Année politique Suisse 1972 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
Strassenbau
Im
Nationalstrassenbau feierte man 1972 Halbzeit ; zu Beginn des Jahres waren nunmehr 40 % des Netzes im Betrieb und weitere 17 % im Bau. Bis Jahresende wurden die befahrbaren Strecken von 745 auf 770 km erweitert ; an Strassenstücken mit einer Gesamtlänge von 363 km (Ende 1971 : 323 km) wurde gebaut. Die Bauaufwendungen überschritten erneut den vorgesehenen Betrag (1080 statt 1030 Mio Fr.), da die Wetterverhältnisse den Baufortschritt begünstigten, die Teuerung aber stark zunahm. So stieg der Vorschuss des Bundes auf 2780 Mio Fr. Angesichts der verschärften Finanzlage wurden für 1973 nur noch 960 Mio Fr. budgetiert
[23].
Die Überprüfung des langfristigen Bauprogramms und der Finanzierungsbasis, mit der sich die Beratende Kommission für den Nationalstrassenbau beschäftigt hatte, führte zu konkreten Ergebnissen. Die Finanzierungsvorlage, die eine neue Erhöhung des Treibstoffzollzuschlags und das A-fonds-perdu-Beitrags des Bundes zum Ziele hatte, fand im Februar auch die Zustimmung des Ständerates, in welchem freilich Kritik gegen die vorzeitige Inkraftsetzung des Zollzuschlags laut wurde
[24]. Im Mai entschied der Bundesrat über die Revision des Bauprogramms, wobei er gleichfalls den Vorschlägen der Kommission folgte. Nur die Erstellung der neuen Axenstrasse und der zweiten Gotthardtunnelröhre wurde über 1986 hinaus erstreckt. Von den zahlreichen Vorverschiebungswünschen der Kantone fand allein ein bündnerisches Begehren für die N 13 im Misox, wo der Bahnbetrieb eingestellt wurde, Berücksichtigung
[25].
Über die regionale
Linienführung kam es erneut zu
lebhaften Auseinandersetzungen. Abgesehen von der Opposition gegen den Autostrassenbau in Grossstädten
[26] standen Bewegungen im Zürcher Weinland und im Luzernbiet im Vordergrund, die sich auf den Landschaftsschutz beriefen und in Bern von parlamentarischen Vorstössen unterstützt wurden. Im Kanton Zürich ging es um die neu ins Nationalstrassenprogramm aufgenommene Abzweigung von der N 4, die einerseits den Anschluss an eine von Stuttgart nach Singen führende Autobahn bringen, anderseits aber auch als Teilstück einer von deutscher Seite geplanten Schnellstrasse Basel-Bodensee dienen sollte. Im Kanton Luzern erregte die vorgesehene Route am Ostufer des Sempachersees Anstoss. Bundesrat Tschudi erklärte sich zu einer Überprüfung der Planung bereit, gab jedoch zu bedenken, dass jede Umprojektierung die Bauarbeiten stark verzögern werde
[27]. Widerstände meldeten sich gleichfalls gegen kantonale Strassenprojekte, insbesondere im Kanton Zürich, wo eine Initiative lanciert wurde, nach welcher grössere Kredite für Erstklassstrassen dem Referendum unterstehen sollten
[28]. Der kantonale Hochleistungsstrassenbau wurde aber wie der eidgenössische nicht nur durch ein zunehmendes Umweltbewusstsein, sondern ebensosehr durch die Verknappung der öffentlichen Mittel gehemmt
[29]. Zur Entlastung der Kantonsbudgets erfolgten deshalb neue Vorstösse für eine Ausrichtung von Bundesbeiträgen an die Unterhaltskosten der Nationalstrassen. Der Bundesrat lehnte jedoch eine vorzeitige Sonderregelung ohne Rücksicht auf die Gesamtverkehrskonzeption und die allgemeine Neuordnung des Finanzausgleichs ab
[30].
[23] Gesch.ber., 1972, S. 51 ff. ; Bund, 38, 15.2.73. Vgl. SPJ, 1971, S. 104. Der Halbzeittermin wurde durch einen Dokumentarfilm des Eidg. Amtes für Strassen- und Flussbau markiert (BN, 90, 1.3.72 ; NZZ, sda, 103, 1.3.72).
[24] Amtl. Bull. StR, 1972, S. 5 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1972, S. 145 f. ; AS, 1972, S. 651 ff. Vgl. SPJ, 1971, S. 103.
[25] Gesch.ber., 1972, S. 51 ; Bund, 104, 4.5.72 ; NZZ, 206, 4.5.72. Vgl. SPJ, 1971, S. 103 u. 107.
[26] Vgl. die Kontroverse um das Y in Zürich oben, S. 92 f., sowie Opposition gegen die Einführung der N 12 in Bern (Tw, 211, 10.9.71 ; 57, 8.3.72 ; 65, 17.3.72 ; Bund, 251, 27.10.71).
[27] Weinland : NZZ, 303, 2.7.72 ; 440, 21.9.72 ; 580, 12.12.72 ; Ldb, 161, 14.7.72 ; 173, 28.7.72 ; TA, 209, 8.9.72 ; NZZ (sda), 474, 11.10.72 ; Motionen von NR Akeret (svp, ZH) und StR Graf (svp, SH) (Verhandl. B.vers., 1972, III, S. 21 u. 54). Sempachersee : NZZ, 97, 27.2.72 ; Vat., 180, 4.8.72 ; Postulat Müller (cvp, LU) (Amt!. Bull. NR, 1972, S. 1335 ff.).
[28] TA, 276, 25.11.72 ; NZZ, 556, 28.11.72. Vgl. auch Ldb, 158, 11.7.72.
[29] Vgl. ZH (NZZ, 563, 1.12.72 ; 592, 19.12.72), ferner BE (Bund, 104, 4.5.72) und TG (Ldb, 235, 10.10.72).
[30] Vgl. Motion Riesen (sp, FR) (Amtl. Bull. NR, 1972, S. 2040 ff.) ; ähnliche Forderungen enthielten die Motionen Letsch (fdp, AG) und Theus (svp, GR) zum Finanzausgleich (vgl. oben, S. 77).
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