Année politique Suisse 1973 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
 
Raumplanung
Das allgemeine Unbehagen über die unaufhaltsam zunehmende Beanspruchung unseres Lebensraumes führte auch 1973 zu verstärkten Anstrengungen auf dem Gebiete der Raumplanung. So zeitigte der 1972 erlassene Bundesbeschluss über dringliche Raumplanungsmassnahmen bereits im Februar erste Ergebnisse. Sämtliche Kantone konnten zu diesem Zeitpunkt ihre Pläne über die erfolgte Ausscheidung provisorischer Schutzgebiete dem Bund zur Überprüfung vorlegen [1]. Die kantonalen Planungsarbeiten wurden in der Folge unterschiedlich aufgenommen. Einerseits attestierte man den Ständen, in kurzer Zeit eine beachtliche Leistung erbracht zu haben [2]. Andererseits stiess die im Schnellverfahren vorgenommene Schutzzonenausscheidung vielfach auf eine zum Teil vehemente Kritik. Seitens der Gemeinden wurde der Vorwurf erhoben, die dirigistischen Planungsmassnahmen des Bundes und der Kantone seien ohne Berücksichtigung der kommunalen Instanzen erfolgt, was eindeutig einer Verletzung der Gemeindeautonomie gleichkomme [3]. Auch bei den Grundbesitzern regte sich die Opposition, verlangte doch der diesen Kreisen nahestehende Nationalrat Raissig (fdp, ZH) in einem später zurückgezogenen Postulat, dass mit der Raumplanung nochmals begonnen werde, da die Kantone bei der Ausführung viel zu weit gegangen seien. Die gleiche Forderung wurde im Kanton Bern von der Schweizerischen Volkspartei an die Adresse des Regierungsrates erhoben [4]. Im Wallis löste der Vollzug des dringlichen Raumplanungsbeschlusses eine Welle des Unmutes aus, was sich unter anderem in der Überweisung einer « Misstrauens-Motion » durch das Kantonsparlament manifestierte. Ende Juni lagen bei den Kantonen rund 20 000 Einsprachen von Gemeinden und privaten Grundbesitzern gegen die provisorisch ausgeschiedenen Schutzgebiete vor ; weit über die Hälfte dieser Verwahrungen entfielen auf den Kanton Wallis [5]. Trotz der vielfältigen Kritik wurde von offizieller Seite wiederholt betont, dass die « Raumplanungs-Hauptprobe » zufriedenstellend ausgefallen sei. Mit der Ausscheidung von vor Überbauung und Besiedelung geschützten Zonen sei eine fundamentale Grundlage für das ordentliche Bundesgesetz über die Raumplanung geschaffen worden [6].
Die parlamentarischen Auseinandersetzungen um den 1972 von der Exekutive vorgelegten Gesetzesentwurf über die Raumplanung gestalteten sich indessen sehr schwierig und langwierig. Als verzögernd wirkte sich vor allem aus, dass mit der Fixierung von verbindlichen Normen für eine Raumordnung gesetzgeberisches Neuland betreten werden musste. Dazu kam, dass wohl Übereinstimmung über die Dringlichkeit und die Ziele der zu treffenden Massnahmen herrschte, jedoch grosse Uneinigkeit über das Vorgehen. Nachdem die Ständekammer als Prioritätsrat bereits in der Wintersession 1972 Eintreten auf das Gesetz beschlossen, die weitere Behandlung jedoch aufgeschoben hatte [7], konnte im Frühjahr die Detailberatung aufgenommen werden. Nach äusserst zähflüssigen Debatten stimmte dabei der Ständerat dem bundesrätlichen Entwurf weitgehend zu. Die daneben beschlossenen Abänderungen betrafen im wesentlichen Präzisierungen und kleinere Gewichtsverschiebungen. So wurde dem Zweckartikel des Gesetzes eine umfassende Aufzählung der raumplanerischen Ziele beigegeben. Danach soll die Raumplanung unter anderem die natürlichen Grundlagen des menschlichen Lebens wie Luft, Wasser und Landschaft, schützen, die räumlichen Voraussetzungen für die Entfaltung des persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens schaffen sowie eine angemessene Begrenzung des Siedlungsgebietes und den Ausgleich zwischen ländlichen und städtischen bzw. wirtschaftlich schwachen und wirtschaftlich starken Gebieten verwirklichen [8]. Des weitern sprach sich der Ständerat