Année politique Suisse 1970 : Wirtschaft / Geld, Währung und Kredit / Geld und Währung
Der schweizerische Geld- und Kapitalmarkt war auch 1970 von einer Mittelknappheit gekennzeichnet. Dabei war festzustellen, dass vermehrt inländische Einflüsse den Kapitalmarkt bestimmten. Ein zeitweiliger Emissionsstop für Auslandanleihen trug zu einer relativ stärkeren Beanspruchung des Marktes durch schweizerische Anleihen bei
[12]. Angesichts des grossen inländischen Kapitalbedarfs wurde die Spartätigkeit des Schweizers als erheblich, aber immer noch unzureichend taxiert. Eine Untersuchung zeigte, dass die privaten Haushalte 1969 9 % des verfügbaren Einkommens sparten (gegenüber 0,3 % im Jahre 1938). Linkskreise vertraten die Meinung, vermehrtes Sparen in den Sektoren Haushalt und Versicherung könnte am besten durch eine wesentliche Hebung der Reallöhne gefördert werden
[13]. Obwohl die Zinssätze für dreimonatige Eurodollarguthaben von über 11 % auf 7 % sanken und deshalb vor allem gegen Ende des Jahres kurzfristige Gelder in die Schweiz zurückflossen, wurde wiederum verschiedentlich eine Abwanderung schweizerischen Kapitals ins Ausland festgestellt, die zu Kritik Anlass gab
[14]. Diese Vorwürfe, die sich vor allem gegen die schweizerischen Grossbanken richteten, wurden namentlich wegen des weiterhin steigenden Zinsniveaus laut. Dem Anstieg der Zinsen im Ausland folgte jener der Schweiz. Mit der damit verbundenen Aufwärtsentwicklung der Hypothekarzinsen stiegen auch die Mietpreise und die Preise der landwirtschaftlichen Produkte; damit wurde die Teuerung angeheizt. Die Kritiker befürchteten politische Konsequenzen dieser Entwicklung
[15]. Bundesrat Celio hatte in der Sommersession zweimal zu Zinsfragen Stellung zu nehmen. Er zeigte sich zwar besorgt, sah aber nur marginale Möglichkeiten, auf die Zinsentwicklung Einfluss zu nehmen, da dem Geldabfluss ins Ausland einzig mit der verpönten Devisenbewirtschaftung beizukommen wäre. Zudem wies er darauf hin, dass Zinssteigerungen die Sparkapitalbildung fördern und die Investitionstätigkeit abschwächen würden, was konjunkturpolitisch erwünscht sei
[16].
Nach der Ablehnung der Initiative « Recht auf Wohnung » häuften sich die Vorstösse, die Eingriffe in den Kapitalmarkt zugunsten des Wohnungsbaus forderten. Nationalrat Schürmann (k.-chr., SO) postulierte eine Verbesserung der Anlagemöglichkeiten in der Schweiz für kurzfristige Gelder, Wohnbauanleihen zu tieferen als marktüblichen Zinsen und Vorkehren zur Förderung des Bausparens. Nationalrat Freiburghaus (BGB, BE) begründete ein Postulat über die besondere Berücksichtigung der Kreditbedürfnisse der Gemeinden. Beide Postulate wurden bei der Budgetdebatte entgegengenommen. Die Anregung von Nationalrat Flubacher (rad., BL), mit Hilfe einer Kapitalexportsteuer die Hypothekarzinsen zu verbilligen, wies Bundesrat Celio hingegen aus verfassungsrechtlichen und praktischen Gründen zurück
[17]. Auch mit dem revidierten Bankengesetz sollen nach einer Äusserung Bundesrat Celios keine währungs- oder kreditpolitischen Ziele verfolgt werden. Ein Antrag von Nationalrat Fischer (BGB, TG), der die Banken verpflichten wollte, einen angemessenen Teil ihrer Passiven für das inländische Hypothekarkreditgeschäft zu verwenden, wurde denn auch mit 59 zu 23 Stimmen abgelehnt. Nationalrat Stich (soz., SO) zog seinen Antrag, der die Banken hätte veranlassen wollen, ihre Anlagen im Ausland auszuweisen, zurück
[18].
