Année politique Suisse 1971 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
Wohnungsbau
Im Vordergrund der Bemühungen um die Lösung der Wohnungsprobleme stand der
neue Verfassungsartikel 34sexies über die Wohnbauförderung. Nach der Verwerfung der Initiative « Recht auf Wohnung» hatte der Bundesrat einen Vorentwurf in die Vernehmlassung geschickt. Dieser wollte dem Bund die Kompetenz zur Gewährung von Darlehen für die Erschliessung von Bauland, zur Unterstützung von Bestrebungen auf dem Gebiete des Wohnungswesens, zur Förderung der Bau- und Wohnungsmarktforschung sowie zur Erleichterung der Kapitalbeschaffung für den Wohnungsbau geben
[22]. Fast alle befragten Kantone, Parteien und Verbände anerkannten die Notwendigkeit eines neuen Verfassungsartikels und begrüssten den Vorschlag
[23]. Einzig die Sozialdemokraten entwarfen eine Alternative; ihr zufolge hätte die Wohnbauförderung vor allem die Aufgabe, Wohnraum durch Gemeinden, Baugenossenschaften und gemeinnützige Institutionen zu schaffen. Der private Erwerb von Haus- und Wohnungseigentum wurde von dieser Seite nur bedingt unterstützt
[24]. Einige Kantone verlangten in einer gemeinsamen Eingabe die Wiedereinführung von Mieterschutzbestimmungen, wobei die vom Bund nicht voll genutzten Kompetenzen den Kantonen zukommen sollten
[25]. Die CVP beantragte, die Frage einer Gewinnmaximierung auf Grundeigentum zu prüfen
[26]. In verschiedenen Stellungnahmen wurden steuerliche Massnahmen zur Bekämpfung der Baulandteuerung und -hortung vorgeschlagen. Die Grundeigentümer sollten zur Deckung der Erschliessungs- und Infrastrukturkosten herangezogen werden. Vorab die mit dem Bauwesen vertrauten Organisationen befürworteten eine Vereinheitlichung und Vereinfachung der Bauvorschriften. Eine Reihe von Stellungnahmen befasste sich mit Finanzierungsproblemen. Der Wohnungsbau sollte in der Kapitalmarktpolitik Priorität erhalten; er sollte auch nicht unter die Kreditplafonierung fallen. Von Unternehmerseite wurde gewünscht, dass im Verfassungsartikel ausdrücklich gesagt werde, staatliche Förderungsmassnahmen seien nur subsidiär und nur auf jene Zeit anzuwenden, in denen die Lage auf dem Wohnungsmarkt gestört sei
[27].
Der in der
Botschaft vom 30. Juni veröffentlichte Verfassungstext wich nur in Nuancen vom Vorentwurf ab
[28]. Hingegen wurde, gestützt auf Eingaben der Kantone, des Gewerkschaftsbundes, der Kommission für Konsumentenfragen sowie des Mieterverbandes
[29], die Schaffung eines neuen Artikels 34septies vorgesehen. Dieser sollte den Bund befugen, zur Verhinderung von Missbräuchen im Miet- und Wohnungswesen Rahmenmietverträge allgemeinverbindlich zu erklären. Der Bundesrat beantragte, seine Förderungskonzeption als Gegenvorschlag zu der im Februar 1971 mit 59 000 Unterschriften eingereichten Wohnbauinitiative der Firma Denner
[30] zu betrachten und diese zur Ablehnung zu empfehlen.
