbeteiligung 51 %; 52, annehmende und 55 verwerfende Gemeinden (Vat., 248, 26.10.70).
[14] Zürich: Annahme am 15.11. mit 115 839 : 57 010 Stimmen; Stimmbeteiligung 59 %; 110 annehmende und 61 verwerfende Gemeinden (AZ, 266, 16.11.70). Solothurn: Annahme am 15.11. mit 20 544 : 10 627 Stimmen; Stimmbeteiligung 53 %; nur 15 verwerfende Gemeinden (NZ, 529, 16.11.70; Bund, 269, 17.11.70); vgl. dazu SPJ, 1968, S. 24.
[15] Vgl. unten, S. 164 f.
[16] Vgl. Lb, 297, 21.12.70; gk, 47, 23.12.70. Am 7.2.71 wurde die Vorlage mit 621 403: 323 596 Stimmen und 15% : 6% Ständen angenommen.
[17] Vat., 301, 30.12.70.