Année politique Suisse 1974 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
 
Eisenbahnen
Die bauliche wie die betriebliche Entwicklung der Eisenbahnen wurde von der Knappheit der öffentlichen Finanzen besonders stark betroffen. In der Alpenbahnfrage drängte der neue Chef des EVED zwar auf einen grundsätzlichen Entscheid über die Linienführung, und die Landesregierung lehnte eine Kosten-Nutzen-Analyse, wie sie in parlamentarischen Vorstössen verlangt worden war, als zu zeitraubend ab [16] ; sie räumte aber ein, dass die kritische Lage der Bundesfinanzen einen Beginn der Arbeiten an einer neuen Basislinie in absehbarer Zeit kaum erlauben werde [17]. Dadurch erhielt der Ausbau der Lötschberglinie auf Doppelspur, der mit geringerem Aufwand realisierbar wäre als ein neuer Alpendurchstich, erhöhte Dringlichkeit. Im Oktober lag für das Lötschbergprojekt eine Finanzierungsbotschaft bereit, doch verzögerte sich der Beschluss des Bundesrates wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Kanton Bern. Dieser erwartete, dass ihm der Bund für die Verzinsung des vorgesehenen Darlehens besondere Erleichterungen gewähren würde. Im EVED zeigte man sich jedoch angesichts der günstigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn (BIS) nicht dazu bereit, um so weniger als die schlechte Finanzlage nicht so bald an die 1966 vereinbarte Erwerbung der BLS durch den Bund denken liess [18]. Um dem Unmut der enttäuschten Ostalpenbahninteressenten zu begegnen, bildete der Bundesrat eine Kontaktgruppe, durch welche Vertreter der ostschweizerischen Kantone einen gewissen Einfluss auf ergänzende Studien zur Frage des künftigen Alpendurchstichs erhalten sollten [19]. Das von der Bündner Regierung bevorzugte Splügen-Projekt stiess nun auch in Graubünden selber auf eine umweltorientierte Opposition ; entsprechende Tendenzen meldeten sich in Schwyz gegen einen Ausbau der Gotthardzufahrten [20].
Als Hauptgrund für sein Drängen auf einen Alpenbahnentscheid führte Bundesrat Ritschard noch im September das Steigen der Nachfrage im Gütertransitverkehr an, dem die schweizerischen Bahnen nicht entsprechen könnten, so dass die Transporte mehr und mehr auf die Strasse oder auf ausserschweizerische Alpenbahnen abwanderten. Verschärft wurde der Mangel an Kapazität noch durch das Unvermögen der italienischen Staatsbahnen, den Güterverkehr aus dem Norden laufend abzunehmen [21]. Im zweiten Halbjahr setzte jedoch eine Tendenzumkehr ein : unter dem Einfluss der wirtschaftlichen Rezession fielen die Gütertransporte merklich zurück [22].
Die finanzielle Lage der SBB verschlechterte sich weiterhin. Die Rechnung für 1973 schloss mit einem Defizit von 92,6 Mio Fr. ab, was ungefähr dem Budget (96,9 Mio Fr.) entsprach. Der Güterverkehr hatte noch einmal volumen- und ertragsmässig zugenommen ; noch stärker war jedoch der Personalaufwand gestiegen. Zur Deckung dieses dritten Fehlbetrags seit 1971 reichte die gesetzliche Reserve nicht mehr aus ; so musste zum erstenmal wieder seit 1949 die Bundeskasse belastet werden. Der Bundesrat hielt grundsätzlich an der Eigenwirtschaftlichkeit der SBB fest ; als Mittel zu deren Wiederherstellung nannte er neben Rationalisierungsmassnahmen und laufenden Tariferhöhungen auch die Bereitstellung des für Investitionen erforderlichen Eigen- und Fremdkapitals durch den Bund [23]. Der Voranschlag für 1975 rechnete trotz weiteren Tarifsteigerungen mit einem neuen Rekorddefizit von 165,7 Mio Fr. (für 1974: 105 Mio Fr.). Dabei wurde aufgrund eines Investitionsplanes für die Jahre 1974-1980 ein Bauaufwand von 992 Mio Fr. (1974: 812 Mio Fr.) vorgesehen ; davon sollten 600 Mio Fr. durch Darlehen des Bundes beschafft werden. Obwohl einzelne Tarifmassnahmen (Einleitung eines schrittweisen Abbaus der Rückfahrtrabatte, vorab im Nahverkehr, Aufhebung der Sonntagsbillette und der Gratisrückfahrten bei Grossveranstaltungen) auf verbreitete Kritik gestossen waren, genehmigten die Räte das Budget ohne Abstriche [24].
