Année politique Suisse 1972 : Infrastruktur und Lebensraum / Erhaltung der Umwelt
 
Gewässerschutz
Die Vorarbeiten für neue Bundesverfassungsartikel über Bewirtschaftung und Erhaltung des Wassers führten zu einem Antrag des Bundesrates ans Parlament. Der Entwurf fasste die bisherigen Artikel 24 bis (Nutzbarmachung der Wasserkräfte) und 24 quater (Schutz vor Verunreinigung) zusammen und erweiterte sie, wobei eine elektrizitätswirtschaftliche Bestimmung des geltenden Artikels 24 bis als neuer Artikel 24 quater ausgeschieden wurde. Der Bund dehnt danach seine Gesetzgebungsbefugnis auf neue Gebiete aus (hydrologische Erhebungen, Planung, Erhaltung der Wasservorkommen, Sicherstellung der Versorgung, Kühlwasserentnahme, Bewässerung und Entwässerung sowie sonstige Eingriffe in den Wasserkreislauf) und behält sich allgemein die Möglichkeit des Vollzugs durch eigene Organe vor. Damit folgte der Entwurf einer zentralistischen Tendenz, ohne sich aber über föderalistische Einwände, die namentlich von wasserreichen Kantonen geäussert wurden, völlig hinwegzusetzen [7].
Das 1971 von den Räten verabschiedete neue Gewässerschutzgesetz trat auf den 1. Juli in Kraft. Ergänzende Verordnungen setzten insbesondere den Kantonen Fristen für die Ausarbeitung von Sanierungsplänen sowie für die Ausscheidung der Schutzzonen und verboten die Verwendung von nicht biologisch abbaubaren Wasch- und Reinigungsmitteln. Als beratendes und koordinierendes Organ bestellte der Bundesrat eine Eidg. Gewässerschutzkommission [8],
Ende 1972 standen 479 (Ende 1971 : 423) Abwasserreinigungsanlagen im Betrieb, an die 54,6 % (Ende 1971: 49,8 %) der Bevölkerung angeschlossen werden können [9]. Erneut wurde aber betont, dass die bisher angewandten Reinigungstechniken nicht genügten. Zugleich wurde verlangt, dass die Industrie ihre Abwässer vermehrt in den Betrieben selber reinige und auf die Produktion von besonders wasserschädigenden Stoffen überhaupt verzichte [10]. Besondere Probleme stellen die Grenzgewässer. Über die Errichtung einer rechtsrheinischen Kläranlage bei Basel konnte mit Baden-Württemberg ein Staatsvertrag paraphiert werden, der das südbadische Haltingen als Standort vorsieht. Über das links-rheinische Gegenstück kam es mit Frankreich noch zu keiner Einigung, nachdem ein erstes Projekt auf elsässischem Boden am Widerstand der ansässigen Bevölkerung gescheitert war. Der Bundesrat erklärte auf eine parlamentarische Anfrage, dass notfalls ein Standort auf Schweizer Boden in Betracht gezogen werden müsse [11]. An einer Konferenz der Rheinanliegerstaaten im Haag verpflichtete sich die Schweiz, sich an den Kosten von Massnahmen zu beteiligen, welche die Verschmutzung des Rheins durch Abfälle der elsässischen Kaligruben eindämmen sollen. Mit Italien wurde ein Abkommen über den Schutz der Grenzgewässer unterzeichnet, das nach dem Beispiel der bereits mit den anderen Nachbarstaaten getroffenen Vereinbarungen die Einsetzung einer zwischenstaatlichen Kommission vorsieht [12]. In der Nordostschweiz regten sich Besorgnisse über badisch-württembergische Pläne zur Ableitung von Bodenseewasser nach dem Neckar, die auch den Bau eines Regulierwerkes am Ausfluss des Untersees erfordern würden [13]. Auf die Auseinandersetzungen über energiewirtschaftliche Eingriffe in den Wasserhaushalt ist schon hingewiesen worden [14].
 
[7] BBI, 1972, II, Nr. 44, S. 1148 ff. Vgl. SPJ, 1971, S. 121.
[8] Gesetz : AS, 1972, Nr. 24, S. 950 ff.; vgl. SPJ, 1971, S. 120 f. Verordnungen : AS, 1972, Nr. 24, S. 967 ff. Kommission : NZZ, 369, 10.8.72.
[9] Information des Eidg. Amtes für Umweltschutz.
[10] So Prof. W. Stumm, Direktor der Eidg. Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Bund, 262, 7.11.72).
[11] Vertrag zwischen BS und Baden-Württemberg : NZ, 439, 28.11.72. Verhandlungen mit Frankreich : NZ, 233, 31.5.72 ; Amtl. Bull. NR, 1972, S. 2470 (Kleine Anfrage Waldner, sp, BL) ; vgl. SPJ, 1970, S. 126.
[12] Rheinschutzkonferenz : NZZ, 508, 31.10.72. Abkommen mit Italien : BBI, 1972, II, Nr. 45, S. 1197 ff.
[13] Parlamentarische Vorstösse in SH (NZ, 391, 17.10.72), BS (BN, 327, 19.10.72) und TG (Ldb, 259, 7.11.72) ; vgl. ferner NZZ (sda), 498, 25.10.72 ; NZZ, 524, 9.11.72.
[14] Vgl. oben, S. 88.