Année politique Suisse 1973 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
 
Strassenverkehr
Die versuchsweise Einführung einer Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf Ausserortsstrassen mit Ausnahme der Autobahnen brachte im Strassenverkehr einen deutlichen Rückgang der Unfälle [59]. Eine vom EJPD missbilligte Weisung des Neuenburger Polizeidirektors an seine Kantonspolizei, in gewissen Fällen die 100 km/h-Grenze mit Toleranz zu interpretieren, wies freilich auf die Problematik der Anwendung genereller Höchstgeschwindigkeiten hin [60]. Dessen ungeachtet wurde vermehrt eine Reduktion der Höchstgeschwindigkeit innerorts von 60 auf 50 km/h gefordert [61]. Im übrigen nahm die Abänderung weiterer Rechtsnormen zugunsten einer erhöhten Verkehrssicherheit ihren Fortgang. Am Jahresende verabschiedete der Bundesrat eine Botschaft über eine Teilrevision des Strassenverkehrsgesetzes. Sie soll unter anderem eine verbesserte Ausbildung der Fahrzeugführer ermöglichen und schärfere Haftungs- und Strafbestimmungen sowie neue Verkehrsregeln einführen [62]. Der im Frühjahr in die Vernehmlassung gegebene Entwurf zu einer Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Verkehr stellte besonders das Mindestalter für die Lenkung von Motorfahrrädern (Mofa) zur Diskussion [63]. Die eingegangenen Stellungnahmen befürworten jedoch ein Festhalten an der geltenden Grenze von 14 Jahren und sind gegen eine Erhöhung auf 16 Jahre [64]. Eine Vernehmlassung über die Einführung eines Obligatoriums für das Tragen von Sicherheitsgurten ergab meist eine grundsätzliche Zustimmung [65].
Das Verlangen nach einer stärkeren Eindämmung der Verkehrsimmissionen machte sich vermehrt bemerkbar. Zwar fand eine vom Nationalrat 1972 unterstützte Forderung, dass ab 1975 nur noch praktisch abgasfreie Fahrzeuge zugelassen werden sollten, die Zustimmung der Kleinen Kammer nicht, doch wünschten beide Räte vom Bundesrat innert Jahresfrist Vorschläge für eine Verschärfung der Abgas- und Lärmvorschriften [66]. Bundesrat Furgler sprach sich in diesem Zusammenhang für eine etappenweise Reduktion der Abgase um 90 % aus. Der Schweizerischen Gesellschaft für Umweltschutz genügten diese Stellungnahmen jedoch noch nicht, und sie kündigte neue Vorstösse an [67]. Zudem lancierte eine sanktgallische « Arbeitsgruppe saubere Schweiz » ein Volksbegehren für eine drastische Beschränkung der Benzinmotorabgase (Albatros) [68]. Das verbreitete Unbehagen über die Verkehrsimmissionen wurde im Dezember noch durch eine weitere Initiative, die strengere Lärmbestimmungen im Strassenverkehr verlangte, unterstrichen [69]. Anderseits wurde das im Vorjahr eingeleitete Verfahren für einen Beitritt der Schweiz zum europäischen Abkommen über Ausrüstung und Bestandteile von Motorfahrzeugen mit der Genehmigung durch den Nationalrat abgeschlossen [70]. Darauf erliess der Bundesrat gegen Jahresende strengere Abgasvorschriften im Rahmen einer Revision der Verordnung über Bau und Ausrüstung der Strassenfahrzeuge [71]. Schon im Sommer hatte er auf einen Vorstoss im Nationalrat bekanntgegeben, dass eine Arbeitsgruppe Richtlinien für die Lärmbekämpfung in der Nähe von Hochleistungsstrassen ausarbeite [72]. Die Verwendung von Stiftreifen im Winter wurde noch einmal einschränkenderen Bedingungen unterstellt [73].
Ein vorläufiges Ende fanden die Auseinandersetzungen um die Prämienerhöhungen bei der obligatorischen Haftpflichtversicherung für Motorfahrzeuge [74]. Das Bundesgericht lehnte die Beschwerde des Touring-Clubs (TCS) ab und sanktionierte damit die bisher aufgeschobene Prämienerhöhung für 1972. Die Unfalldirektorenkonferenz (UDK) beharrte auf einer Nachforderung, verzichtete hingegen angesichts des günstigeren Schadenverlaufs auf die beantragte und ebenfalls sistierte Erhöhung für 1973. Der TCS begrüsste diesen Entschluss als Ausdruck einer erfreulichen Zunahme der Transparenz im Haftpflichtgeschäft [75]. Für die Berichterstattung über die VPOD-Initiative für eine bundeseigene Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung verlangte der Bundesrat eine Fristerstreckung [76].
Die Massnahmen während der Krise der Versorgung mit Erdölprodukten wurden bereits an anderer Stelle erwähnt [77]. Angeregt durch die Wirkungen des in diesem Zusammenhang verordneten Sonntagsfahrverbotes gründeten Studenten des Technikums Burgdorf ein Initiativkomitee und lancierten ein Begehren zugunsten zwölf autofreier Sonntage im Jahre [78]. Die Erdölknappheit verursachte einen seit vielen Jahren erstmaligen Rückgang im Neuwagenverkauf ; trotzdem war noch eine Zunahme im Personenwagenbestand zu verzeichnen [79].