Die vom Bundesrat bereits 1972 in Aussicht gestellte Finanzierungsvorlage für das langfristige Bauprogramm der SBB liess noch auf sich warten. Die Fortschritte beim Ausbau des Klotener Flughafens veranlassten jedoch die Landesregierung, für die seit 1970 vorgesehene Erstellung eines Bahnanschlusses einen Sachkredit anzufordern. Im Nationalrat wurde verlangt, dass die kostspielige Bahnschlaufe an der Strecke Zürich-Kloten-Winterthur, deren Zubringerwirkung die Flughafenplanung präjudizieren würde, als « neue Linie » und damit als referendumspflichtig anerkannt werde. Die Räte bewilligten aber den Bundesbeitrag ohne Referendumsvorbehalt [25]. Eine Neugestaltung des Bahnsystems im Raum Luzern, wie sie die Petition « Bahnen für das Herz der Schweiz » forderte, hielt der Bundesrat dagegen noch für verfrüht [26].
 
[16] Antworten auf die vom NR am 27.6. nur als Postulat überwiesene Motion Schmid (sp, SG) und auf das Postulat Jaeger (ldu, SG) (Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1046 ff.), ferner Pressekonferenz BR Ritschards vom 3.5. (NZZ, 206, 6.5.74). Vgl. SPJ, 1973, S. 90.
[17] Antwort auf die am 21.3. vom NR als Postulat überwiesene Motion Schaffer (sp, BE) (Amtl. Bull. NR, 1974, S. 650 ff.).
[18] Ebenda, ferner TA, 87, 16.4.75. Vgl. dazu SPJ, 1966, S. 85 ; 1973, S. 90.
[19] Vgl. Antwort auf Postulat Jaeger (ldu, SG) (Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1048 ff.) und Gesch. ber., 1974, S. 278.
[20] Graubünden : NBZ, 314, 10.10.74 ; 357, 14.11.74. Schwyz : Vat., 249, 26.10.74.
[21] Documenta, 1974, Nr. 8, S. 28 ff. ; vgl. NZZ, 381, 19.8.74.
[22] NZZ (sda), 519, 17.12.74 ; 31, 7.2.75 ; NZZ, 45, 24.2.75.
[23] BBI, 1974, I, Nr. 22, S. 1413 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1974, S. 141 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1974, S. 757 ff.
[24] Voranschlag : BBI, 1974, II, Nr. 47, S. 1298 ff.; Amtl. Bull. StR, 1974, S. 554 ff., 650 f. ; Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1699 ff., 1848. Investitionsplan : LITRA, Jahresbericht 1973/74, S. 45 ff. ; NZZ, 233, 21.5.74. Tarifmassnahmen : NZZ (sda), 12, 9.1.74 ; 412, 5.9.74. Reaktionen : NZ, 3, 4.1.74 ; Bund, 6, 9.1.74 ; Tw, 6, 9.1.74 ; NZZ (sda), 417, 9.9.74 ; 443, 24.9.74.
[25] BBI, 1974, I, Nr. 16, S. 1169 ff.; Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1065 ff.; Amtl. Bull. StR, 1974, S. 536 ff. Vgl. SPJ, 1970, S. 111 ; 1972, S. 93 f. An die Kosten von 285,2 Mio Fr. (Preisstand von 1971) trägt der Bund 95 Mio Fr. bei, der Kanton Zürich 18 Mio Fr. (vgl. TA, 251, 29.10.74). Nach Art. 2 des SBB-Gesetzes ist der Bau «neuer Linien» dem Referendum unterstellt.
[26] Vat., 30, 6.2.74 ; LNN, 248, 25.10.74. Vgl. SPJ, 1973, S. 90.