Année politique Suisse 1970 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung
Forschung
In ihren Bemühungen um eine
Neukonzeption der schweizerischen Forschungspolitik machten die zuständigen Gremien weitere Fortschritte. Der Wissenschaftsrat führte die im Vorjahr angekündigte Erhebung über die dringlichen Forschungsbedürfnisse in Form einer an Hochschulen, Verwaltung und Privatwirtschaft gerichteten Fragebogenaktion durch
[72]. Die Ergebnisse dieser Aktion sollten denjenigen früherer Erhebungen über die laufende Forschungstätigkeit gegenübergestellt werden; aus einem solchen Vergleich gedenkt man fundierte Empféhlungen für die staatliche Forschungspolitik zu gewinnen
[73]. Die Kommission zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Kommission Allemann) beschäftigte sich grundsätzlich mit der Eingliederung der wirtschaftlich motivierten Forschung in eine nationale Forschungspolitik, ohne zu abschliessenden Empfehlungen zu gelangen
[74]. Im Mai hielt die Forschungskommission für die Gesundheit, die bei der Übertragung der Förderung der angewandten medizinischen Forschung an den Nationalfonds vorgesehen worden war, ihre konstituierende Sitzung ab
[75].
Neben Grundlagen- und angewandter Forschung wurde die gesellschaftspolitisch motivierte Forschung, die die Wohlfahrt des einzelnen und der Gesellschaft zum Gegenstand hat, als ein dritter Typus gewertet. Da an diesem Forschungstypus weder die Hochschulen noch die Wirtschaft speziell interessiert sind, sollte der Staat die Rolle des Initiators und Förderers übernehmen
[76]. Der Wissenschaftsrat hatte sich in zwei Fällen mit der Frage der Gründung von sozialwissenschaftlichen Instituten zu befassen, für die ausführliche Expertenberichte vorlagen. Beim Institut für Konfliktforschung und beim Institut für Rechtsvergleichung, Rechtsdokumentation und Rechtsfortbildung sprach er sich für eine Trägerschaft des Bundes aus; die Projektstudien sollten weiter vorangetrieben werden
[77]. Bundespräsident Tschudi griff am 25jährigen Jubiläum der Landesbibliothek einen Gedanken der Expertenkommission für Fragen der wissenschaftlichen Dokumentation auf und forderte die Schaffung eines Schweizerischen Instituts für Informationswissenschaft
[78]. Der vom Wissenschaftsrat angeregte Dienst für eine schweizerische Statistik der Forschung und Entwicklung nahm im Januar seine Tätigkeit auf
[79].
Grosses Gewicht wurde auf die
Beteiligung der Schweiz an europäischen Forschungsprojekten gelegt, die sich wegen der Beschränktheit der Mittel eines Kleinstaats aufgedrängt. In den Diskussionen um das Super-CERN-Projekt, die sich namentlich um die Standortfrage drehten, wurde als weitere Alternative vorgeschlagen, die neuen Anlagen in enger Verbindung mit dem CERN in Meyrin (zur Hauptsache auf französischem Territorium) zu errichten; dieser Plan kam den schweizerischen Bedürfnissen entgegen
[80]. Da die molekularbiologische Forschung in der Schweiz schwerpunktmässig gefördert werden soll, entschloss sich der Wissenschaftsrat, auch die Beteiligung am Projekt eines europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie zu empfehlen; entsprechende Anträge machte er in bezug auf das «International Seismological Center» in Edinburgh und die internationale Kommission für die wissenschaftliche Erforschung des Mittelmeeres
[81]. Im April beteiligte sich eine schweizerische Delegation an Vorbereitungsgesprächen für eine wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit der EWG mit Drittländern. Dabei fanden vor allem Projekte eines europäischen Grosscomputers, eines meteorologischen Rechenzentrums und Probleme der Beeinträchtigung der Umwelt allgemeines Interesse. Der Bundesrat bejahte eine Weiterführung der Gespräche, die zu einer Konkretisierung der Projekte führen sollen
[82]. Mit einer repräsentativen Delegation war die Schweiz an der ersten UNESCO-Konferenz der europäischen Minister für Wissenschaft und Forschung vertreten. In einer Rede vor der Konferenz unterstützte Bundespräsident Tschudi einen britischen Vorschlag für internationalen Austausch von Experten für die Prüfung von Forschungsvorschlägen, und er sprach sich für eine intensivere Förderung der Geisteswissenschaften aus
[83].
[72] Vgl. SPJ, 1969, S. 136; Wissenschaftspolitik, 4/1970, H. 2, S. 7 ff.
[73] Vgl. Wissenschaftspolitik, 4/1970, H. 5, S. 5 ff.; H. 6, S. 13 ff. Der VSS übte am pragmatischen Vorgehen zur Beschaffung von Entscheidungsgrundlagen heftige Kritik; vgl. NZZ, 532, 15.11.70.
[74] Vgl. Mitteilungsblatt des Delegierten für Konjunkturfragen, 26/1970, H. 2, S. 21 ff.
[75] Vgl. SPJ, 1969, S. 136 f.; NZZ, 221, 15.5.70; Bund, 114, 20.5.70.
[76] Vgl. Rede von Prof. K. Schmid am Symposium über den Schutz unseres Lebensraumes, das vom 10.-12. November an der ETH Zürich durchgeführt wurde, in Wissenschaftspolitik, 4/1970, H. 6, S. 5 ff. Über den Lehrstuhl für Umweltschutz vgl. oben, S. 127.
[77] Vgl. Wissenschaftspolitik, 4/1970, H. 2, S. 77 ff.; H. 5, S. 25 ff.
[78] Vgl. NZZ, 246, 1.6.70; Wissenschaftspolitik, 4/1970, H. 3/4, S. 55 ff.
[79] Vgl. Wissenschaftspolitik, 4/1970, H. 5, S. 50.
[80] Vgl. NZZ, 379, 17.8.70; 471, 10.10.70; 558, 30.11.70; 600, 25.12.70; JdG, 287, 9.12.70; 297, 21.12.70; 298, 22.12.70.
[81] Vgl. Wissenschaftspolitik, 4/1970, H. 5, S. 13 ff.; Schweizerischer Wissenschaftsrat, Jahresbericht 1970, S. 27 f.
[82] Vgl. Wissenschaftspolitik, 4/1970, H. 5, S. 46 ff.
[83] Vgl. NZZ, 289, 25.6.70; 293, 28.6.70; NZ, 284, 25.6.70.
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