Année politique Suisse 1971 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
 
Raumplanung und Bodenrecht
Auf dem Gebiete des Bodenrechts und der Landesplanung wurden 1971 wesentliche Schritte unternommen. Im Januar legte, die von Nationalrat Schürmann präsidierte Expertenkommission einen Vorentwurf zur Ausführungsgesetzgebung zum Artikel 22quater der Verfassung vor [1]. Dieser Entwurf zu einem Raumplanungsgesetz sah eine Zonierungspflicht für die Kantone vor. In Gesamtrichtplänen sollten innert sieben Jahren Bauzonen, Schutz- und Erholungsgebiete, Land- und Forstwirtschaftszonen sowie übriges Gebiet (Pufferzonen) ausgeschieden werden. Als Baugebiet sollte nur Land in Frage kommen, das sich zur Besiedlung eignet, das bereits weitgehend überbaut ist oder in absehbarer Frist, das heisst in 15 Jahren, für eine geordnete Besiedlung benötigt wird und auch erschlossen werden kann. Als für jedermann verbindlich wurden die eigentlichen Nutzungspläne bezeichnet, die von den nach kantonalem Recht zuständigen Behörden aufgestellt werden sollen. Der Entwurf übertrug dem Bund Koordinationsfunktionen sowie die Verpflichtung, Leitbilder und ein Verzeichnis von Landschaften mit nationaler Bedeutung zu erstellen, Sachplanungen durchzuführen und den Kantonen Beiträge an die Kosten der Raumplanung auszurichten. Organisatorisch wurde zudem die Schaffung eines Bundesamtes für Raumplanung und eines konsultativen Raumplanungsrates vorgesehen. Der Entwurf sprach nur dann von materieller Enteignung, wenn durch die Planung die Nutzung des Bodens erschwert, untersagt oder verunmöglicht wird. Eine Zuteilung zum Land- oder Forstwirtschaftsgebiet wurde nicht als materielle Enteignung betrachtet. Der Entwurf wurde ins Vemehmlassungsverfahren übergeführt, ohne dass die Verwaltung dazu Stellung genommen hatte [2]. Gleichzeitig wurde auch der Bericht der unter dem Vorsitz von alt Regierungsrat Kim stehenden Arbeitsgruppe für Raumplanung veröffentlicht. Darin wurden Vorschläge für die Organisation der Raumplanung gemacht. Dieser Begriff wurde als Führungsinstrument für die Politik definiert. Die Arbeitsgruppe legte zudem einen Katalog von 24 materiellen Grundsätzen für die Raumordnung vor. Diese betrafen sämtliche Sachbereiche der Politik, auf die bei der Landesplanung Rücksicht genommen werden sollte [3].
Der Gesetzesentwurf und der Bericht « Raumplanung Schweiz » wurden in den meisten Kommentaren als ausgewogen, fortschrittlich, ja als « grosser Wurf » bezeichnet. Es wurde hervorgehoben, die Kommissionen hätten in kurzer Zeit eine beachtliche Leistung erbracht [4]. Auch in den gegen 130 Vernehmlassungen fand der Gesetzesentwurf als ganzes eine gute Aufnahme. Die Eingaben, die weitergehende Lösungen wünschten, und jene, denen der Entwurf zu weit ging, hielten sich ungefähr die Waage. Die Sozialdemokraten werteten den Entwurf als unreif und wollten die vorgeschlagene Konzeption in wesentlichen Punkten verlassen. Häufig wurde der Wunsch geäussert, die verwendeten Begriffe müssten geklärt und definiert werden. Vereinzelt wurde auch verlangt, dass schon das Gesetz den ganzen Fächer der materiellen Grundsätze enthalten sollte. Als am stärksten umstritten erwies sich indessen der Artikel, der den kantonalen Behörden in Ausnahmefällen ein Enteignungsrecht zugestehen wollte. Dieser wurde von Linkskreisen und von Planungsseite als unbedingt erforderliches Element bezeichnet, von seiten der Unternehmer und der Hauseigentümer hingegen zum Teil kategorisch abgelehnt. Kontrovers waren auch die sowohl vom Vorort wie auch von der Sozialdemokratie vorgeschlagenen Grundeigentümerbeiträge an die Erschliessungsaufwendungen, die Abschöpfung der Planungsgewinne sowie die Abgeltung allfälliger volkswirtschaftlicher Nachteile, die der Landwirtschaft durch die Bildung von Landwirtschaftszonen erwachsen könnten. Der Gewerbeverband kritisierte die Tatsache, dass der Gesetzesentwurf viele Kompetenzen nur zuordne, nicht aber genau umschreibe [5].
