Année politique Suisse 1974 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen
Einnahmen
Nachdem sich indessen Volk und Stände im Urnengang vom 8. Dezember gegen die im Voranschlag bereits enthaltenen Steuererhöhungen und Mehreinnahmen ausgesprochen hatten, sah sich der Bundesrat veranlasst, sofort entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Er schlug dem Parlament noch im gleichen Monat vor, das Budget der Eidgenossenschaft für 1975 nur provisorisch in Kraft zu setzen und vorerst die Zahlungskredite bloss in monatlichen Tranchen von 5 % der Jahreskredite freizugeben. Zudem beantragte die Regierung, dass für neue Vorhaben keine Verpflichtungen eingegangen werden dürften. Gleichzeitig ersuchte der Bundesrat die eidgenössischen Räte, zur Ausarbeitung eines neuen Voranschlages im Januar 1975 eine ausserordentliche Session durchzuführen
[22]. Beide Kammern stimmten den vorgeschlagenen Übergangsmassnahmen oppositionslos zu und verschärften diese empfindlich, indem sie für die Bundesverwaltung nunmehr einen absoluten Personalstopp verfügten
[23].
Neben der Erhöhung der traditionellen Wehr- und Warenumsatzsteuer stand eine ganze Reihe von weiteren steuerlichen Massnahmen zur Diskussion. Im August konnte eine vom Bundesrat 1972 eingesetzte
Expertenkommission ihren Bericht mit Vorschlägen « zur Gestaltung einer schweizerischen Umsatzsteuer nach dem Mehrwertsystem (Mehrwertsteuer) » vorlegen. Das Gremium gelangte zu der Schlussfolgerung, dass das Mehrwertsystem gegenüber dem heute üblichen Grossistensystem bedeutende Vereinfachungen und Vorteile brächte
[24]. Daneben befassten sich zahlreiche parlamentarische Vorstösse mit Problemen der Fiskalpolitik. In einem Postulat wandte sich Nationalrat Eisenring (cvp, ZH) dagegen, dass Ausschüttungen von Aktiengesellschaften steuerlich sowohl bei der Gesellschaft wie anschliessend bei den Aktionären erfasst werden
[25]. Weiter forderte der Berner Oehen (na) den Bundesrat in einem Postulat auf, die Warenumsatzsteuer durch eine Dienstleistungssteuer zu ersetzen
[26]. Ebenfalls mittels Postulat lud schliesslich der Luzerner Birrer (cvp) die Regierung zur Prüfung der Frage ein, ob Vermögenswerte und Grundeigentum von Ausländern in der Schweiz nicht mit einer dem Militärpflichtersatz ähnlichen Abgabe belastet werden könnten
[27].
Um den Bedarf an zusätzlichen Einnahmen zu decken und insbesondere den Bundeshaushalt bei der Nationalstrassenfinanzierung zu entlasten, griff der Bundesrat auch zum Mittel der Zollzuschläge. So erhöhte er Ende August die für den Nationalstrassenbau bestimmten Zuschläge auf dem Treibstoffzoll um 10 Rp. pro l. Daneben setzte er den Zoll auf Heizöl um durchschnittlich 12 Rp. pro 100 kg höher an. Die beiden Massnahmen, welche unverzüglich vorsorglich in Kraft gesetzt wurden, sollen dem Bund 1975 Mehreinnahmen von rund 570 Mio Fr. erbringen
[28]. Trotz Opposition verschiedener Vertreter des Landesrings, der PdA und der Sozialdemokraten stimmte das Parlament in der Folge diesen Massnahmen nach bewegten Debatten zu
[29]. Der schon im Parlament geäusserte Unmut über die verfügten Zollzuschläge begann sich hierauf auch in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Gleich von verschiedener Seite wurden Referendumsbewegungen eingeleitet und teilweise auch verwirklicht. Während der Landesring beiden Zollzuschlägen den Kampf ansagte, wandten sich das Mouvement populaire des familles sowie der welsche Mieterverband ausschliesslich gegen die Erhöhung des Heizölzolls. Ausserdem ergriffen auch nichtorganisierte Automobilistenkreise das Referendum gegen die erhöhten Treibstoffzollzuschläge
[30].
