Année politique Suisse 1973 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen
 
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung
In auffallender Bescheidenheit feierte die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (AHV/IV) ihr 25-jähriges Bestehen. In seiner Festansprache würdigte Bundesrat Tschudi, dessen Dynamik die Entwicklung dieser Sozialversicherung mehr als ein Jahrzehnt lang förmlich geprägt hat, die vollbrachten Leistungen, nicht ohne zu betonen, dass ein weiterer Ausbau als Basis eine leistungsfähige Wirtschaft benötige [7].
Auf Jahresbeginn trat die erste Stufe der 8. AHV-Revision in Kraft [8]. Trotz der damit verwirklichten Verbesserungen häuften sich aufgrund einer bestehenden Unzufriedenheit parlamentarische Vorstösse zugunsten höherer Ergänzungsleistungen, einer 13. Monatsrente und sogar einer 9. Revision [9]. Auf grosses Missfallen in SP-, PdA- und Rentnerkreisen stiess am Jahresende die Botschaft des Bundesrates über den Nachtrag zur 8. AHV-Revision [10]. Der Bundesrat beantragte darin die Einführung einer Dynamisierung der Renten (eine teuerungs- und lohnentwicklungsbedingte automatische Rentenanpassung, zu der die Kompetenz beim Bundesrat läge) und damit verbunden deren einheitliche Erhöhung um 25 % auf 1. Januar 1975, ferner die Möglichkeit von Beitragsleistungen an den Bau von Altersheimen und eine einmalige Teuerungszulage auf Ergänzungsleistungen für 1974 [11]. Dazu erwartete man aber allgemein eine 13. Monatsrente als Teuerungsausgleich für 1974, dies umsomehr, als sich Bundesrat Tschudi selber dahingehend geäussert hatte [12]. In einem Postulat wünschte anderseits Frau Nanchen (sp, VS) ein gleitendes, d.h. in gewissen Grenzen frei wählbares Pensionierungsalter mit entsprechendem AHV-Rentenbezug. Eine in beiden Räten überwiesene Motion Müller (sp, BE) verlangte Sonderleistungen für Schwerinvalide [13]. Andere Vorstösse betrafen eine Neuordnung der finanziellen Verpflichtungen der Kantone gegenüber der AHV, die mit einer Neuaufschlüsselung teilweise verwirklicht wurde [14].
Die immer noch hängige SP-Initiative für eine Volkspension wurde auf Antrag des Bundesrates dem Stimmbürger von beiden Kammern, mit 23 : 3 respektive 97 : 42 Stimmen, zur Ablehnung empfohlen, da dieses Begehren sich weitgehend mit dem am 3. Dezember 1972 angenommenen neuen Verfassungsartikel 34 quater decke und bestehende Lücken auf dem Gesetzeswege geschlossen werden könnten [15].
 
[7] NZZ, 228, 18.5.73 ; vgl. A. Granacher, „Die AHV nach 25 Jahren“, in Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung, 17/1973, S. 81 ff. Vgl. auch die Leistungen 1972 (Bund, 196, 23.8.73 ; NZZ, sda, 426, 14.9.73).
[8] Vgl. SPJ, 1972, S. 123 f. und F. Weiss, „Die 8. AHV-Revision : ein gewichtiger Schritt nach vorwärts“, in Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung, 17/1973, S. 117 ff.
[9] Vgl, die als Postulate überwiesenen Motionen Hubacher (sp, BS) und Müller (sp, BE) sowie die Postulate Dafflon (pda, GE) und Mugny (cvp, VD) (Amtl. Bull. NR, 1973, S. 1293 ff.), die Eingabe des SGB und der SPS an den BR (NZZ, sda, 114, 19.3.73) und die Petition gegen ungenügende Rentenleistungen in Genf (TG, 85, 11.4.73).
[10] Tw, 274, 22.11.73 ; VO, 272, 23.11.73 ; NBZ, 380, 28.11.73 ; Tat, 278, 29.11.73 ; TA, 293, 17.12.73.
[11] BBI, 1974, I, Nr. 2, S. 33 ff. ; NZZ (sda), 543, 22.11.73 ; 19, 13.1.74.
[12] Documenta, 1973, Nr. 8, S. 27 ff. ; TA, 252, 30.10.73 ; Ldb, 254, 2.11.73.
[13] Postulat Nanchen : Amtl. Bull. NR, 1973, S. 198 ff. ; ferner : AZ, 43, 21.2.73 ; NZZ, 133, 21.3.73 ; SAZ, 68/1973, S. 298. Motion Müller : Amtl. Bull. NR, 1973, S. 215 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1973, S. 420.
[14] Motion Luder (fdp, SO) und Postulat Wenk (sp, BS) (Amtl. Bull. StR, 1973, S. 61 ff.), Postulat Schaller (fdp, BS) (Amtl. Bull. NR, 1973, S. 357), ferner AS, 1973, Nr. 52, S. 1970 ff.
[15] BBl, 1973, 1, Nr. 16, S. 1057 ff. und II, Nr. 44, S. 853 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1973, S. 517 ff.; Amtl. Bull. NR, 1973, S. 536 ff. Vgl. SPJ, 1970, S. 140 ; 1972, S. 124 ; dazu die Presse vom 17.4.73.