gegen die vom Bundesrat vorgeschlagene Schaffung eines 50-köpfigen Raumplanungsrates aus. Stattdessen beschloss er, dass die Regierung dem Parlament alle zwei Jahre über Durchführung und Stand der Raumplanung Bericht zu erstatten habe. Die Regelung des volkswirtschaftlichen Ausgleichs zugunsten der Landwirtschaft (Abgeltung der Leistungen im Interesse der Raumplanung) wurde in einem besonderen Artikel als Gegenstand der Landwirtschaftspolitik bezeichnet und auf den Weg der Spezialgesetzgebung verwiesen [9]. In den beiden am stärksten umstrittenen Punkten der Gesetzesnovelle, der Enteignung und der Mehrwertabschöpfung, erwirkten dem Grundeigentum nahestehende Kreise einen weiteren Aufschub, indem sie eine Neuüberprüfung durch die vorberatende Kommission durchsetzten. Gestützt auf äusserst speditive Beratungen dieses Ausschusses konnten die Verhandlungen der Ständekammer über das Raumplanungsgesetz schliesslich doch noch in der Frühjahrssession zu Ende geführt werden. Bezüglich der Enteignung zur Durchführung von Nutzungsplänen und zur Förderung des Baulandangebots folgte der Rat dem Vorschlag des Bundesrates ; allerdings erst nachdem Bundesrat Furgler erklärt hatte, bei allen Enteignungen müsse ein unmittelbares öffentliches Interesse vorliegen [10]. Bei der ebenfalls umstrittenen Frage der Mehrwertabschöpfung kam man jedoch den Interessen der Grundeigentümer dadurch entgegen, dass die Abschöpfung des Mehrwertes erst für den Zeitpunkt der Realisierung vorgesehen wurde. Somit würde sich in all jenen Fällen eine Abgabe erübrigen, wo durch Zwangsaufzonung lediglich ein buchmässiger Mehrwert geschaffen wird [11].
Der Bauernverband drückte in der Folge seine Unzufriedenheit über das Verhandlungsergebnis des Ständerates aus. Durch die im Zusammenhang mit der Enteignung und der Mehrwertabschöpfung beschlossenen Lösungen werde dem bäuerlichen Grundbesitzer nur ein bedingter gesetzlicher Schutz gewährt [12]. Auch seitens des Hauseigentümerverbandes wurden im Anschluss an die Ratsverhandlungen Bedenken gegen die Mehrwertabschöpfung geäussert. Es bestehe Gefahr, dass der abgeschöpfte Mehrwert auf die Mieten überwälzt werden müsse [13]. Im April nahm sodann die nationalrätliche Kommission ihre Vorberatung des Raumplanungsgesetzes auf. Auch hier gestalteten sich die Verhandlungen recht zäh, so dass die ursprünglich für die Sommersession des Nationalrates geplante erste Lesung des Gesetzes vorerst auf den Herbst und darauf auf das Jahr 1974 verschoben werden musste. An der wesentlichen Substanz des Raumplanungsgesetzes nahm die Kommission des Nationalrates indessen keine Änderungen vor [14].
Die 1972 vom Institut für Orts-, Regional- und Landesplanung veröffentlichten landesplanerischen Leitbilder der Schweiz stiessen nach wie vor auf ein grosses Interesse. So erklärte sich der Bundesrat in Beantwortung eines Postulates der sozialdemokratischen Abgeordneten Uchtenhagen (ZH) bereit, ein breites Vernehmlassungsverfahren über die erwähnten Leitbildstudien durchzuführen [15]. Gleichzeitig beauftragte er das EJPD, das Gespräch mit den Kantonen zur gemeinsamen Erarbeitung eines nationalen Leitbildes aufzunehmen [16]. Daneben konnten aber auch im Rahmen der grenzüberschreitenden Raumplanung Fortschritte erzielt werden. Die Landesregierung beschloss, sich an der europäischen Raumplanungsministerkonferenz durch Bundesrat Furgler vertreten zu lassen. Der Vorsteher des EJPD sprach sich anlässlich dieser Tagung für eine verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit aus [17]. Ferner kam es zur Gründung einer deutsch-schweizerischen Raumplanungskommission [18]. Gegen eine Motion des Sozialdemokraten Ziegler (GE), welche die Schaffung einer übernationalen Raumplanungsstelle für die Genfer Region anregte, wurden vom Nationalrat vor allem völkerrechtliche Bedenken geäussert [19].
