Année politique Suisse 1972 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Frauen
Die 1971 wieder in Gang gekommene Auseinandersetzung über die Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 100 der Internationalen Arbeitsorganisation, welches die Stellung der Frau bei der Entlöhnung mit derjenigen des Mannes in Übereinstimmung bringen soll [38], konnte zu einem Abschluss gebracht werden. Beide Kammern genehmigten ohne Gegenstimmen den Ratifikationsbeschluss [39]. Namentlich von den Nationalrätinnen Frey (fdp, NE) und Uchtenhagen (sp, ZH) wurde indessen darauf hingewiesen, dass man in der Praxis noch weit von der Durchführung des Grundsatzes entfernt sei.
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Schwangerschaftsunterbrechung
Die soziale Zurücksetzung der Frau wurde auch von den Befürwortern einer straflosen Schwangerschaftsunterbrechung geltend gemacht. Ihre im Vorjahr eingereichte Initiative erregte die Gemüter in einem immer intensiver werdenden Meinungsbildungsprozess. Zahlreiche Ärzte, Naturwissenschafter und Juristen traten für sie ein [40]. Die sozialdemokratischen Frauen, die Geschäftsleitung der SP, der SGB sowie der Verband für Frauenrecht nahmen gleichfalls im positiven Sinne Stellung [41]. Aus den Reihen der Solothurner Freisinnigen, wo man sich während eines Jahres mit dem Problem befasst hatte, gingen zwei Interpellationen auf kantonaler und eine Motion auf Bundesebene hervor : Nationalrat Eng (fdp, SO) forderte eine Revision der Bestimmungen des Strafgesetzbuches (Erweiterung des Indikationenkatalogs), und die kantonsrätlichen Vorstösse betrafen die Ermöglichung des legalen Schwangerschaftsunterbruchs in kantonalen Spitälern sowie die Sexualerziehung und Beratung [42]. Die Gegnerschaft rekrutierte sich vor allem aus den Kreisen der Kirche und der Ärzteschaft [43], Ein Komitee sammelte für eine Petition unter dem Motto « Ja zum Leben — Nein zur Abtreibung » mehr als 180 000 Unterschriften [44].
 
[38] Vgl. SPJ, 1971, S. 132 ; ferner Tat, 72, 24.3.72 ; TA, 168, 21.7.72.
[39] Amtl. Bull. StR, 1972, S. 172 ff. ; Amtl. Bull. NR, S. 931, ff. ; NBüZ, 86, 17.3.72 ; 191, 16.6.72 ; Schweizerische Handelszeitung, 15, 13.4.72.
[40] Antoinette Stucki-Lanzrein, Die legale Schwangerschaftsunterbrechung, Bern 1972 ; Straflose Schwangerschaftsunterbrechung — Warum ? (Beiträge von G. Flöckiger, M. Favre, A. M. Rey u. a.), Bern 1972 ; «Zum Thema Abtreibung » (Beiträge von F. Böckle, I. Geisendörfer, F. Kiesching u. a.), in Schweizer Rundschau, 71/1972, S. 226 ff.; Myriam Meuwly, « Avortement, drame ou délit : Les Suisses divisés », in GdL, 1972, 39, 40, 42, 43, 45-47, 97 ; NZZ, 9, 6.1.72 ; NZ, 142, 26.3.72 ; 261, 24.6.72 ; Tat, 253, 28.10.72 ; 288, 8.12.72. Zum Verhältnis der Schwangerschaftsunterbrechung zur Umweltschutzproblematik, vgl. oben. S. 108.
[41] NZZ (sda), 42, 26.1.72 ; 61, 6.2.72 ; 289, 23.6.72 ; 531, 13.11.72.
[42] Bund, 186, 10.8.72 ; NZZ, 391, 23.8.72 ; 424, 11.9.72 ; Verhandl. B.vers., 1972, III, S. 30.
[43] NZZ, 23, 14.1.72: 255, 4.6.72 ; SJ, 20, 13./145.72 ; BN. 195, 17.5.72 ; 200, 24.5.72 ; Val., 100, 29.4.72 ; 132, 9.6.72 ; 258, 6.11.72 (Progressive Katholiken Luzern).
[44] Amtl. Bull. NR, 1972, S. 2351 ; NBüZ, 100, 29.3.72; NZZ (sda), 429 u. 430, 14.9.72 ; Lib., 291, 14.9.72 ; TG, 215, 14.9.72.