Die vielfältigen Bemühungen um eine Steuerharmonisierung wurden auch 1974 intensiv fortgesetzt. Sie traten jedoch angesichts der äusserst bewegten finanzpolitischen Szene etwas in den Hintergrund. Im Januar beschloss die mit der Steuerharmonisierung betraute Nationalratskommission, den bisher lancierten Vorschlägen (Einzelinitiative Stich, sp, SO, Einzelinitiative Butty, cvp, FR, sowie Vorschlag der kantonalen Finanzdirektorenkonferenz) einen eigenen gegenüberzustellen. Dieser lehnt sich weitgehend an den Entwurf der kantonalen Finanzdirektoren an und bezieht sich ebenfalls auf die Steuerveranlagung, nicht aber auf die Tarife
[31]. Der Bundesrat eröffnete hierauf ein Vernehmlassungsverfahren für die vier Alternativen und versprach, die Strukturbereinigung im schweizerischen Steuerwesen speditiv voranzutreiben
[32]. Des weiteren wurden beide 1973 lancierten Volksinitiativen zu einer vereinheitlichenden Reform und Umgestaltung des bestehenden Steuersystems eingereicht. Das in Form einer allgemeinen Anregung gehaltene Volksbegehren des Landesrings war von rund 55 600 Stimmbürgern unterzeichnet worden
[33]. Besser schnitt mit rund 80 000 gültigen Unterschriften die als ausgearbeiteter Entwurf formulierte « Reichtumssteuerinitiative » der Sozialdemokraten ab
[34].
Auf kantonaler Ebene wurde ebenfalls für eine Reform des Steuerwesens gekämpft, wobei auch hier die Sozialdemokraten und der Landesring in vorderster Front standen, mit ihren Vorschlägen jedoch erfolglos blieben. In den Kantonen Baselland, St. Gallen, Zürich und Aargau wurden sozialdemokratische « Reichtumssteuerinitiativen » in der Volksabstimmung abgelehnt und in Schaffhausen, Solothurn sowie im Tessin noch weitere eingereicht. In den Kantonen Bern und Thurgau entschloss sich dagegen die SP, ihre zustandegekommenen Initiativen wieder zurückzuziehen. In verschiedenen Kantonen drangen anstelle der erwähnten Initiativen behördliche Gegenvorschläge durch, welche die geforderte Verschärfung der Steuerprogression teilweise realisierten
[35].
Auf dem Gebiete der Sondersteuern erhöhte der Bundesrat die Fiskalbelastung auf Zigaretten um durchschnittlich 27 %. Damit hatte die Landesregierung die ihr gemäss Tabaksteuergesetz zustehende Befugnis zur Steuererhöhung voll ausgenützt
[36]. Im Dezember erfuhr ausserdem der Steuertarif für Schnittabak eine Erhöhung um 10 %
[37]. Über die im Rahmen des grenzüberschreitenden Steuerwesens abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen haben wir bereits an anderer Stelle orientiert
[38].
[22] BBI, 1974, II, Nr. 50, S. 1429 ff.
[23] Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1805 ff. Amtl. Bull. StR, 1974, S. 651 ff.
[24] Vorschläge zur Gestaltung einer schweizerischen Umsatzsteuer nach dem Mehrwertsystem (Mehrwertsteuer), Bericht der Fachkommission Mehrwertsteuer an das EFZD, Bern 1974.
[25] Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1764.
[26] Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1762.
[27] Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1763 f.
[28] BBI, 1974, II, Nr. 38, S. 493 ff.
[29] Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1188 ff., 1190 ff. und 1553. Amtl. Bull. StR, 1974, S. 484 ff. und 543.
[30] Die Lancierung der beiden Referenden des Landesrings geschah vor allem auf Initiative des Standesrings St. Gallen. Vgl. dazu : Tat, 228, 1.10.74 ; 236, 10.10.74. Zum Referendum der Westschweizer Organisationen vgl. NZZ (sda), 458, 7.10.74. Bei der Kampfansage nichtorganisierter Automobilistenkreise handelt es sich um die Referendumskampagne des Herausgebers der Zeitung Motor-Report, B. Böhi. Eine Zusammenarbeit mit dem Landesring kam nicht zustande (NZZ, sda, 462, 11.10.74). Der TCS sprach sich dagegen deutlich gegen ein Benzinzollreferendum aus (NZZ, 488, 11.11.74). Vgl. auch unten, Teil I, 6 b.
[31] NZZ, 13, 9.1.74 ; TA, 6, 9.1.74 ; 29, 5.2.74. Vgl. auch SPJ, 1973, S. 71 f.
[32] NZ, 64, 26.2.74 ; NZZ, 463, 12./13.10.74.
[33] BBI, 1974, I, Nr. 18, S. 1245 ff. Vgl. auch SPJ, 1973, S. 72.
[34] BBI, 1974, II, Nr. 31, S. 258 ff. Vgl. auch SPJ, 1973, S. 72.
[35] Vgl. unten, Teil II, 2 a. Ferner : R. Rohr, « Gedanken zur Reichtumssteuer », in Schweizerische Kreditanstalt, Bulletin, 80/1974, Juni, S. 8 ff.
[38] Vgl. oben, Teil I, 2.
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