Année politique Suisse 1974 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
 
Strassenverkehr
Im Strassenverkehr setzte sich 1974 die Verflachung des Wachstums fort. Die Zahl der Motorfahrzeuge überschritt zwar die Zweimillionengrenze, aber der Zuwachs verringerte sich noch mehr [35]. Die Unfallziffern gingen weiter zurück ; diese Entwicklung wurde als Erfolg der 1973 eingeführten Geschwindigkeitsbeschränkungen gewertet [36]. Als sich die Treibstoffzufuhren nach Jahresbeginn wieder normalisierten, setzte die Diskussion über die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen, die der Bundesrat aus Versorgungsgründen verfügt hatte, neu ein. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) empfahl, die Grenze provisorisch bei 130 km/h anzusetzen und die Autobahnen damit in die bis Ende 1975 laufende Versuchsperiode für die Ausserortsstrassen einzubeziehen. Andere Stimmen betonten, dass 120 km/h als Ausbaugeschwindigkeit für die Erstellung der Nationalstrassen massgebend sein sollten ; die Gesellschaft für Umweltschutz forderte gar die Beibehaltung von Tempo 100. Demgegenüber wurde auch für die Rückkehr zur vollen Tempofreiheit plädiert. Der Bundesrat folgte im März der Empfehlung der BfU [37]. Zugleich griff die Ständeratskommission, die mit der im Vorjahr dem Parlament zugeleiteten Revision des Strassenverkehrsgesetzes betraut war, die Frage auf. Sie schlug vor, den Bundesrat zur Festsetzung von Beschränkungen auf allen Strassen zu verpflichten [38]. Beide Räte schlossen sich diesem Vorschlag an. Eine gesetzliche Verankerung bestimmter Limiten für verschiedene Strassenkategorien drang dagegen nicht durch. Noch weniger Befürworter fanden jedoch Anträge, man solle es wie bisher bei der blossen Ermächtigung des Bundesrates zu Geschwindigkeitsvorchriften bewenden lassen.
Den von der Exekutive 1973 vorgeschlagenen Änderungen zum Strassenverkehrsgesetz stimmten beide Räte im wesentlichen zu. So wurde die Vorschrift eingeführt, dass mindestens ein Teil der Fahrausbildung durch einen ausgewiesenen Fahrlehrer zu erfolgen hat. Zur Feststellung, bei welchem Alkoholgehalt des Blutes Angetrunkenheit anzunehmen sei, wurde anstelle der Gerichte der Bundesrat zuständig erklärt ; wie bei der Geschwindigkeitsbeschränkung verwarf man die Fixierung von Zahlenwerten im Gesetz. Oppositionslos bewilligten die Räte die Aufstellung eines zentralen Registers über Strafen und Massnahmen im Strassenverkehr. Die Differenzbereinigung konnte allerdings vor Jahresende nicht ganz abgeschlossen werden [39]. Der Bundesrat entschied seinerseits noch nicht über weitere geplante Neuerungen auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit. Die Verwendung von Stiftreifen wurde mit Rücksicht auf die Regelungen der Nachbarländer auch für den Winter 1974/75 gestattet [40].
Zur Frage einer Reform der Haftpflichtversicherung für Motorfahrzeuge, die 1971 zur Lancierung einer Volksinitiative und zur Einsetzung einer Studiengruppe des EJPD Anlass gegeben hatte, nahm der Bundesrat gegen Jahresende Stellung. Er lehnte das Initiativbegehren des VPOD nach Einrichtung einer staatlichen Versicherung ab und kündigte eine Gesetzesrevision aufgrund der Vorschläge der Studiengruppe an ; diese hatte insbesondere empfohlen, dass eine ständige Konsultativkommission mit Vertretern der Strassenverkehrsverbände und der Versicherungen gebildet und die Tarifberechnung verfeinert werde [41]. Zugleich hatte ein Rechtsgutachten festgestellt, dass der seit Jahren in den Prämien einkalkulierte Unfallverhütungsbeitrag ungesetzlich sei. Aus diesem Beitrag waren zweckgebundene Zuwendungen an die Verkehrsverbände, die BfU und die Schweizerische Konferenz für Sicherheit im Strassenverkehr finanziert worden. Der bereits 1973 eingetretene Rückgang der Unfallziffern wirkte sich auf die Festsetzung der Prämien für 1975 aus : für Personenwagen ergab sich eine Senkung um durchschnittlich 6,2 % [42].
