Année politique Suisse 1971 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Jugendpolitik
Die Bemühungen des Bundes, eine systematische Jugendpolitik zu erarbeiten, wurden weitergeführt und verstärkt. Mit der Veröffentlichung des vom EDI geförderten Berichtes «Jugend und Gesellschaft» war der Öffentlichkeit eine Untersuchung von vier Genfer Soziologen zugänglich gemacht, die verschiedene Modelle einer Jugendpolitik aufzeigte [52]. Der Bericht kam zum Schluss, dass zur Förderung eines direkten Kontakts zwischen Jugend und Erwachsenengesellschaft Konsultativ- und Forschungsorgane eingerichtet und die bestehenden Jugendorganisationen vermehrt finanziell unterstützt werden sollten. Biese Forderungen, die auch im Parlament zur Sprache kamen [53], führten zur Einsetzung einer Studiengruppe für Fragen einer schweizerischen Jugendpolitik [54]. Nach Ansicht des Nationalrates hätte sich der Bund durch die Schaffung moderner Bildungsmittel auch vermehrt um den staatsbürgerlichen Unterricht der Jugend zu kümmern [55]. Mit der Frage des zunehmenden Rauschgiftkonsums durch Jugendliche setzte sich das Parlament bei der Behandlung des Geschäftsberichts des EJPD auseinander. Der Bundesrat erklärte sich bereit, eine weitere Revision des Betäubungsmittelgesetzes einzuleiten in dem Sinn, dass einerseits der Konsum gewisser weicher Drogen straffrei bliebe, während anderseits der Rauschgifthandel schärfer bestraft würde. Weiter sollte der Bund Forschung und Aufklärung, aber auch die Einrichtung von Beratungsstellen für Jugendliche, wie sie in einigen Städten bereits bestehen, auf breiterer Basis fördern [56].
Zu dem 1970 von Volk und Ständen gutgeheissenen Verfassungsartikel über die Förderung von Turnen und Sport legte der Bundesrat den eidgenössischen Räten die Ausführungsgesetzgebung vor [57]. Der Gesetzesentwurf sah neben dem obligatorischen Turnunterricht von drei Wochenstunden für Knaben und Mädchen während der Volksschulzeit eine vom Bund subventionierte Aktion « Jugend und Sport » vor, die an die Stelle des Vorunterrichts treten und Knaben und Mädchen auf freiwilliger Basis Unterricht in etwa dreissig Sportarten ermöglichen sollte. Der Nationalrat erstreckte das Obligatorium für Turn- und Sportunterricht auch auf die Berufsschulen und kam damit einer Forderung der Sozialdemokraten nach. Ein sozialdemokratischer Antrag auf sofortige Übertragung der Eidgenössischen Turn- und Sportschule vom EMD auf das EDI wurde zurückgezogen, nachdem der Chef des EMD zugesichert hatte, dass diese mit der Revision des Gesetzes über die Organisation der Bundesverwaltung erfolgen werde [58].
Durch das Scheitern des Experiments eines autonomen Jugendzentrums in Zürich waren auch Projekte in andern Städten gefährdet [59]. Jugendhausbesetzungen in Genf und eine ultimative Forderung nach einem autonomen Jugendzentrum in Lausanne wurden von den Behörden nicht akzeptiert [60]. In Bern konnte dagegen im November ein autonomes Jugendzentrum eröffnet werden; auftretende Schwierigkeiten liessen sich im Gespräch zwischen Jugendlichen und Behörden bewältigen [61]. Auch in Basel ermöglichten neue Formen der Jugendbetreuung, vor allem die Einrichtung von Wohngemeinschaften, die durch kirchliche Kreise getragen werden, die Vermeidung von Konflikten [62].
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P.E.
 
[52] Jugend und Gesellschaft, Wegzeichen zu einer Jugendpolitik, Einsiedeln 1971. Vgl. SFJ, 1969, S. 130.
[53] Postulat Borel (fdp, GE): Sten. Bull. StR, 1971, S. 47; Kleine Anfrage Chavanne (sp, GE): NZZ (sda), 424, 12.9.71.
[54] NZZ (sda), 38, 24.1.72.
[55] Postulate Duss (cvp, LU) und Schaffer (sp, BE): Sten. Bull. NR, 1971, S. 953 ff. Vgl. auch Postulat Salzmann (ldu, BE): Verh. B.vers., 1971, V, S. 36.
[56] Vgl. SPJ, 1968, S. 117; Sten. Bull. StR, 1971, S. 256 f.; Postulat Andermatt (fdp, ZG): ebenda, S. 260 ff.; Sten. Bull. NR, 1971, S. 608 ff. 1971 wurden 3680 Personen wegen Betäubungsmittelvergehen in Strafuntersuchung gezogen. Der Anteil der Minderjährigen stieg von 47 % (1969) auf 75 % (1971): Gesch.ber., 1971, S. 93 f.
[57] Vgl. SPJ, 1970, S. 148; BBI, 1971, II, S. 789 ff.
[58] Sten. Bull. NR, 1971, S. 1619 ff. Die Vernehmlassungen des Schweiz. Lehrervereins und des Vereins Schweiz. Gymnasiallehrer hatten Unterstellung unter das EDI verlangt: Schweiz. Lehrerzeitung, 16, 22.4.71; Gymnasium Helveticum, 25/1971, S. 107; vgl. auch Domaine public, 146, 2.3.71. Vgl. oben, S. 20 f.
[59] Zu wissenschaftlichen Untersuchungen über die Zürcher Jugend vgl. Tat, 45, 23.2.71; SJ, 35, 4.9.71. Zu den Kundgebungen Jugendlicher vgl. oben, S. 16 f. Vgl. SPJ, 1970, S. 148.
[60] Genf: JdG, 116, 21.5.71; 127, 4.6.71; TdG, 119-121, 25.-27.5.71; Lausanne: TLM, 145, 25.5.71; GdL, 120, 26.5.71.
[61] Bund, 262, 9.11.71; 267, 15.11.71.
[62] NZ, 237, 28.5.71.