Année politique Suisse 1971 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit
 
Mitbestimmung
Die Bewegung für eine Mitbestimmung des Arbeitnehmers im ökonomischen Sektor trat 1971 in eine neue Phase. Nachdem im Vorjahr der Bundesvorstand des CNG über ein Zusammenwirken der Arbeitnehmerorganisationen bei der Lancierung einer Mitbestimmungsinitiative sondiert hatte [19], fanden sich Mitte März der CNG, der SGB und der Schweizerische Verband evangelischer Arbeitnehmer (SVEA) zu einer solchen Aktion zusammen [20]. Der Bund sollte in Art. 34ter die Befugnis erhalten, « Vorschriften aufzustellen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen in Betrieb, Unternehmung und Verwaltung ». Zur Vermeidung einer Auseinandersetzung um Einzelheiten war der Initiativtext kurz und einfach formuliert worden. Vorerst ging es den Initianten um einen Grundsatzentscheid. Bereits nach fünf Monaten konnte das Volksbegehren mit 161 160 Unterschriften eingereicht werden [21]. Es war die 100. eidgenössische Initiative seit der Einführung dieses Volksrechts im Jahr 1891. 33 648 Unterschriften stammten aus dem Kanton Bern, 21 012 aus dem Kanton Zürich, dagegen relativ wenige aus der welschen Schweiz. Der Vorstoss und spin vorläufiger Erfolg erzeugten lebhafte Diskussionen in den verschiedenen Kornmunikationsmedien. In Arbeitgeberkreisen stiess die Initiative auf Ablehnung [22]. Aber auch verschiedene Arbeitnehmerorganisationen begegneten ihr mit Skepsis [23]. Der hauptsächlichste Einwand der Kritiker lautete, dass die wirtschaftliche Ordnung sich nicht demokratisieren lasse. Ein Mitbestimmungsrecht sei bei den spezifischen Interessen der Arbeitnehmer vertretbar, nicht aber bei den ökonomischen Entscheidungsbefugnissen. — Der Gemeinderat der Stadt Zürich (Legislative) überwies eine Motion über die Förderung der Demokratie am Arbeitsplatz, nachdem dieselbe noch im Vorjahr vom Stadtrat zur Ablehnung empfohlen worden war [24].
 
[19] Vgl. SPJ, 1970, S. 138; ferner auch CMV-Zeitung, 47, 25.11.70; 48, 2.12.70.
[20] TLM, 67, 8.3.71; 76, 17.3.71; Tw, 63, 17.3.71; 65, 19.3.71; 70, 25.3.71; 71, 26.3.71; Vat., 63, 17.3.71; 66, 20.3.71; NZZ, 126-128, 17. u. 18.3.71; gk, 12, 18.3.71. B. Hardmeier, in Gewerkschaftliche Rundschau, 63/1971, S. 99 ff. u. 259 ff.; vgl. ferner das Mitbestimmungsprogramm des SGB, ebd., S. 1 ff. u. 241 ff.
[21] BBl, 1971, II, S. 780 f.; gk, 29, 26.8.71; Tw, 198, 26.8.71; Vat., 197, 26.8.71; BN, 356, 26.8.71; Lb, 198, 27.8.71.
[22] wf, Dokumentations- und Pressedienst, 12, 22.3.71; 35, 30.8.71; Ww, 12, 26.3.71; AZ, 71, 26.3.71; 78, 3.4.71; NZZ, 145, 28.3.71; 205, 5.5.71; Politische Rundschau, 50/1971, S. 17 ff. Ablehnung durch den Vorstand des Zentralverbandes schweizerischer Arbeitgeber-Organisationen: NZZ (sda), 220, 13.5.71. Differenzierte Stellungnahme der Vereinigung Christlicher Unternehmer (VCU): Vat., 101, 3.5.71; NZN, 118, 24.5.71; Mitteilungen der VCU, 23/1971, S. 42 ff.
[23] Vgl. unten, S. 184 f.; Ww, 12, 26.3.71; NBüZ, 95, 1.4.71; GUSTAV EGLI, « Die liberalen Arbeitnehmer und die Mitbestimmung », in Politische Rundschau, 50/1971, S..36 ff.
[24] NZZ, 129, 18.3.71; vgl. auch SPJ, 1970, S. 137 f.