Année politique Suisse 1973 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
 
Radio und Fernsehen
Radio und Fernsehen mit ihrer Vielzahl von staatspolitischen, kulturpolitischen, rechtlichen, technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Problemen blieben für Beobachter wie Beteiligte weiterhin in vieler Hinsicht unbewältigte Medien [19]. Die Arbeiten für eine Verfassungsgrundlage kamen in das Stadium eines Bundesratsentwurfs. Das EVED hatte im Januar einen neuen, die bisherigen Diskussionen berücksichtigenden Entwurf zu einem Artikel 36quater BV über Radio und Fernsehen ins Vemehmlassungsverfahren geschickt [20]. Aufgrund der eingegangenen Stellungnahmen, die nochmals das breite Spektrum der medienpolitischen Konzeptionen aufzeigten [21], konnte der Bundesrat schliesslich einen nur mehr leicht modifizierten Text verabschieden. Die endgültige Definierung der bisher umstrittensten Punkte bleibt freilich der noch zu erwartenden Ausführungsgesetzgebung überlassen [22]. Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) setzte ihre Reorganisation fort und stiess dabei verschiedentlich auf Unbehagen und Kritik. Die Erneuerung der Organisationsstruktur entsprach nicht dem Vorschlag der mit umfassenden Reformstudien beauftragten Unternehmensberatungsfirma Hayek, der in vielen Augen den neuen Funktionen — besonders der Technik — besser Rechnung getragen hätte [23].
Eine weitere Reformstudie der Firma Hayek untersuchte die Trägerorganisation der SRG, der die Rolle eines Bindeglieds zwischen Bevölkerung und Programmschaffenden zukommt. Sie kam dabei zu der auch von anderen Beobachtern mehrfach geäusserten Auffassung, dass « die gegenwärtige Organisation der Trägerschaft bei weitem nicht mehr in der Lage ist, die heute enormen geistigen, organisatorischen und technischen Anforderungen zu erfüllen » [24]. In der deutschen und der französischen Schweiz wurde je eine gemeinsame Regionaldirektion für Radio und Fernsehen geschaffen. Als Regionaldirektoren wurden Gerd Padel [25] und René Schenker [26] berufen. Rücktritte, Berufungen und Stellungnahmen von TV-Mitarbeitern lenkten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die weiterhin als unbefriedigend empfundene Situation der Programmschaffenden [27]. Als ein Schiedsgericht die 1971 erfolgten Entlassungen von sechs westschweizerischen TV-Mitarbeitern als nicht gerechtfertigt bezeichnete, konnte ein zweistündiger Streik des gesamten SRG-Personals nur knapp vermieden werden [28].
Im September eröffnete das Fernsehen der deutschen und rätoromanischen Schweiz seine neuen Produktionsstätten in Zürich-Seebach [29]. In Renens, Freiburg und Yverdon fiel der Startschuss zum lokalen Kabelfernsehen. Diese ersten durch kurzfristige provisorische Konzessionen an private Gesellschaften ermöglichten Sendungen weckten in gleichem Mass Hoffnungen und Befürchtungen [30].
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E.F.
 
[19] Vgl. « Fernsehen : Stichwort Objektivität » (Schriftenreihe der Pressestelle des Schweizer Fernsehens, 1), Zürich 1973 ; Alfred Keller/Wolfgang Larese, Radio- und Fernsehfreiheit? Ein Beitrag zur Diskussion über den neuen Artikel 36 quater BV, Zürich 1973 ; Franz Riklin, Die Programmfreiheit bei Radio und Fernsehen, Freiburg 1973 ; Jürg Tobler, „Guten Abend, liebe Zuschauer“, Frauenfeld 1973 ; Arbeitsgruppe Kritische Publizistik AKP, Welttheater für Eidgenossen, Zürich 1973.
[20] Zur Geschichte dieses Entwurfs vgl. SPJ, 1967-72 ; NZ, 20, 19.1.73 ; NZZ, 30, 19.1.73 GdL, 15, 19.1.73.
[21] CVP : Vat., 148, 29.6.73 ; PDA : VO, 240, 17.10.73 ; SP : AZ, 188, 15.8.73 ; SVP : BZ, 148, 28.6.73 ; Arbeitgeberverband : NZZ (sda), 283, 22.6.73 ; Arbus : Tw, 152, 3.7.73 ; CNG : Vat. (sda), 155, 7.7.73 ; Personalverbände von TV-Mitarbeitern : NZZ (spk), 261, 8.6.73 ; SGB Tw, 124, 29.5.73 ; Vorort : NZZ (spk), 261, 8.6.73.
[22] BBl, 1973, II, Nr. 51, S. 1231 ff. ; Tat, 127, 2.6.73 ; TLM, 159, 8.6.73 ; 355, 21.12.73 ; Bund, 140, 19.6.73 ; NZZ 303, 4.7.73 ; 312, 9.7.73 ; 399, 29.8.73 ; 554, 28.11.73 ; AZ, 158, 10.7.73 ; TG, 273, 22.11.73 ; NZ, 398, 21.12.73.
[23] Bund, 21, 26.1.73 ; 180, 5.8.73 ; 210, 9.9.73 ; NZZ, 145, 28.3.73 ; 309, 7.7.73 ; Ww, 26, 27.6.73 ; 29, 18.7.73.
[24] NZZ, 592, 20.12.73 ; vgl. Tobler, a.a.O., S. 117 ff.
[25] Vgl. dazu Kritik der SVP (NZZ, sda, 499, 27.10.73) und Bund, 245, 19.10.73 ; NZ, 327, 20.10.73 ; Vat., 244, 20.10.73.
[26] Kritische Stellungnahmen dazu : GdL, 15, 19.1.73 ; TLM, 20, 20.1.73 ; TA, 16, 20.1.73 ; NZZ (sda), 30, 19.1.73.
[27] TG, 2, 4.1.73 ; VO, 6, 9.1.73 ; Ldb, 8, 11.1.73 ; TA, 9, 12.1.73 ; NZ, 36, 2.2.73 ; AZ, 32, 82.73 ; Ww, 33, 15.8.73 ; 51, 19.12.73 ; Bund, 184, 9.8.73 ; Tobler, a.a.O., Anhang I, S. 159 ff.
[28] TG, 239, 13./14.10.73 ; VO, 242, 19.10.73 ; NZZ (sda), 508, 1.11.73 ; 556, 29.11.73.
[29] NZZ, 441, 24.9.73 ; AZ, 223, 25.9.73.
[30] Lib., 245, 26.7.73 ; 276, 1./2.9.73 ; 285, 12.9.73 ; 307, 8.10.73 ; GdL, 213, 12.9.73 ; 222, 24.9.73 ; TA, 235, 10.10.73 ; TG, 238, 12.10.73 ; NZZ, 535, 17.11.73.