Im bereinigten Entwurf, den die Expertenkommission gegen Ende des Jahres dem EJPD zuleitete, war eine Reihe von Anregungen berücksichtigt. Der Zweckartikel wurde erweitert, der Planungszeitraum für die Ausscheidung von Siedlungsgebieten von 15 auf 20 Jahre erstreckt und die Verpflichtungen des Bundes materiell genauer umschrieben. Die Frist für die Erarbeitung der Gesamtrichtpläne wurde von 7 auf 5, jene für die Erstellung der Nutzungspläne auf 3 Jahre reduziert. Die kantonalen Behörden erhielten eine Erschliessungspflicht für Bauland auferlegt. Die Befugnis zur Erhebung von Grundeigentümerbeiträgen an die Erschliessungskosten war vorgesehen. Die Möglichkeiten der Enteignung von baureifem Land wurden auf jene Fälle beschränkt, in denen der Eigentümer keine wichtigen Gründe — wie späteren Eigenbedarf — dafür geltend machen kann, dass das Land noch nicht der Überbauung zugeführt wird. Mit dem Grundsatz der Abschöpfung von Mehrwerten aus der Planung wurde ein neues Element aufgenommen. Neben der interkantonalen Kooperation wurde auch die Zusammenarbeit mit den Planungsbehörden des benachbarten Auslandes vorgesehen, wie sie sich vor allem in der Regio Basiliensis [6] sowie im Bodenseeraum [7] aufdrängte. Schliesslich wurde dem Bund die Möglichkeit eingeräumt, an Bewirtschaften, deren Grundstücke als Erholungsräume beansprucht werden, Entschädigungen auszurichten, sofern dies auch die interessierten Kantone und Gemeinden tun [8].
Da das Raumplanungsgesetz auch bei speditiver Behandlung durch die Räte seine Wirkungen erst nach längerer Zeit wird voll entfalten können, legte der Bundesrat im November einen Entwurf zu einem dringlichen Bundesbeschluss vor. Dieser sollte die Kantone verpflichten, ohne Verzug, spätestens bis Ende 1972, jene Gebiete zu bezeichnen, die im Rahmen einer langfristigen Raumplanung voraussichtlich nicht zur Besiedlung bestimmt sind und in denen wichtige öffentliche Interessen eine Einschränkung oder Verhinderung der Bautätigkeit erfordern. Mit dieser dringlichen Massnahme sollten provisorisch Freihaltegebiete ausgeschieden und irreparable Schäden verhindert werden [9]. Im Vernehmlassungsverfahren, das bereits am 15. Dezember abgeschlossen wurde, fand auch dieser Vorschlag eine gute Aufnahme. Das Konzept wurde im allgemeinen gutgeheissen; die Schweizerische Volkspartei schlug freilich vor, anstatt der Freihaltegebiete die Siedlungsräume zu definieren und einzufrieren. Verschiedene Kantone, die aufgrund ihrer eigenen Gesetzgebung bereits eine mit dem neuen Bundesbeschluss gleichwertige Regelung getroffen hatten, wünschten, von der Unterstellung unter den Beschluss befreit zu werden. Es wurde auch vorgeschlagen, dem Bund selbst die Kompetenz einzuräumen, Freihaltegebiete auszuscheiden, falls die Kantone dies versäumten [10].
