Année politique Suisse 1973 : Infrastruktur und Lebensraum / Erhaltung der Umwelt
 
Gewässerschutz
Die Revision der Verfassungsgrundlage für die Bewirtschaftung und Erhaltung des Wassers erfuhr im Nationalrat Korrekturen in föderalistischem Sinne. Ein von den Sozialdemokraten, dem Landesring und einem Teil des Freisinns unterstützter Antrag, dem Bund eine umfassende Wasserrechtsbefugnis zu erteilen, drang nicht durch ; die Ratsmehrheit unterstützte die vom Bundesrat empfohlene Beibehaltung einer abschliessenden Aufzählung der Bundeskompetenzen. Aufgrund von Vorschlägen aus Gebirgskantonen wurde darüber hinaus dem Bund das Recht verweigert, für seine eigenen Aufgaben — insbesondere für die Bedürfnisse der SBB — Wassernutzungen ohne volle Entschädigung in Anspruch zu nehmen, und ausdrücklich festgestellt, dass den Entwicklungsmöglichkeiten der Herkunftsgebiete des Wassers Rechnung zu tragen sei. Ausserdem räumte der Nationalrat der Trinkwassernutzung den Vorrang ein. Die Ausscheidung einer bisherigen elektrizitätswirtschaftlichen Bestimmung des Artikels 24 bis als neuer Artikel 24 quater lehnte er ab und beauftragte den Bundesrat in einer Motion, einen eigentlichen Energiewirtschaftsartikel auszuarbeiten [7].
Auch gegen die verschärften eidgenössischen Gewässerschutzbestimmungen machte sich eine Bewegung aus dem Berggebiet geltend. Es wurde vor allem daran Anstoss genommen, dass die 1972 in Kraft getretenen Erlasse in weiten ländlichen Gebieten, für die keine Abwasserkanalisation vorgesehen ist, Neu- und Umbauten nur in dringlichen Fällen gestatten ; im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung der Berg- und Hügelregion strebten mehrere parlamentarische Vorstösse eine Lockerung der neuen Ordnung an. Der Bundesrat lehnte eine Rückwärtsrevision des Gewässerschutzgesetzes ab, erklärte sich aber zu einer elastischeren Gestaltung der Vollzugsverordnung bereit [8].
Ende 1973 waren 536 (Ende 1972: 479) Abwasserreinigungsanlagen im Betrieb, an die 58,5 % (Ende 1972: 54,6 %) der Bevölkerung angeschlossen werden können [9]. In der Frage der Abwasserklärung im Raum Basel fiel ein wesentlicher Entscheid, indem sich die Verhandlungen um eine rechtsrheinische Anlage auf deutschem Gebiet zerschlugen ; zu diesem Ergebnis trug der Entschluss zweier Basler Chemieunternehmungen bei, ihre Abwässer selbständig zu reinigen. Angesichts der Unumgänglichkeit eines Reinigungswerks auf Basler Boden trat auch das Interesse an einer linksrheinischen Gemeinschaftsanlage àuf französischem Gebiet in den Hintergrund [10]. Wachsende Besorgnis über die Absicht badisch-württembergischer Kreise, Bodenseewasser zur Durchspülung des Neckars abzuleiten, führte zu Eingaben nordostschweizerischer Kantone und zu einem Vorstoss im Nationalrat ; bei dessen Beantwortung erklärte sich der Bundesrat gegen eine Sanierung von Gewässern ausserhalb des Bodenseegebiets durch Wasserentnahme aus dem See. Eine entsprechende Bestimmung wurde in die Verfassung des Kantons Thurgau eingefügt, obwohl süddeutsche Interessenten versuchten, den Abstimmungskampf in gegenteiligem Sinne zu beeinflussen [11]. Das 1972 mit Italien unterzeichnete Abkommen über den Schutz der Grenzgewässer erhielt die Zustimmung der eidgenössischen Räte [12].
 
[7] Amtl. Bull. NR, 1973, S. 1308 ff. Vgl. SPJ, 1972, S. 109. Die energiewirtschaftlichen Bestimmungen des bisherigen Artikels 24 bis sollten bis zum Inkrafttreten eines Energiewirtschaftsartikels in Geltung bleiben.
[8] Vgl. die Motionen Speziali (fdp, TI), Ueltschi (svp, BE) und Lehner (cvp, VS) im NR sowie die Motion Nänny (fdp, AR) im StR. Die Motionen Ueltschi und Nänny wurden als Postulate überwiesen (Amtl. Bull. NR, 1973, S. 1708 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1973, S. 765 ff.). Vgl. auch NZZ, 418, 10.9.73 ; NBZ, 392, 7.12.73, sowie SPJ, 1972, S. 109.
[9] Mitteilung des Eidg. Amtes für Umweltschutz. Tatsächlich an solche Anlagen angeschlossen sind rund 45 % der Bevölkerung.
[10] BN, 208, 6.9.73 ; NZZ, 413, 6.9.73. Vgl. SPJ, 1972, S. 109.
[11] Vgl. Behandlung der Motion Reiniger (sp, SH) im NR (Amtl. Bull. NR, 1973, S. 174 ff.), ferner Ostschw., 114, 17.5.73 ; NZZ, 252, 3.6.73 ; 354, 3.8.73 ; 381, 19.8.73 ; TA, 224, 27.9.73 ; SPJ, 1972, S. 109 f. Zur thurgauischen Verfassungsänderung, zu der eine Initiative für die Erhaltung der Naturlandschaft an Bodensee und Rhein Anlass gegeben hatte, vgl. unten, S. 152.
[12] Amtl. Bull. NR, 1973, S. 332 f. ; Amtl. Bull. StR, 1973, S. 436 f. ; vgl. SPJ, 1972, S. 109.