Année politique Suisse 1973 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen
Situation der öffentlichen Finanzen
Die Situation der öffentlichen Finanzen erfuhr 1973 eine
weitere ernsthafte Verschlechterung. Die öffentlichen Haushalte aller Stufen standen in vermehrtem Masse unter dem Einfluss einer im Verhältnis zur Einnahmenentwicklung überproportionalen Zunahme der Ausgaben. Die durch diese Ausgabenexplosion bedingten massiven Defizite liessen mit aller Deutlichkeit die finanzielle Überforderung der öffentlichen Gemeinwesen erkennen. Besonders augenfällig war dies bei den Kantonen. Deren Rechnungsabschlüsse für das Jahr 1972 fielen zwar fast durchwegs besser aus als budgetiert. Das ausgewiesene Gesamtdefizit belief sich indessen. auf 1 077 Mio Fr. (Vorjahr : 830 Mio Fr.), was neuen Rekord bedeutete. Extrem grosse Fehlbeträge hatten wiederum die finanzstarken Stände Zürich, Baselstadt, Baselland, Aargau und Genf zu verzeichnen. Im Vergleich zum Vorjahr (1971) vermochten nur zehn Kantone ein besseres Rechnungsergebnis zu erzielen. Wie in den vorangegangenen vier Jahren sind auch für 1974 die kantonalen Voranschläge ausnahmslos defizitär. Die veranschlagten Fehlbeträge halten sich jedoch mit insgesamt 1,2 Mia Fr. leicht unter dem Stand von 1973
[1]. Die massvolle Budgetierung war das Resultat einer zwischen dem Bundesrat und den Kantonsregierungen abgeschlossenen Vereinbarung über gemeinsame Richtlinien zur Aufstellung der Voranschläge für das Jahr 1974. Diese sah unter anderem vor, die Wachstumsrate der Gesamtausgaben im Rahmen der erwarteten Zunahme des nominellen Bruttosozialproduktes (rund 10 %) zu halten und allfällige Ausgabenüberschüsse auf die Grössenordnung der Rechnung 1972 oder des Voranschlages 1973 zu beschränken
[2]. Die Vereinbarung wurde von den Ständen mehrheitlich eingehalten. Nur die Kantone Glarus und Thurgau schenkten keiner der beiden Budgetrichtlinien Beachtung
[3]. Die Kantone hatten zudem gemäss der mit dem Bund getroffenen Vereinbarung auch bei den Gemeinden für eine massvolle Budgetierung einzutreten. Dies geschah nicht ohne Erfolg, belaufen sich doch die für 1974 geplanten Ausgabenüberschüsse auf 800 Mio Fr. (Vorjahr : 900 Mio Fr.)
[4].
Beim Bund verschlechterte sich die Haushaltlage ebenfalls rapid. Die sprunghaft steigenden Ausgaben und die zunehmende finanzielle Verflechtung mit den Kantonen liessen die Eidgenossenschaft in eine eigentliche Finanzklemme geraten. So schloss die Staatsrechnung für das Jahr 1972 in der Finanzrechnung mit Mehrausgaben von 247 Mio Fr. ab, wodurch der Reinertrag der Gesamtrechnung auf 146 Mio Fr. zurückging
[5]. In einem Kommentar betonte Bundesrat Cello, dass das Ergebnis noch viel schlechter ausgefallen wäre, hätte der Bund nicht zusätzliche Einnahmen (Wehrsteuern, Warenumsatzsteuern und Treibstoffzölle) mobilisieren können. Die Staatsrechnung wurde in der Folge vom Parlament oppositionslos genehmigt
[6]. Wesentlich schlechter als erwartet fiel namentlich der Rechnungsabschluss der Eidgenossenschaft für das Jahr 1973 aus. Statt dem budgetierten Fehlbetrag von 199 Mio Fr. ergab sich in der Finanzrechnung ein neues Rekorddefizit von 779 Mio Fr. Trotz dieser alarmierenden Verschlechterung konnte in der Gesamtrechnung dank buchungstechnischer Operationen der veranschlagte Reinertrag von 66 Mio Fr. auf 127 Mio Fr. erhöht werden. Der unerfreuliche Abschluss resultierte aus Ausgaben, welche die Voranschlagszahlen um 265 Mio Fr. überstiegen, während die Einnahmen um 315 Mio Fr. schlechter als geplant abschnitten
[7]. Dabei fiel ins Gewicht, dass das Parlament Nachtragskredite in der Höhe von insgesamt 537 Mio Fr. zu Lasten der Staatsrechnung bewilligt hatte
[8].
