Année politique Suisse 1970 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik / Aussenwirtschaftspolitik
Zur Pflege der bilateralen Beziehungen besuchten verschiedene ausländische Minister Bern zu Wirtschaftsgesprächen
[164]. Mit den Ostblockländern wurden die Kontakte aktiviert. Eine sowjetische Delegation weilte auf Einladung des Vororts in der Schweiz und unterzeichnete bei dieser Gelegenheit das 1968 paraphierte Uhrenabkommen. Leiter des Vororts und verschiedener Unternehmungen nahmen Einladungen zu Gegenbesuchen an. Basler Chemieunternehmungen unterzeichneten in Moskau Verträge über technische Zusammenarbeit, und schweizerische Delegationen führten dort Gespräche über die Lieferung von russischem Erdgas sowie über die Sicherung des gewerblichen Rechtsschutzes
[165]. Verschiedene osteuropäische Länder bekundeten den Wunsch, die rund zwanzig Jahre alten Handelsverträge zu erneuern und zu modernisieren. Entsprechende Kontakte wurden mit Bulgarien, Jugoslawien, Rumänien und Ungarn aufgenommen
[166]. Leicht getrübt war das Verhältnis zu den USA. Wegen der protektionistischen Handelsgesetzgebung unternahm die Schweiz nach anderen Nationen eine handelspolitische Demarche in Washington. Die langwierigen Gespräche über ein Rechtshilfeabkommen mit den Amerikanern führten zu einem provisorischen Entwurf
[167]. Mit unseren Nachbarländern wurde der intensive Handel fortgesetzt. Zu Komplikationen kam es mit Italien wegen des Lastwagentransitverkehrs
[168] und wegen der Fremdarbeiterfrage
[169]. In den Freizonen um Genf entstand einige Aufregung wegen einer von Paris ausgehenden Umfrage bei den Unterpräfekten der betroffenen Gemeinden. In Genf befürchtete man, Frankreich wolle unter dem Druck der EWG auf die Aufhebung der Zonen drängen
[170]. Ein Zusatz zum Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich, der in der Schweiz ansässigen Aktionären von französischen Gesellschaften Vorteile bringt, wurde ratifiziert und konnte in Kraft treten
[171]. Die Auseinandersetzungen um das Doppelbesteuerungsabkommen mit der Bundesrepublik Deutschland belasteten die sonst guten Beziehungen zu unserem nördlichen Nachbarn. Finanzminister Möller, der von deutschen Parlamentariern und Nachrichtenmagazinen unterstützt wurde, drückte seine Besorgnis über die Steuerflucht in die Schweiz aus; Grossverdiener nähmen bei uns Wohnsitz und Unternehmungen profitierten mit Hilfe von sogenannten Brief kastengeselischaften von den Vorteilen der «Steueroase Schweiz» und vereinzelt sogar von einer missbräuchlichen Ausnützung des Doppelbesteuerungsabkommens. Die schweizerischen Behörden führten die Steuerflucht auf das Steuergefälle zurück und hielten daran fest, dass die Steuerpflicht vom Wohnsitz abhängig gemacht werden müsse. Sie waren einzig bereit, die Verlegung des Wohnsitzes in die Schweiz zu erschweren. Über den Inhalt der Aussprache zwischen deutschen und schweizerischen Delegationen wurde nichts bekannt. Die Bonner Regierung arbeitete unterdessen ein « Steueroasengesetz» aus, das dazu beitragen soll, die steuerflüchtigen Deutschen, die dem Fiskus einen Einnahmenausfall von 1 Mia Mark verursachen sollen, besser zu erfassen
[172].
Wesentliche selbständige Massnahmen, die in der Schweiz auf aussenhandelspolitischem Gebiet ergriffen wurden, waren konjunkturpolitisch motiviert. Vom gleichzeitigen Vollzug der letzten drei Abbaustufen aus dem Zollsenkungsabkommen (Kennedy-Runde des GATT) erwartete man allerdings keine .bedeutenden preisdämpfenden Wirkungen, obschon der Bundesrat den Handel aufforderte, die Zollreduktionen über die Preise an die Konsumenten weiterzugeben
[173]. Eine grössere konjunkturelle Wirkung hatte man sich von einem Exportdepot erhofft. Dieses wurde aber nach den harten Auseinandersetzungen im Parlament vom Bundesrat nicht in Kraft gesetzt
[174]. Die Einführung einer Investitionsrisikogarantie, die dazu beitragen soll, die schweizerischen Investitionen in den Entwicklungsländern zu fördern, stiess kaum auf Widerstand. Einzig die Vertreter der Partei der Arbeit lehnten sie als neokolonialistisches Instrument im Dienste der Kapitalisten ab. Ein Antrag von Nationalrat Fischer (rad., BE), der die Festsetzung des Gesamtbetrags der Garantieverpflichtungen einem referendumspflichtigen Bundesbeschluss vorbehalten wollte, unterlag eindeutig. Das Gesetz wie auch die Vollziehungsverordnung konnten im September in Kraft treten
[175]. Der Belebung des Aussenhandels, aber auch der allgemeinen Werbung für die Schweiz im Ausland sollte eine vom Bundesrat beantragte Erhöhung des Beitrags von bisher 1,5 Mio Fr. auf 2,8 Mio Fr. an die Schweizerische Zentrale für Handelsförderung dienen. Die Kommission des Nationalrates wollte indessen den Beitrag auf 2 Mio Fr. kürzen und den Beschluss auf fünf Jahre befristen, und zwar mit der Begründung, man habe es versäumt, eine neue Konzeption für die Werbung im Ausland zu entwerfen, und es fehle an einer Koordination zwischen den Stellen, die sich mit Image-Werbung befassen. Sozialdemokraten vertraten im Nationalrat die Auffassung, der Zeitpunkt für eine solche Vorlage sei in der Exportkonjunktur ungünstig gewählt und zudem sollte die Exportwirtschaft ihrerseits mehr für die Zentrale leisten. Beide Räte hielten wegen der grossen Bedeutung der Werbung für die Schweiz am Beitrag von 2,8 Mio Fr. fest, doch befristeten sie die Vorlage auf fünf Jahre
[176].
