Année politique Suisse 1972 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen
 
Situation der öffentlichen Finanzen
Die Situation der öffentlichen Finanzen präsentierte sich im Jahre 1972 recht unerfreulich. Auf allen staatlichen Ebenen machte sich ein zunehmendes Auseinanderklaffen von Ausgaben und Einnahmen bemerkbar, was sich, im Widerspruch zu den konjunkturpolitischen Erfordernissen, in fast ausnahmslos defizitären Rechnungen und Voranschlägen niederschlug. So wiesen die Staatsrechnungen der Kantone für 1971 insgesamt ein Rekorddefizit von rund 830 Mio Fr. (Vorjahr : 246 Mio Fr.) aus. Im Vergleich zu den Voranschlägen warteten nur noch zwei Drittel aller Kantone mit besseren Rechnungsergebnissen auf, während dies in früheren Jahren gewöhnlich für alle Stände der Fall gewesen war. Ausgerechnet finanzstarke Kantone wie Baselstadt, Baselland und Zürich hatten die grössten Ausgabenüberschüsse zu registrieren. Auch die kantonalen Voranschläge für 1973 sind samt und sonders defizitär. Die budgetierten Ausgabenüberschüsse belaufen sich insgesamt wie 1972 auf eine Summe von rund 1,2 Mia Fr. Zur finanzpolitisch angespannten Lage trugen sodann noch die Gemeinden bei, die nach einer Schätzung der Eidg. Steuerverwaltung für 1973 mit Defiziten in der Höhe von 900 Mio Fr. zu rechnen haben [1].
Auch beim Bund hat sich die Finanzlage ernsthaft verschärft. Die Staatsrechnung 1971 schloss in der Finanzrechnung mit einem Ausgabenüberschuss von 294 Mio Fr. ab, was den Reinertrag der Gesamtrechnung auf 64 Mio Fr. zurückgehen liess [2]. Die mit dem grössten Defizit der Nachkriegszeit aufwartende Finanzrechnung gab denn auch in beiden Räten Anlass zu Diskussionen. Man war sich indessen allgemein einig, dass die Lage nicht dramatisiert werden dürfe. Vielmehr sei der schlechte Abschluss als Warnzeichen zu sehen, aus dem es die nötigen Konsequenzen zu ziehen gelte. Während der Ständerat die Rechnung einstimmig genehmigte, stellte im Nationalrat der Zürcher Biel (Idu) den Antrag, dieselbe sei abzulehnen. Der Votant bemängelte vor allem die massiven Kreditüberschreitungen durch das EMD. In der Schlussabstimmung sprach sich jedoch der Nationalrat mit grossem Mehr für die Annahme der Staatsrechnung aus [3]. Sehr unerfreulich fiel auch der Rechnungsabschluss der Eidgenossenschaft für das Jahr 1972 aus. Anstelle des für die Finanzrechnung veranschlagten Einnahmenüberschusses von 180 Mio Fr. ergab sich ein Defizit von 247 Mio Fr., wodurch der mit 418 Mio Fr. budgetierte Reinertrag der Gesamtrechnung auf 146 Mio Fr. zurückging [4]. Immerhin kam der schlechte Abschluss der Staatsrechnung 1972 nicht ganz unerwartet, hatte doch das Parlament unter zweien Malen Nachtragskredite in der Höhe von insgesamt 777 Mio Fr. zu bewilligen [5].
 
[1] wf, Dokumentations- und Pressedienst, 23, 5.6.72 ; 51/52, 18.12.72 ; NZZ (sda), 261, 7.6.72 ; 595, 20.12.72 ; Die Volkswirtschaft, 46/1973, S. 30 ff. ; Ergänzung nach Angaben der Eidg. Steuerverwaltung. Vgl. auch SPJ, 1971, S. 84.
[2] Botschaft des Bundesrates ... zur Staatsrechnung ... für das Jahr 1971. Vgl. auch SPJ, 1971, S. 84.
[3] Amtl. Bull. NR, 1972, S. 684 ff., S. 894 ; Amtl. Bull. StR, 1972, S. 413 ff., S. 427 ff., S. 462 f. ; BBl, 1972, I, Nr. 27, S. 1811 f. ; vgl. auch oben, S. 51.
[4] NZZ, 119, 13.3.73 ; ferner SPJ, 1971, S. 84.
[5] Amtl. Bull. NR, 1972, S. 1231 ff., S. 2087 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1972, S. 401 ff., S. 747 f. ; BBI, 1972, I, Nr. 27, S. 1813 f. ; II, Nr. 53, S. 1629 f.