Während der Entwurf für ein Raumplanungsgesetz die Verfahrensvorschriften in den Vordergrund stellte und die Arbeitsgruppe Kim vor allem organisatorische Fragen behandelte, versuchten die Leitbildarbeiten weiterhin materielle Grundlagen für eine schweizerische Raumplanung bereitzustellen. Am Anfang des Jahres veröffentlichte das Institut für Orts-, Regional- und Landesplanung (ORL) an der ETH Zürich den zweiten Zwischenbericht. Es wurden zehn Varianten der Bevölkerungsentwicklung zur Diskussion gestellt. Sie reichten von einer Konzentration in zwei Ballungsräumen (Basel—Zürich, Genf—Lausanne) über eine Städteentwicklung in Achsen bis zu einem Modell mit « dispersen » Kleinstädten [11]. Im Kanton Freiburg stiessen diese Siedlungsdispositive auf Kritik, weil nach dortiger Meinung nur gerade eine der zehn Varianten «eine einigermassen anständige und befriedigende Entwicklung » des Kantons ermöglichen würde [12]. Umgekehrt bereitete die rasche unkontrollierte Entwicklung der grossen Städte Sorgen. Anlässlich des Zürcher Stadtfestes erliess der Münchner Oberbürgermeister Vogel einen eindringlichen Appell, endlich Massnahmen zur Schaffung menschengerechter Städte zu treffen [13]. Am Schweizerischen Städtetag standen neben den Grundsatzfragen der Planung vor allem die Probleme des Verkehrs, der in den grossen Agglomerationen kaum mehr zu bewältigen ist, im Vordergrund [14].
Die Dringlichkeit einer umfassenden Planung zeigte sich auch an den zum Teil vehementen Kritiken an der « Verschandelung der Landschaft » in Erholungsgebieten [15]. Die Zerstörung der Landschaften und der Verlust an Erholungsraum wurden zudem beklagt, als Zahlen über die Verkäufe von Grundstücken an Ausländer bekannt wurden. Die Zunahme des « Ausverkaufs der Heimat » wurde als erschreckend und alarmierend bezeichnet. Die 1970 verschärften Bestimmungen empfand man als ungenügend, weil der Bund nicht in der Lage sei, seinem Gesetz Nachachtung zu verschaffen [16]. Der Bundesrat beschloss angesichts dieser Kritik, eine Zwischenerhebung über die Verkäufe im ersten Quartal 1971 durchführen zu lassen; er ermächtigte zudem das EJPD, eine Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Problemkreises einzusetzen [17]. Damit das zum Verkauf ausgeschriebene Gotthard-Hospiz nicht in ausländische Hände falle, beteiligte sich der Bund mit 500 000 Fr. an der Stiftung « Pro St. Gotthard », die nach einer Lösung suchen soll [18]. Um Abbruchplänen zuvorzukommen, kaufte der Bund die Liegenschaft « Verte Rive » mit dem früheren Wohnsitz General Guisans [19]. Eine weniger glückliche Hand hatte der Bund beim Kauf einer Liegenschaft für Personalwohnungen in Lutry. Die Bezahlung eines übersetzten Preises für ein in die Landwirtschaftszone umgeteiltes Landstück gab Anlass zu genereller Kritik am Verhalten des Liegenschaftsdienstes der Bundesverwaltung [20]. Eine für die öffentliche Hand vorteilhaftere Situation ergab sich mit der Revision des Enteignungsgesetzes. Diese Revision hatte ursprünglich nur eine Beschleunigung des Verfahrens angestrebt. Der Nationalrat hatte aber eine neue Bestimmung eingeführt, derzufolge in Zukunft nicht mehr der Wert am Ende eines Enteignungsverfahrens für die Höhe der Entschädigung ausschlaggebend sein sollte, sondern der Verkehrswert im Zeitpunkt der Einigungsverhandlung. Der Ständerat unterstützte diese Lösung mit 26: 8 Stimmen [21].
 
[1] Vgl. SPJ, 1969, S. 106 ff.; 1970, S. 116 ff.
[2] Bund, 17, 22.1.71; NZZ, 34, 22.1.71; 43, 27.1.71; Vat., 17, 22.1.71.
[3] Sie betreffen insbesondere: Umweltschutz, Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur, Landwirtschaft, Industrie, Städtebau, Heimatschutz, Wald, Erholung und Tourismus, Verkehr, öffentliche Anlagen, Wasser und Gewässerschutz; NZZ, 35, 22.1.71; NZ, 48, 31.1.71; vgl. SPJ, 1970, S. 116.
