Année politique Suisse 1974 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
 
Konjunkturlage
Die allgemeine Konjunkturlage stand 1974 ganz im Zeichen der Verlangsamung des wirtschaftlichen Wachstums [15]. Der gegen Jahresende zunehmend beschleunigte Übergang von einer überhitzten Wachstumsphase zu wirtschaftlicher Stagnation und Rezession liess deutlich einen konjunkturellen Tendenzumschwung erkennen. Da der Konjunkturrückgang Branchen und Regionen in sehr unterschiedlichem Ausmass traf, traten entsprechende Anzeichen nur strukturell differenziert zutage. Rezessive Erscheinungen machten sich insbesondere im binnenwirtschaftlichen Bereich bemerkbar, gingen doch der private Konsum von Gütern und Dienstleistungen sowie die Investitionstätigkeit merklich zurück [16]. Daneben nahm aber auch die Wachstumsrate der industriellen Produktion empfindlich ab, was sich in einer zunehmenden Lockerung der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt niederschlug [17]. Zu eigentlicher Arbeitslosigkeit kam es allerdings kaum, zumal vielfach in erster Linie ausländische Arbeitskräfte abgebaut wurden [18]. Konnte die Schwäche des Binnenmarktes bis in den Sommer hinein durch eine lebhafte Exportnachfrage kompensiert werden, so flaute der Auftragseingang aus dem Ausland gegen Jahresende unverkennbar ab. Neben der international rückläufigen Konjunktur war es vor allem die infolge des Floatings erneute faktische Aufwertung des Schweizerfrankens, die sich im Bereiche des Aussenhandels negativ auszuwirken begann [19].
Wachstumsrückgang und Stagnation trafen unser Land in einem ungünstigen Zeitpunkt, stand doch nach wie vor die Inflation im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Geschehens. Die Teuerungsrate stieg zunächst noch an, ging jedoch gegen Jahresende zunehmend zurück. Der Landesindex der Konsumentenpreise erreichte Ende Dezember einen Stand von 159,5, was eine Steigerung von 7,6 % gegenüber dem Vorjahr bedeutete. Als wichtigste Teuerungsfaktoren fielen hauptsächlich Preiserhöhungen im Nahrungs- und Genussmittelsektor, in Teilbereichen der Dienstleistungen sowie in den Sparten Bekleidung und Verkehr ins Gewicht. Die in der ersten Jahreshälfte als Folge der « Erdölkrise » stark überhöhten Benzin- und Heizölpreise normalisierten sich indessen gegen Jahresende weitgehend [20]. Im Parlament wurde der Bundesrat durch vier praktisch gleichlautende Postulate aufgefordert, eine Anpassung der Indexberechnung an die veränderten Konsumgewohnheiten beschleunigt voranzutreiben [21]. Auf der Grosshandelsstufe konnte ferner eine deutliche Abschwächung der Teuerung registriert werden. Dies war vor allem dem Umstand zuzuschreiben, dass Importwaren dank des stark gestiegenen Frankenkurses relativ günstig einzukaufen waren [22]. Die konjunkturellen Abflachungstendenzen wirkten sich aber auch mit Nachdruck auf die Entwicklung des Sozialproduktes aus. Die nach wie vor auf Schätzungen des Eidg. Statistischen Amtes beruhenden Ermittlungen ergaben rund 138 Mia Fr., was eine reale Abnahme von rund 1 % (1973 : + 3,5 %) bedeutete [23]. Für die Beobachtung und Beurteilung der regional und sektoriell zunehmend unterschiedlichen Konjunkturentwicklung machte sich auch 1974 das Fehlen einer umfassenden Wirtschaftsstatistik besonders unangenehm bemerkbar und wurde vielfach kritisiert [24].
 
[15] Für Überblicke vgl. Mitteilung Nr. 231 der Kommission für Konjunkturfragen, Beilage zu Die Volkswirtschaft, 48/1975, Heft 1 ; Schweizerische Bankgesellschaft, Schweizerisches Wirtschaftsjahr 1974, Zürich 1974 ; Schweizerische Kreditanstalt, Bulletin, 80/1974, Dezember ; ferner SAZ, 69/1974, S. 914 ff.
[16] Der Rückgang der Investitionstätigkeit beschränkte sich ausschliesslich auf die Bauinvestitionen, die nicht nur von den restriktiven Massnahmen der Geldpolitik und des Baubeschlusses, sondern auch von strukturellen Rückbildungstendenzen betroffen wurden. Vgl. dazu Mitteilung Nr 231 der Kommission für Konjunkturfragen, Beilage zu Die Volkswirtschaft, 48/1975, Heft 1, S. 2.
[17] Der provisorische Index der Industrieproduktion wurde für 1974 mit 159 Punkten (1963 = 100) berechnet, was einer jährlichen Zuwachsrate von 1 % (Vorjahr : 5 %) entspricht ; vgl. Die Volkswirtschaft, 48/1975, S. 153.
[18] Zum Arbeitsmarkt vgl. unten, Teil I, 7a.
[19] Zur Aussenwirtschaft vgl. oben, Teil I, 2.
[20] Im Jahresdurchschnitt erreichte der Landesindex der Konsumentenpreise einen Stand von 152,9, was gegenüber 1973 eine Zuwachsrate von 9,8 % ausmacht ; vgl. Die Volkswirtschaft, 48/1975, S. 1.
[21] Postulat Honegger (fdp, ZH) : Amtl. Bull. StR, 1974, S. 81 ff. ; Postulat Egli (cvp, LU) Amtl. Bull. NR, 1974, S. 575 f. ; Postulat Weber (fdp, SZ) : Amtl. Bull. NR, 1974, S. 576 f. Postulat Baumann (svp, AG) : Amtl. Bull. NR, 1974, S. 577 ff.
[22] Der Grosshandelspreisindex stieg um 10,1 % (Vorjahr : 14,8 %) : Die Volkswirtschaft, 48/1975, S. 1.
[23] Mitteilung Nr. 231 der Kommission für Konjunkturfragen, Beilage zu Die Volkswirtschaft, 48/1975, Heft 1 ; NZZ (sda), 111, 16.5.75.
[24] TG, 235, 9.10.74 ; SZ, 238, 14.10.74 ; VO, 259, 8.11.74 ; Vat., 268, 19.11.74 ; LNN, 296, 21.12.74.