In der
Detailberatung über die Wohnbauförderung im Nationalrat tauchten eine Reihe der im Vernehmlassungsverfahren gemachten Anregungen als Minderheitsanträge wieder auf. Der grösste Teil der von sozialdemokratischer Seite gewünschten Änderungen wurde freilich abgelehnt. Das gilt für die Forderungen nach Schaffung von Wohnraum durch Gemeinden, Baugenossenschaften und andere in gemeinnütziger Absicht handelnde Institutionen, nach einem Zusatz, der die verbilligten Grundstücke, Bauten und Wohnungen dauernd der Spekulation entziehen sollte, nach einer besseren Versorgung des Baulandes mit öffentlichen Verkehrsmitteln sowie nach einer Besteuerung von verwertbarem Bauland und nach einem Enteignungsrecht des Gemeinwesens an solchem Land. Anderseits wurde aber auch ein Antrag Eibel (fdp, ZH) abgelehnt. Dieser hatte in einem Zusatz dem Erwerb von Haus-, Wohnungs- und Stockwerkeigentum vermehrtes Gewicht beimessen wollen. Schliesslich wurde eine von Fischer (bgb, TG) vorgeschlagene Ergänzung verworfen, welche die Arbeitgeber verpflichtet hätte, für einen Teil ihrer Mitarbeiter den notwendigen Wohnraum zu beschaffen. Hingegen wurde die von Debétaz (fdp, VD) vorgetragene Forderung einer starken Kommissionsminderheit nach einem Mieterschutz mit 65 zu 48 Stimmen angenommen. Es wurde vorgesehen, dass der Bund Bestimmungen zum Schutze der Mieter vor missbräuchlichen Mietzinsen und Forderungen erlassen kann, wobei diese Befugnis den Kantonen zukommen sollte, würde der Bund von ihr nicht oder nur teilweise Gebrauch machen. Diese letzte Ergänzung wurde allerdings im Ständerat wieder gestrichen, und zwar mit der Begründung, dass man nicht 25 verschiedene Mietnotrechte nebeneinander haben sollte. Der Nationalrat schloss sich dieser zentralistischeren Lösung an. Beide Räte genehmigten schliesslich den bereinigten Verfassungsartikel, schrieben die Standesinitiative des Kantons Neuenburg ab, da deren Forderungen erfüllt waren, verlängerten das geltende Wohnbauförderungsgesetz bis längstens Ende 1973 und empfahlen, die Denner-Initiative abzulehnen
[31].
Die Vorbereitung des neuen Wohnbauartikels stand unter einem ständigen Druck, der durch eine Vielzahl von Vorstössen von verschiedenster Seite ausgeübt wurde. Das hätte sich besonders deutlich in der Frühjahrssession gezeigt, als der Nationalrat oppositionslos dem vom Ständerat bereits 1970 genehmigten Bundesbeschluss über die Bewilligung von weiteren 400 Mio Fr. für die Kapitalbeschaffung zur Förderung des Wohnungsbaus zustimmte
[32]. Bei dieser Gelegenheit hatte sich Bundesrat Brugger mit nicht weniger als acht parlamentarischen Vorstössen auseinanderzusetzen. Die Motionen der Nationalräte Eisenring (cvp, ZH), der ein Wohnbau-Notprogramm für die grossen Städte gefordert hatte, und Berger (sp, ZH), der den sozialen Wohnungsbau hatte fördern wollen, wurden in Postulate umgewandelt. Weitere fünf Postulate wurden entgegengenommen, das besonders umstrittene von Nationalrat Debétaz (fdp, VD) für einen Mieterschutz allerdings nur «aus Sympathie zur Westschweiz»
[33].
[22] Vgl. SPJ, 1970, S. 123; BN, 22, 16./17.1.71; BBI, 1971, I, S. 1691.
[23] Übersicht über Vernehmlassungen in BBl, 1971, I, S. 1691 ff.; NZZ, 116, 11.3.71; Bund, 65, 19.3.71.
[24] AZ, 23, 29.1.71; Tw, 25, 1.2.71; NZ, 54, 3.2.71; vgl. auch Stellungnahme des Mouvement populaire suisse des familles (MPF) (VO, 32, 9.2.71).
[25] Es handelt sich um die Kantone BS, FR, GE, NE, TI, VD; vgl. TLM, 16, 16.1.71; 58, 27.2.71; Tw, 48, 27. /28.2.71.
[27] Zentralverband schweiz. Arbeitgeberorganisationen (NZZ, 154, 2.4.71); SGV (Schweiz. Gewerbe-Zeitung, 8, 19.2.71; 15, 19.4.71); wf, Dokumentations- und Pressedienst, 9, 1.3.71; 13, 29.3.71.
[28] BBI, 1971, I, S. 1657 ff.; GdL, 169, 23.7.71; NZZ, 337, 23.7.71; TA, 168, 23.7.71; Tw, 168, 23.7.71.
[29] Memorandum der unter Anm. 147 angeführten Kantone; SGB (gk, 27, 29.7.71; Tw, 179, 4.8.71); Eidg. Kommission für Konsumentenfragen (Bund, 38, 16.2.71); vgl. auch Rassemblement en faveur d'une politique sociale du logement: GdL, 10, 14.1.71.
[30] Vgl. SPJ, 1970, S. 120. NZ, 58, 5.2.71; Denner beschloss, die Initiative nicht zurückzuziehen (NZZ, 475, 12.10.71).
[31] Sten. Bull. NR, 1971, S. 1250 ff., 1299 ff., 1397, 1608 ff., 1712; Sten. Bull. StR, 1971, S. 775 ff., 883.
[32] Vgl. SPJ, 1970, S. 121, 123.
[33] Sten. Bull. NR, S. 143 ff., 190 ff., 211 ff., 301.
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