[4] Bund, 18, 24.1.71; NZ, 36, 24.1.71; Lb, 21, 26.1.71; NZZ, 37, 24.1.71; 232, 21.5.71; Tw, 20, 26.1.71; BN, 58, 9.2.71.
[5] Für Übersicht über Vernehmlassungen vgl. NZZ, 339, 24.7.71 und Bund, 189, 16.8.71; vgl. auch SGB-Pressemitteilung, 28.4.71; NZZ, 201, 3.5.71 (Hauseigentümerverband); Tw, 209, 8.9.71 (SP); Schweiz. Gewerbe-Zeitung, 28, 9.7.71; wf, Dokumentations- und Pressedienst, 14/15, 5.4.71.
[6] NZ, 36, 24.1.71; 142, 28.3.71; 262, 13.6.71; 301, 6.7.71; NZZ, 455, 30.9.71.
[7] Vgl. oben, S. 109; NZZ, 190, 26.4.71; NZ, 253, 8.6.71; NBüZ; 343, 13.11.71; NZZ (sda), 557, 29.11.71; TA, 305, 30.12.71.
[8] TA. 253, 29.10.71; NZZ, 561, 1.12.71.
[9] TA, 268, 16.11.71; Lb, 269, 18.11.71; NZZ, 539, 18.11.71; 543, 21.11.71.
[10] SVP (NBZ, 294, 17.12.71); z. B. die Kantone ZH (NZZ, 580, 13.12.71; 585, 15.12.71), SO (NZZ, sda, 584, 15.12.71), BS (NZ, 581, 16.12.71), BL (NZ, 593, 23.12.71), SG (Vat., 300, 27.12.71).
[11] Landesplanerische Leitbilder der Schweiz, Zweiter Zwischenbericht, Zürich 1970 (Schriftenreihe zur Orts-, Regional- und Landesplanung, Nr. 6); Lb, 31, 6.2.71; 32, 8.2.71; 35, 11.2.71; NZZ, 61, 7.2.71.
[12] NZZ, 165, 9.4.71; 167, 13.4.71; La Gruyère, 52, 6.5.71; Lib., 204, 4.6.71; TdG, 15.6.71; TA, 139, 18.6.71.
[13] AZ, 147, 28.6.71; 152, 3.7.71; 158, 10.7.71; 164, 17.7.71; 166, 20.7.71; 176, 31.7.71; 182, 7.8.71; 188, 14.8.71; 306, 31.12.71. Vgl. auch Postulate, die am Städtetag der SP aufgestellt wurden : AZ, 36, 13.2.71; 37, 15.2.71; NZ, 75, 16.2.71; Tw, 38, 16.2.71.
[14] Lib., 288, 11./12.9.71; NZZ, 424, 12.9.71; TA, 213, 13.9.71; vgl. oben, S. 101f.
[15] Vgl. unten, S. 113.
[16] NZZ, 176, 18.4.71; Lb. 103, 6.5.71; AZ, 174, 29.7.71; Bund, 210, 9.9.71; Ww, 38, 24.9.71.
[17] NZZ, 438, 21.9.71; TA, 220, 21.9.71; vgl. auch Antwort auf die Kleine Anfrage von NR Schalcher (evp, ZH) (TA, 142, 22.6.71). Die Sondererhebung ergab eine erneute starke Zunahme der Grundstückverkäufe an Ausländer (Bund. 252, 28.10.71).
[18] NZZ, 491, 21.10.71; 558, 30.11.71; 562, 2.12.71.
[19] NZZ (sda), 373, 13.8.71.
[20] Vgl. Interpellation Teuscher (bgb, VD) (Sten. Bull. NR, 1971, S. 573 ff.; 1358 ff.) und Kleine Anfrage Baechtold (sp, VD), (NZZ, sda, 424, 12.9.71); Tat, 211, 8.9.71; NZ, 425, 16.9.71; TLM, 281, 8.10.71; NZZ (sda), 536, 17.11.71.
[21] Vgl. SPJ, 1970, S. 117; Sten. Bull. StR, 1971, S. 96 ff., 204; BBI, 1971, I, S. 527 ff.