Année politique Suisse 1972 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
 
Verkehrspolitik
Für die Ausarbeitung einer Gesamtverkehrskonzeption wurde nunmehr eine ausserhalb der Verwaltung stehende Kommission eingesetzt und zugleich eine weitreichende Zielsetzung formuliert. Der Bundesrat stützte sich dabei auf die Vorschläge des 1970 bestellten vorberatenden Ausschusses unter dem Vorsitz von Nationalrat A. Hürlimann (cvp, ZG). Die neue Kommission umfasste 62 Vertreter der Verkehrsträger, der Verkehrsbenützer, verschiedener wirtschaftlicher und sozialer Interessen, der Wissenschaft, der Kantons- und Stadtbehörden sowie der Bundesverwaltung. Diese Trägerschaft sollte ein möglichst kontinuierliches Zusammenwirken von Sachbearbeitern und Interessengruppen ermöglichen ; für die Koordination mit den einzelnen Verwaltungszweigen sah man periodische Kontakte, insbesondere Konferenzen mit allen betroffenen Abteilungschefs, vor. Zur Wahrung der Funktionsfähigkeit des umfänglichen Organs wurde ein geschäftsführender Ausschuss eingesetzt, der im wesentlichen aus den Mitgliedern des Vorberatungsgremiums bestand ; ihm wurde ein Sachbearbeiterstab unter der Leitung von Prof. C. Hidber beigegeben. Das Präsidium des Ganzen übernahm wiederum A. Hürlimann. Die Formulierung der Zielsetzung trug den einander teilweise entgegengesetzten Ansprüchen an das Verkehrssystem Rechnung, indem sie ein optimales Verhältnis zwischen individuellen und allgemeinen Interessen, zwischen Wirtschaftlichkeit und Umwelterhaltung sowie zwischen Wettbewerb und Raumplanung postulierte. Das System sollte als Ganzes konzipiert werden, aber zugleich im Rahmen der föderalistischen Referendumsdemokratie Teil um Teil realisierbar sein ; um bei den erforderlichen politischen Entscheiden Pannen zu vermeiden, sah man eine breite Meinungsbildung durch fortgesetzte Information der Öffentlichkeit vor. Für die Ausarbeitung der Konzeption wurde eine Zeit von fünf Jahren veranschlagt ; damit unaufschiebbare verkehrspolitische Einzelentscheidungen die langfristige Planung nicht präjudizierten, sollte die Kommission ausnahmsweise zur Begutachtung solcher Fälle herangezogen werden [2].
Die Einsetzung der Kommission wurde eher mit Zurückhaltung aufgenommen ; dass die Gesamtkonzeption nicht vor 1976 zu erwarten sein würde, gab zu Bedenken Anlass [3]. Widerspruch forderte der Direktor des Eidg. Amtes für Verkehr, P. Trachsel, heraus, als er die bisherige Verteilung der Verkehrsaufwendungen auf individuelle und kollektive Verkehrsträger anfocht und einer Neutralisierung der Mittel für das Verkehrswesen, insbesondere einer Freigabe der Treibstoffzölle für Investitionen ausserhalb des Strassenbaus, das Wort redete [4]. Auf die Problematik einer vollen Befriedigung der Verkehrsnachfrage wies eine Perspektivstudie hin, die von der Arbeitsgruppe Kneschaurek gemeinsam mit einem Unterorgan des vorbereitenden Ausschusses für eine Gesamtverkehrskonzeption veröffentlicht wurde [5].
 
[2] Bericht über die Vorbereitungsarbeiten zur Einsetzung einer Kommission für die schweizerische Gesamtverkehrskonzeption, Bern 1971 (vervielf.). Ernennung der Kommission und des Sachbearbeiterstabs : NZZ (sda), 80, 17.2.72 ; 291, 25.6.72 ; Gesch.ber., 1972, S. 242. Vgl. SPJ, 1970, S. 103 f. ; 1971, S. 101.
[3] GdL, 20, 25.1.72 ; TA, 20, 25.1.72 ; VO, 21, 26.1.72 ; NZZ, 45, 27.1.72 ; Tat, 25, 29.1.72 ; wf, Dokumentations- und Pressedienst, 5, 31.1.72. Kritischer : Bund, 23, 28.1.72 ; Tw, 247, 20.10.72.
[4] Vorträge an der ETH Zürich und am Städtetag in Lausanne (Documenta, 1972, Nr. 1; S. 19 ff.; Nr. 8, S. 7 ff.) ; Kritik von Prof. H. R. Meyer in NZZ, 138, 22.3.72. Vgl. auch die St.Galler Dissertation von Karl Bauer, Die Gleichbehandlung der Verkehrsträger durch den Staat, Ein Beitrag zur Diskussion um die schweizerische Gesamtverkehrskonzeption, Bern 1972.
[5] Arbeitsgruppe Perspektivstudien/Arbeitsgruppe Verkehrsprognosen der GVK-CH, Entwicklungsperspektiven der schweizerischen Volkswirtschaft bis zum Jahre 2000, Teil VII, Perspektiven des schweizerischen Verkehrswesens, 2 Bde, Bern-St. Gallen 1972.