Verschiedentlich wurde der Vorwurf erhoben, die Begrenzung der Kreditzuwachsraten, wie sie 1969 zwischen der Nationalbank und der Bankiervereinigung vereinbart worden war, habe wesentlich zur Anspannung auf dem Kapitalmarkt und zur allgemeinen Zinserhöhung beigetragen
[19]. Bundesrat Celio gab in Beantwortung einer Interpellation Fischer (rad., BE) gegen diese Auffassung zu bedenken, dass mit der Kreditbegrenzung versucht wurde, die Nachfrage einzudämmen. Damit sei aber in keiner Weise das Kapitalangebot, das aus der Ersparnisbildung stamme, verknappt worden. Die Frage, inwieweit in dringenden Einzelfällen der Wohnungsbau von den Kreditrestriktionen ausgeklammert werden könne, solle geprüft werden
[20]. Nachdem sich die Bankenvertreter zunächst geweigert hatten, beschlossen die Vertragspartner (Nationalbank und Bankiervereinigung) eine Kürzung der vorgesehenen Zuwachsraten (ursprünglich 9 bis 11,5 % des Bestandes vom 1.7.1969) um 15 % mit Wirkung ab 1. Februar 1970
[21]. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage Biel (LdU, ZH) betonte der Bundesrat, die privatrechtliche Vereinbarung habe befriedigend funktioniert. Da die Frist für die Begrenzung Mitte 1971 ablaufe, sei man im Begriffe, Voraussetzungen für eine Verlängerung zu schaffen
[22]. Trotz dieser positiven Würdigung äusserten Vertreter der Wissenschaft und der Nationalbank die Meinung, Gentlemen's Agreements vermöchten ein wirksam ausgebautes Notenbankinstrumentarium nicht zu ersetzen
[23].
[12] Die Neubeanspruchung des Kapitalmarktes stieg bei den schweizerischen Emissionen von 2,34 Mia Fr. auf 2,90 Mia Fr., sank aber bei den ausländischen von 1,01 Mia Fr. auf 0,81 Mia Fr. Vgl. Die Volkswirtschaft, 44/1970, S. 77 f.; NZZ, 199, 1.5.70.
[13] « Vom Sparen in der Schweiz », in Bulletin der Schweizerischen Kreditanstalt, 76/1970, Juni, S. 10 ff.; Vat., 192, 21.8.70; Tw, 275, 24.11.70.
[14] Vgl. Bulletin der Schweizerischen Kreditanstalt, 76/1970, S. 35 ff.; Schweizerische Bankgesellschaft, Schweizerisches Wirtschaftsjahr 1970, Zürich 1970, S. 20 f.; für Kritik am Kapitalabfluss vgl. NZN, 167, 21.7.70; 266, 13.11.70; TdG, 158, 9.7.70; Tw, 212, 11.9.70; 221, 22.9.70.
[15] Tw, 85, 14.4.70; 104, 6.5.70; NZ, 205, 9.5.70; Lb, 136, 16.6.70; 201, 31.8.70; NBZ, 154, 6.7.70; GdL, 204, 2.9.70; Tat, 246, 20.10.70; Ostschw., 259, 5.11.70.
[16] Behandlung des Geschäftsberichtes des EFZD (NZ, 250, 5.6.70); Antwort auf eine Interpellation von Max Weber (soz., BE) in NZZ, 286, 24.6.70.
[17] Für die Budgetdebatte vgl. unten, S. 87, Anmerkung 189.
[18] Sten. Bull. NR, 1970, S. 749 f., 760 f., 770 f.
[19] NBüZ, 245, 26.8.70; NZ, 583, 17.12.70; NZZ, 599, 24.12.70.
[20] Alle aufgeführten Vorstösse von Nationalräten wurden von BR Celio anlässlich der Budgetdebatte in der Wintersession beantwortet oder entgegengenommen; vgl. Bund, 249, 25.10.70; NZZ, 563, 3.12.70; 564, 3.12.70; Verhandl. B. Vers., 1970, IV, S. 25, 34, 45, 52.
[21] NZ, 15, 11.1.70; 35, 22.1.70; NZZ, 34, 22.1.70; auch die «Kleinkredite» wurden der Kreditzuwachsbegrenzung unterstellt, vgl. NZ, 60, 6.2.70.
[22] Für Antwort auf Kleine Anfrage Biel vgl. NZZ, 597, 23.12.70; weitere Würdigungen der Kreditrestriktionen in Lb, 289, 11.12.70; TdG, 298, 21.12.70; AZ, 297, 22.12.70; wf, Dokumentations- und Pressedienst, 4, 25.1.71.
[23] Tw, 111, 15.4.70; Tat, 68, 21.3.70; NZZ, 247, 1.6.70; 376, 15.8.70; HUGO SIEBER und EGON TUCHTFELDT, Probleme der schweizerischen Geldpolitik, Bern 1970.
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