 
[59] NZZ, 14, 10.1.73 ; TLM, 11, 11.1.73 ; GdL, 12, 16.1.73. Die Strassenverkehrsunfälle nahmen 1973 gegenüber 1972 um 9 % ab und forderten 272 (16 %) weniger Menschenleben und 4308 (12 %) weniger Verletzte (Bund, 29, 5.2.73). Vgl. ferner SPJ, 1972, S. 96.
[60] NZZ (sda), 11, 9.1.73 ; BN, 8, 10.1.73 ; Touring, 2, 11.1.73.
[61] So durch die „Aktion 100“ (TG, 97, 27.4.73 ; NZZ, 555, 29.11.73) und durch eine als Postulat überwiesene Motion Welter (sp, ZH) (Amtl. Bull. NR, 1973, S. 1680 ff.). Der Zürcher Kantonsrat lehnte einen Vorstoss des Zürcher Stadtrates für die Einreichung einer entsprechenden Standesinitiative ab (NZZ, 9, 8.1.73 ; 59, 6.2.73). Vgl. SPJ, 1972, S. 96 ; ferner auch ein Postulat Bommer (cvp, TG) für die Vereinheitlichung der Geschwindigkeitsbeschränkungen : Amtl. Bull. NR, 1973, S. 1076 ff.
[62] BBI, 1973, II, Nr. 51, S. 1173 ff. ; Touring, 21, 24.5.73. Vgl. ferner hierzu ein Postulat Bräm (rep., ZH) : Amtl. Bull. NR, 1973, S. 871 f.
[63] NZZ (sda), 104, 4.3.73 ; (sda), 215, 11.5.73 ; Ldb, 112, 17.5.73.
[64] So die « Nationale Zweirad-Konferenz s (TLM, 244, 1.9.73), der Arbeiter-Touring-Bund (ATS) (NZZ, sda, 460, 4.10.73) und die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) (Vat., 265, 13.11.73). Vgl. auch Tat, 217, 19.9.73 ; 218, 20.9.73 sowie eine Petition der EVP TG an den BR zur Heraufsetzung auf 16 Jahre (NZZ, sda, 93, 26.2.73).
[65] So durch den TCS (Touring, 10, 8.3.73), die BfU (NZZ, sda, 129, 19.3.73), die Unfalldirektoren-Konferenz (NZZ, sda, 154, 2.4.73), den ACS (NZZ, sda, 159, 5.4.73) und den ATB (NZZ, sda, 190, 26.4.73). Vgl. ferner hierzu ein Postulat Auer (fdp, BL) (Amtl. Bull. NR, 1973, S. 265 f.) und eine Untersuchung über Sicherheitsgurten (TLM, 111, 112, 113, 21.-23.4.73).
[66] Vgl. die Motion Bratschi (sp, BE) (Amtl. Bull. StR, 1973, S. 9 ff.), die Motion Urech (fdp, AG) (Amtl. Bull. StR, 1973, S. 12 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1973, S. 577 ff.). Vgl. SPJ, 1972, S. 96.
[67] BR Furgler : NZZ (sda), 200, 2.5.73. SGU : Ldb, 59, 13.3.73 ; 90, 18.4.73 ; NZZ (sda), 204, 4.5.73. Vgl. ferner NZZ, 212, 9.5.73.
[68] Ldb, 127, 5.6.73 ; 128; 6.6.73 ; NZZ, 257, 6.6.73 ; BN, 133, 9.6.73.
[69] NZZ (sda), 581, 14.12.73 ; BN, 296, 17.12.73.
[70] Amtl. Bull. NR, 1973, S. 259 f. ; NZZ, 75, 15.2.73. Vgl. SPJ, 1972, S. 96.
[71] AS, 1973, Nr. 51, S. 1793 ff.
[72] Vgl. ein Postulat Schürmann (cvp, SO) : Amtl. Bull. NR, 1973, S. 800 f. ; ferner : NZZ (sda), 322, 15.7.73.
[73] NZZ, 529, 14.11.73. Vgl. hierzu SPJ, 1972, S. 96 f., ferner ein, Postulat Müller (rep., ZH) (Amtl. Bull. NR, 1973, S. 874 f.), eine Petition des Landesrings VD für eine Standesinitiative gegen Spikes (TG, 46, 24./25.2.73) und GdL, 246, 22.10.73.
[74] Vgl. SPJ, 1972, S. 97 ; ferner GdL, 27, 2.2.73.
[75] Bundesgericht : NZZ, 56, 4.2.73 ; TA, 102, 4.5.73. Nachforderung : NZ, 21, 20.1.73. Prämienerhöhung 1973: GdL, 169, 23.7.73 ; 224, 26.9.73. TCS : GdL, 174, 28./29.7.73.
[76] BBI, 1973, II, Nr. 49, S. 1153 f.
[77] Vgl. oben, S. 85 f.
[78] NZZ (spk), 598, 25.12.73. Vgl. auch eine Petition der Jungen CVP ZH an den Bundesrat für « Einen Tag ohne individuellen Verkehr , (NZZ, sda, 435, 20.9.73).
[79] Neuwagen : TA, 47, 26.2.74. PW-Bestand : Die Volkswirtschaft, 47/1974, S. 203 ff.