Année politique Suisse 1973 : Infrastruktur und Lebensraum / Erhaltung der Umwelt
 
Umweltschutzpolitik
Die Erhaltung der Umwelt in einer auf Wachstum ausgerichteten Zivilisation war weiterhin Gegenstand vielfältiger Auseinandersetzungen. Zum Teil standen diese in unmittelbarem Zusammenhang mit Fragen der Energieproduktion und der Verkehrsentwicklung, wie bereits an anderer Stelle gezeigt worden ist [1]. Darüber hinaus dienten wiederum zahlreiche Tagungen, Aktionen und Veröffentlichungen der Bewusstmachung der Probleme und der Suche nach Lösungen. Die Vorarbeiten für ein Ausführungsgesetz zum 1971 in die Bundesverfassung aufgenommenen Artikel 24 septies boten Anlass, insbesondere die rechtlichen Voraussetzungen für eine Bewältigung der Aufgabe eingehend zu diskutieren. Von Bedeutung war dabei die Frage, ob der Umweltschutzauftrag des Bundes an der bestehenden Rechts- und Wirtschaftsordnung seine Grenze finde oder ob er selber grundrechtlichen Charakter habe [2].
Die Gesetzesvorbereitung erreichte noch vor dem Ausscheiden Bundesrat Tschudis aus dem EDI ein erstes Ziel: eine im Frühjahr eingesetzte Expertenkommission unter dem Vorsitz Nationalrat Schürmanns (cvp, SO) unterbreitete dem Departement einen Vorentwurf. Dieser ging vom Grundsatz aus, dass der Verursacher für bewirkte Schäden haftbar sei (Verursacherprinzip), und sah die Festlegung von Richtwerten für die Zulässigkeit von Immissionen vor, ferner eine Bewilligungs-, Versicherungs- und Abgabepflicht für umweltbelastende Anlagen [3]. Verschiedene parlamentarische Vorstösse versuchten auf die Gesetzgebungsarbeiten einzuwirken. Beide Räte unterstützten eine Motion von Nationalrat J. Bächtold (ldu, BE), nach der die Belastbarkeit des Lebensraumes und das Ausmass des zulässigen wirtschaftlichen und demographischen Wachstums festgestellt werden sollte. Weiter ging Nationalrat Oehen (na, BE) der eine Überprüfung der ganzen Bundesverfassung auf ihre Vereinbarkeit mit den Erfordernissen der Umwelterhaltung sowie die Ausarbeitung von Richtlinien für eine umweltkonforme Gesetzgebung und Rechtsprechung postulierte. Ständerat Jauslin (fdp, BL) drang in einer Motion auf die rasche Aufstellung eines Operation Research-Modells, aufgrund dessen die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen erforderlichen Umweltschutzmassnahmen und ihren Auswirkungen beurteilt und die Prioritäten gesetzt werden könnten ; der Vorstoss scheiterte jedoch daran, dass sein Urheber ihn nicht in ein Postulat umwandeln wollte. Ständerat F. Muheim (fdp, UR) plädierte schliesslich dafür, dass der Umweltschutz durch systemimmanente Massnahmen in die Marktwirtschaft integriert werde [4].
Angesichts der Vielfalt der dem Umweltschutz gewidmeten Bestrebungen machte sich ein Bedürfnis nach Zusammenarbeit geltend. Eine grössere Zahl von Organisationen kam überein, die Schweizerische Gesellschaft für Umweltschutz mit der Koordination der verschiedenen politischen Vorstösse zu betrauen. Spezialbeamte des Bundes und der Kantone für den Immissionsschutz traten zu einer ersten Fachtagung zusammen. Im Auftrag des EDI wurde überdies eine Erhebung über laufende Umweltforschungsprojekte eingeleitet [5].
Die Schweiz beteiligte sich im März an der ersten Ministerkonferenz des Europarates über Umweltschutz, an der man sich allerdings zur Hauptsache auf die Erhaltung der sog. natürlichen Umwelt beschränkte. Im Herbst beantragte der Bundesrat dem Parlament eine Unterstützung des Umweltschutzfonds der UNO, der als Folge der Konferenz von Stockholm im Jahre 1972 geschaffen worden war. Ein erster von der UNO eingeführter Umweltschutztag am 5. Juni fand freilich in der Schweiz noch wenig Beachtung [6].
 
[1] Vgl. oben, S. 82 ff., 86 ff., 90, 92, 94, 96 ff.
[2] Tagungen : Bund, 38, 15.2.73 (Vereinigung für freies Untemehmertum) ; 97 u. 98, 27.-29.4.73 (Arbeitsgemeinschaft für Bevölkerungsfragen) ; IdG, 103, 104 u. 106, 4.-8.5.73 (Institut de la vie) ; Ldb, 132, 12.6.73 (Schweiz. Gesellschaft für Umweltschutz) ; NZZ, 275, 18.6.73 (Verband Schweiz. Elektrizitätswerke) ; Vat., 233, 8.10.73 (Schweiz. Arbeitsgemeinschaft für Umweltforschung) ; NZ, 371, 27.11.73 (Hochschule St. Gallen). Aktionen : JdG, 38, 15.2.73 (Wanderausstellung der Aktion Saubere Schweiz). Publikationen : Bruno S. Frey, Umweltökonomie, Göttingen 1972 ; Schweizerisches Umweltschutzrecht, hrsg. v. H.-U. Müller-Stahel, Zürich 1973 ; Jahrbuch für Umweltschutz, 1973; Schweiz. Gesellschaft für Umweltschutz, Umweltschutz beginnt zu Hause, (1973) ; „Massnahmenkatalog ' Verkehr und Siedlung' zur Erhaltung der Umweltqualität, Programm der Schweiz. Gesellschaft für Umweltschutz“, in Schweizerische Bauzeitung, 91/1973, S. 1220 ff. ; Les Cahiers protestants, 1973, Nr. 6.
[3] NZZ (sda), 146, 28.3.73 ; 601, 28.12.73. Vgl. dazu NZ, 151, 16.5.73 ; Schweizerischer Bankverein, Bulletin, 1973, S. 45 f. ; sowie SPJ, 1972, S. 108. Zum Rücktritt BR Tschudis vgl. oben, S. 18.
[4] Motion Bächtold : Amtl. Bull. NR, 1972, S. 2417 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1973, S. 172 f. Postulat Oehen : Amtl. Bull. NR, 1973, S. 1515 ff. Motion Jauslin : Amtl. Bull. StR, 1973, S. 775 ff. Postulat Muheim : Ebenda, S. 773 ff.
[5] Koordination der politischen Vorstösse : NZZ (sda), 460, 4.10.73. Beamtentagung : NZZ (sda), 554, 28.11.73. Umweltforschung : Vat., 233, 8.10.73 ; NZZ (sda), 490, 22.10.73.
[6] Wiener Konferenz : NZZ, 146, 28.3.73 ; Vat. (sda), 74, 29.3.73 ; 75, 31.3.73 ; Ldb (sda), 74, 30.3.73. UNO-Fonds : BBI, 1973, II, Nr. 43, S. 801 ff. ; vgl. SPJ, 1972, S. 107 f. Umweltschutztag : NZZ (sda), 256, 5.6.73 ; TG, 128, 5.6.73.