Année politique Suisse 1974 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
Verkehrspolitik
Die verkehrspolitischen Auseinandersetzungen erhielten eine neue Note durch den Wechsel an der Spitze des EVED. Bundesrat Ritschard exponierte sich stärker als sein Vorgänger Bonvin mit planerisch orientierten öffentlichen Stellungnahmen. So erklärte er im Juni am Kongress des Schweizerischen Eisenbahner-Verbandes, der öffentliche Verkehr sei angesichts der sozialen Kosten des Privatverkehrs gar nicht defizitär und bedürfe trotz Finanzknappheit wirksamer staatlicher Investitionen, wenn man die Lebensqualität verbessern und die fortschreitende Verstädterung aufhalten wolle. Für die Finanzierung verwies er bei anderer Gelegenheit auf die dem Nationalstrassenbau zur Verfügung stehenden Mittel ; dabei empfahl er eine Freigabe des Treibstoffzollzuschlags oder mindestens die vorzeitige Rückzahlung der Bundesvorschüsse
[1]. Diese Stellungnahmen erregten vor allem bei den Strassenverkehrsverbänden scharfen Widerspruch. Man verteidigte die Zweckbindung des Treibstoffzollzuschlages und warf dem Chef des EVED vor, er präjudiziere mit seinen Äusserungen die Arbeiten an der Gesamtverkehrskonzeption
[2]. Von wirtschaftswissenschaftlicher Seite wurde davor gewarnt, den öffentlichen Verkehr von unternehmerischen Anstrengungen zu dispensieren
[3].
Die Kommission für die
Gesamtverkehrskonzeption trat der angekündigten Absicht gemäss wiederholt mit Informationen an die Öffentlichkeit. Sie konzentrierte sich einerseits auf die Analyse von Zielen und Randbedingungen des Verkehrssystems, anderseits erweiterte sie durch verschiedene Erhebungen ihr Datenmaterial. Eine Studie über den Pendelverkehr ergab, dass in der Schweiz noch ein relativ grosser Teil der Bevölkerung bloss kurze Distanzen zwischen Wohn- und Arbeitsort zurückzulegen hat. Für ein erstes Modell, das sie 1975 vorzulegen gedachte, hielt sich die Kommission an das Raumplanungskonzept der Chefbeamtenkonferenz des Bundes (CK-73)
[4]. Ihr breit angelegtes, stark theoretisch ausgerichtetes Vorgehen blieb nicht unangefochten
[5].
[1] Eisenbahnerkongress : Documenta (Helvetica), 1974, Nr. 7, S. 15 f. Weitere Stellungnahmen : NZ, 140, 6.5.74 ; NZZ (spk), 327, 17.7.74 ; Documenta, 1974, Nr. 9, S. 7 ff. Zum Wechsel im EVED vgl. SPJ, 1973, S. 18 f., zur Verwendung der Treibstoffzölle SPJ, 1973, S. 88.
[2] Touring, 24, 20.6.74 ; NZZ (sda), 317, 11.7.74 (Automobilklub der Schweiz) ; Auto, 1974, Nr. 7/8, S. 13 ff.
[3] Vgl. Prof. H.R. Meyer in NZZ, 284, 22.6.74. BR Ritschard trug dieser Gefahr Rechnung, indem er die Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen einer blossen Defizitdeckung vorzog (Documenta, 1974, Nr. 5, S. 2 ff.).
[4] Gesamtverkehrskonzeption Schweiz, Erster Zwischenbericht 1973, Bern 1973 ; NZZ, 76, 15.2.74 ; Bund, 111, 14.5.74 ; 205, 3.9.74 ; Ldb, 194, 197 u. 199, 24.-30.8.74 ; Ostschw., 236, 9.10.74 ; LITRA, Jahresbericht 1973/74, S. 40 ff. Vgl. auch SPJ, 1972, S. 90 f. ; 1973, S. 87, und unten, Teil 1, 6c.
[5] Vgl. H.-R. Meyer, « Verkehrswissenschaftliche Betrachtungen zur schweizerischen Gesamtverkehrskonzeption », in Schweiz. Archiv für Verkehrswissenschaft und Verkehrspolitik, 29/1974, S. 115 ff., sowie LITRA, Jahresbericht 1973/74, S. 43.
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