Die vielfältigen Bestrebungen zum Schutz der Umwelt vor den Immissionen des Strassenverkehrs waren unvermindert wirksam. Im Herbst wurde die von einer St. Galler Arbeitsgruppe lancierte « Albatros » -Initiative eingereicht, die eine weitere drastische Verringerung der Motorfahrzeugabgase verlangte [43]. Gleichzeitig gaben die Burgdorfer Technikumsstudenten, die ein Volksbegehren für zwölf autofreie Sonntage im Jahr in Umlauf gesetzt hatten, das Zustandekommen ihres Unternehmens bekannt. Das Initiativkomitee, das sich unter dem Vorsitz von Nationalrat J. Bächtold (ldu, BE) für strengere Lärmvorschriften einsetzte, gelangte dagegen noch nicht ans Ziel [44]. Dafür legte eine Expertengruppe des Eidg. Amtes für Strassen- und Flussbau einen Bericht über Immissionsschutzmassnahmen an Autobahnen vor. Dieser befürwortete vor allem die Ausscheidung von Lärmschutzzonen mit Wohnbauverbot, wie sie bereits für den Flugplatzbau vorgeschrieben ist, sowie bauliche Abschirmvorkehren. Über den Expertenbericht wurde ein Vernehmlassungsverfahren angeordnet [45]. Gegen Jahresende orientierte der Bundesrat seinerseits das Parlament über den Stand der Bekämpfung von Abgas- und Lärmeinwirkungen im Strassenverkehr und legte ein Konzept zur Verschärfung der bestehenden Regelungen vor. Zugleich setzte er die bereits 1973 vorgesehene, wegen der Versorgungskrise jedoch noch aufgeschobene Senkung des Bleigehalts im Benzin in Kraft [46].
 
[35] Am 30.9.74 waren 2 011 378 Motorfahrzeuge immatrikuliert; der Zuwachs gegenüber 1973 betrug 4 % (im Vorjahr 5,5 %) (NZZ, sda, 55, 7.3.75). Die Zahl der verkauften Personenwagen nahm 1974 gegenüber dem Vorjahr um 14,7 % ab (TA, 13, 17.1.75). Vgl. SPJ, 1973, S. 95.
[36] Die Zahl der Strassenverkehrsunfälle nahm gegenüber 1973 um 5% ab (Todesopfer : 6,3 %, Verletzte : 3,3 %) (NZZ, sda, 31, 7.2.75) ; vgl. SPJ, 1973, S. 93, Anm. 59). In den ersten 9 Monaten war die Abnahme noch ausgeprägter (TA, 285, 7.12.74). Vgl. SPJ, 1972, S. 96 ; 1973, S. 85.
[37] BfU : NZZ (sda), 69, 11.2.74 ; Vat., 36, 13.2.74. Tempo 120: Ldb, 39, 16.2.74 ; NZZ (sda), 82, 19.2.74 ; 110, 7.3.74. Schweiz. Gesellschaft für Umweltschutz : NZZ (sda), 80, 18.2.74. Tempofreiheit : TA, 42, 20.2.74 ; 59, 12.3.74. Bundesrat : AS, 1974, Nr. 10, S. 575 ff.
[38] NZZ, 39, 24.1.74 ; Bund, 47, 26.2.74 ; 48, 27.2.74. Vgl. SPJ, 1973, S. 93.
[39] Amtl. Bull. SIR, 1974, S. 95 ff., 114 ff., 580 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1974, S. 877 ff., 1300 ff., 1381 ff., 1924 ff. Im März 1975 wurde die Bereinigung abgeschlossen : NZZ, 55, 7.3.75 ; 67, 21.3.75 ; BBI, 1975, I, Nr. 12, S. 1123 ff.
[40] Neuerungen : Gesch.ber., 1974, S. 138; vgl. SPJ, 1973, S. 93 f. Stiftreifen : AS, 1974, Nr. 37, S. 1493 ff. ; NZZ (sda), 423, 12.9.74 ; Touring, 44, 7.11.74.
[41] BBI, 1975, I, Nr. 8, S. 700 ff. Vgl. SPJ, 1971, S. 105 f. ; 1973, S. 94 f.
[42] NZZ, 477, 29.10.74 ; Touring, 44, 7.11.74 ; TA, 295, 19.12.74.
[43] Die Initiative erhielt 53 121 gültige Unterschriften, vor allem aus den Kantonen ZH und SG (BBI, 1974, II, Nr. 44, S. 965 ff. ; Ostschw., sda, 226, 27.9.74). Vgl. SPJ,. 1973, S. 94.
[44] Autofreie Sonntage : Ldb, 224, 28.9.74 ; NZZ (ddp), 460, 9.10.74. Lärmvorschriften : TA, 1, 3.1.74 ; NZ, 390, 14.12.74. Vgl. SPJ, 1973, S. 94 f.
[45] BN, 95, 24.4.74 TA, 94, 24.4.74 ; Gesch.ber., 1974, S. 58. Vgl. Antwort auf Kleine Anfrage H. Meyer (cvp, ZH) (Amtl. Bull. NR, 1974, S. 678 f.).
[46] Der Bericht wurde erst im Januar 1975 bekannt (BBI, 19,75, I, Nr. 2, S. 25 ff.) ; vgl. SPJ, 1973, S. 94. Benzin : AS, 1974, Nr. 47, S. 1856 ; vgl. SPJ, 1973, S. 85. Vgl. ferner unten, Teil I, 6d.