Nur mit grösster Mühe vermochte der Bundesrat die mit den Kantonen vereinbarten Budgetrichtlinien im
Voranschlag der Eidgenossenschaft für das Jahr 1974 einigermassen einzuhalten. Indessen gelang es der Landesregierung trotz rigoroser Kürzungen nicht, ein ausgeglichenes oder gar konjunkturneutrales Budget zu präsentieren. So sah der Voranschlag in der Finanzrechnung einen Ausgabenüberschuss von 195 Mio Fr., in der Gesamtrechnung einen Reinertrag von 456 Mio Fr. vor. Die das Budget begleitende Botschaft hielt fest, dass « wir als Kleinstaat der in allen Sektoren festzustellenden Explosion der Ansprüche mit beschränkten personellen und finanziellen Mitteln gerecht werden müssen »
[9]. In der parlamentarischen Beratung fanden die durch den Bundesrat vorgenommenen kräftigen Abstriche und Kürzungen — das geplante Defizit hatte ursprünglich 900 Mio Fr. betragen — in beiden Räten Anerkennung. Im Nationalrat kam es zu der üblichen Attacke der PdA auf das Militärbudget. Nachdem sich beide Kammern, der Ständerat erst im zweiten Anlauf, für zusätzliche Mittel auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Meliorationen ausgesprochen hatten, konnte der Voranschlag schliesslich mit einem Fehlbetrag von 206 Mio Fr. in der Finanzrechnung und einem Reinertrag von 423 Mio Fr. in der Gesamtrechnung verabschiedet werden
[10].
Angesichts der äusserst prekären Situation im Bereiche der öffentlichen Finanzen stellte sich die Frage nach einer Überwindung der finanziellen Engpässe mit aller Deutlichkeit. Dabei ging es um die Alternative, entweder die Ausgaben und damit die Leistungen der öffentlichen Gemeinwesen einzuschränken oder ihnen entsprechend den erhöhten Anforderungen vermehrte Mittel zur Verfügung zu stellen. So waren einerseits eine Reihe von Anstrengungen zu verzeichnen, welche für eine Drosselung der Ausgaben eintraten. Zunächst erliess der Bundesrat einschränkende Bestimmungen über den Budgetvollzug, welche die gestaffelte Freigabe von Krediten im Bereiche der Personal- und Investitionsausgaben des Bundes bezweckten. Diese Anordnungen wurden sodann in der zwischen Bund und Kantonen abgeschlossenen Budgetvereinbarung noch verschärft, indem sich alle Beteiligten verpflichteten, eine strikte Begrenzung des Personalwachstums sowie eine äusserst zurückhaltende Investitionspolitik zu betreiben
[11]. Im Sinne einer Lagebeurteilung in der Finanzplanung legte der Bundesrat ferner erstmals eine Studie über die « Perspektiven des Bundeshaushaltes für die Jahre 1975 und 1976 » vor. Darin forderte die Landesregierung in Anbetracht der düsteren Zukunftsaussichten unverzüglich Massnahmen, um die Ausgabenentwicklung auf ein tragbares Mass zu bringen
[12]. Die Finanzdelegation der eidgenössischen Räte rief zudem in ihrem Jahresbericht einmal mehr zum Sparen auf. Daneben kritisierte sie die oft aufwendigen Repräsentationskosten sowie den « Verwaltungstourismus » des Bundes
[13].
[1] wf, Dokumentations- und Pressedienst; 22/23, 4.6.73 ; 50, 10.12.73 ; NZZ (sda), 258, 6.6.73 ; Ww, 51, 19.12.73. Vgl. auch SPJ, 1972, S. 74.
[2] NZZ (sda), 253, 4.6.73 ; 281, 21.6.73 ; 385, 21.8.73 ; 438, 21.9.73 ; NZZ, 429, 16.9.73. Abdruck der Vereinbarung in TA, 184, 11.8.73.
[3] wf, Dokumentations- und Pressedienst, 50, 10.12.73 ; Ww, 51, 19.12.73.
[4] wf, Dokumentations- und Pressedienst, 9, 4.3.74 ; Die Volkswirtschaft, 47/1974, S. 26 ff. Vgl. auch SPJ, 1972, S. 74.
[5] Botschaft des Bundesrates ... zur Staatsrechnung ... far das Jahr 1972. Vgl. auch SPJ, 1972, S. 74 f.
[6] NZ, 130, 27.4.73 ; Amtl. Bull. NR, 1973, S. 966 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1973, S. 286 ff. ; BBl, 1973, I, Nr. 27, S. 1716 f.
[7] NZZ, 118, 12.3.74 ; NZ, 80, 12.3.74.
[8] Amtl. Bull. NR, 1973, S. 432 ff., 1533 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1973, S. 384 ff., 733 f. ; BBl, 1973, I, Nr. 27, S. 1718 f. ; II, Nr. 51, S. 1369 f.
[9] Botschaft des Bundesrates ... zum Voranschlag ... für das Jahr 1974; wf, Dokumentationsund Pressedienst, 44, 29.10.73 ; 9, 4.3.74.
[10] Amtl. Bull. NR, 1973, S. 1563 ff., 1586 ff., 1606 ff., 1628 ff. und 1749 f. ; Amtl. Bull. StR, 1973, S. 632 ff., 686 ff., 753 ff. und 783 ; BBl, 1973, II, Nr. 51, S. 1371 ff.
[11] Tat, 19, 24.1.73 ; GdL, 20, 25.1.73 ; TA, 184, 11.8.73. Vgl. auch unten, S. 113.
[12] Perspektiven des Bundeshaushaltes für die Jahre 1975 und 1976, (Bern 1973). Ferner : wf, Dokumentation- und Pressedienst, 51/52, 17.12.73.
[13] BBl, 1973, I, Nr. 26, S. 1663 ff. ; TA, 152, 4.7.73.
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