[164] Besuche des argentinischen Wirtschaftsministers (GdL, 33, 10.2.70; NZZ, 69, 11.2.70), des mexikanischen Industrie- und Handelsministers (NZZ, 167, 13.4.70), des südafrikanischen (NZZ, 276, 18.6.70), des österreichischen (NZZ, 419, 9.9.70), des neuseeländischen Finanzministers (NZZ, sda, 466, 7.10.70) sowie einer pakistanischen Delegation (NZZ, 465, 7.10.70); auch anlässlich des Besuches des indischen Staatspräsidenten wurden wirtschaftliche Probleme besprochen; vgl. oben, S. 41.
[165] GdL, 53, 5.3.70; 97, 28.4.70; NZZ, 195, 29.4.70; JdG, 60, 13.3.70; 134, 12.6.70; NZZ, 269, 14.6.70; GdL, 141, 20./21.6.70; TdG. 240, 14.10.70; NZZ, 342, 27.7.70; 512, 3.11.70; NBZ, 281, 2.12.70; NZZ, 593, 21.12.70.
[166] NZZ, 421, 10.9.70; 431, 16.9.70; Bund, 216, 16.9.70; NZZ, 504, 29.10.70; GdL, 222, 24.9.70; Ostschw., 201, 29.8.70; NZN, 57, 10.3.70.
[167] Vgl. oben, S. 41 und 75; siehe auch NZZ, 530, 13.11.70.
[168] Vgl. unten, S. 108.
[169] Vgl. unten, S. 135.
[170] Tat, 12, 15.1.70; JdG, 18, 23.1.70; 38, 16.2.70; Lib., 88, 19.1.70; 157; 11./12.4.70; Bund, 164, 17.7.70.
[171] NZZ, 31, 20.1.70; 446, 25.9.70; NZZ (sda), 289, 25.6.70.
[172] Für die Angriffe von deutscher Seite vgl. Ostschw., 167, 21.7.70; NZ, 327, 21.7.70; Bund, 181, 6.8.70; AZ, 183, 11.8.70; Stellungnahmen von schweizerischer Seite in NZZ, 186, 23.4.70; 245, 31.5.70; NZ, 342, 29.7.70; 556, 29.11.70; Vat., 246, 23.10.70 (Antwort auf Kleine Anfrage von NR Eisenring, k.-chr., ZH); AZ, 252, 30.10.70; innenpolitische Vorgänge in der Bundesrepublik: NZZ, 466, 7.10.70; 487, 20.10.70; 600, 25.12.70; 604, 29.12.70.
[173] Vgl. SPJ, 1969, S. 76; Vat., 42, 20.2.70; NZZ, 99, 1.3.70; AZ, 71, 28.3.70.
[174] VgI. oben, S. 64 ff.
[175] Vgl. SPJ, 1969, S. 77; BBI, 1969, II, S. 953 ff.; Sten. Bull. StR, 1969, S. 347 ff.; Sten. Bull. StR, 1970, S. 139; Sten. Bull. NR, 1970, S. 145 ff., 311; NZZ, 89, 23.2.70; 408, 3.9.70; AZ, 59, 13.3.70; 63, 18.3.70; AS, 1970, S. 1133 ff.
[176] BBI, 1970, I, S. 1253 ff.; Sten. Bull. NR, 1970, S. 503 ff., 857; Sten. Bull. StR, 1970, S. 440 ff., 467; NBüZ, 203, 11.7.70; NZZ (sda), 381, 18.8.70; NZZ, 567, 5.12.70; vgl. in diesem Zusammenhang die Werbung für die Schweiz an der Weltausstellung in Osaka: NZZ (sda), 183, 22.4.70; NZZ, 267, 12.6.70.
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