 
[1] Vgl. SPJ, 1972, S. 100.
[2] NZ, 64, 26.2.73 ; BR Furgler vor den kantonalen Baudirektoren, NZZ, 231, 21.5.73.
[3] TG, 138, 16./17.6.73 ; GdL, 138, 16./17.6.73 ; NZ, 187, 18.6.73 ; ferner Prof. P. Atteslander, „Landvögte und gemeine Herrschaften“, in Bund, 144, 24.6.73.
[4] Zum Postulat Raissig (fdp, ZH) vgl. Verhandl. B. vers., 1973, III, S. 31 ; NZZ (sda), 435, 20.9.73 ; zur SVP-Eingabe an den bernischen Regierungsrat vgl. BZ, 73, 28.3.73 ; 76, 31.3.73 ; Tw, 74, 29.3.73.
[5] Motion Schmidhalter (cvp) : TLM, 181, 30.6.73 ; NZZ, 299, 2.7.73 ; ferner NZZ (sda), 283, 22.6.73 ; Vat., 185, 11.8.73.
[6] NZ. 64, 26.2.73 ; NZZ (sda), 461, 5.10.73 ; TG, 232, 5.10.73. In einer schliesslich in ein Postulat umgewandelten Motion verlangte ferner der Sozialdemokrat Muheim (LU) dringliche Massnahmen provisorischer Art zum Schutze der Siedlungs- und Landwirtschaftsgebiete vor Bodenspekulation bis zum Inkrafttreten des neuen Raumplanungsgesetzes. Amtl. Bull. NR, 1973, S. 376 ff.
[7] Vgl. SPJ, 1972, S. 101 f.
[8] Amtl: Bull. StR, 1973, S. 73 ff. Ein Antrag des St. Gallers Hofmann (cvp), unter die schützenswerten Güter auch die Ruhe aufzunehmen, wurde vom Rat verworfen. Amtl. Bull. StR, 1973, S. 73 ff.
[9] Amtl. Bull. StR, 1973, S. 112 ff. Vgl. auch oben, S. 77.
[10] Amtl. Bull. StR, 1973, S. 195 ff.
[11] Die vom Rat schliesslich genehmigte Fassung ging hauptsächlich auf Anträge der Ständeräte Hofmann (cvp, SG) und Honegger (fdp, ZH) zurück. Amtl. Bull. StR, 1973, S. 203 ff.
[12] NZZ, 86, 21.2.73 ; NZZ (sda), 110, 7.3.73 ; 146, 28.3.73.
[13] Bund, 99, 30.4.73.
[14] NZZ (sda), 164, 8.4.73 ; 215, 11.5.73 ; 216, 11.5.73 ; 391, 24.8.73 ; 394, 27.8.73 ; 506, 21.10.73. Als Zusammenfassung vgl. NZZ, 274, 17.6.73.
[15] Vgl. SPJ, 1972, S. 101 ; Amtl. Bull. NR, 1973, S. 261 ff.
[16] TA, 298, 22.12.73 ; Vat., 300, 28.12.73. Als Basis soll der Entwurf der Chefbeamtenkonferenz (CK) des Bundes dienen.
[17] NZZ (sda), 412, 6.9.73 ; 448, 27.9.73 ; Documenta, 1973, Nr. 7, S. 18 ff.
[18] GdL, 201, 29.8.73 ; NZ, 269, 29.8.73 ; Bund, 201, 29.8.73 ; vgl. auch oben, S. 36.
[19] Vgl. SPJ, 1972, S. 102. Die Motion wurde schliesslich abgelehnt : Amtl. Bull. NR, 1973, S. 1033 ff.