Année politique Suisse 1974 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
 
Bodenrecht
An der Front des Bodenrechts trat keine Beruhigung ein. Neuere Gesetze (Raumplanung, Wohnbauförderung, Gewässerschutz, kantonale Baugesetze) ziehen wohl die Grenzen der Verfügungsfreiheit der Grundeigentümer enger und bestimmen die Art und Intensität der Nutzung, können aber in der Eigentumsfrage nicht über die Verfassungsgrundlagen hinausgehen (Art. 22 ter BV) [20]. 1974 standen im wesentlichen drei Reformvorschläge zur Diskussion [21]. Der freisinnige Entwurf von 1973, der erhebliche staatliche Eingriffe in den Baulandmarkt vorsah, stiess in den. eigenen Reihen auf teilweise heftige Kritik [22]. Wesentlich weiter gingen die Fassungen einer sozialdemokratischen Kommission [23] und eines vor allem von Liberalsozialisten und Mitgliedern der Europäischen Föderalistischen Partei getragenen Komitees [24]. Diese Vorschläge hoben das private Grundeigentum in seiner heutigen Form auf. Sie spalteten es auf in ein dem Staate zustehendes Verfügungseigentum und ein auf Zeit an Private oder juristische Personen abtretbares Nutzungseigentum. Der Parteitag der SPS stimmte entsprechenden politischen Grundsätzen unter Vorbehalt einer weiteren Prüfung zu. Bis 1975 sollte auf dieser Basis eine Initiative formuliert werden. Im Herbst konstituierte sich eine parteipolitisch unabhängige « Schweizerische Gesellschaft für ein neues Bodenrecht ». Sie bezifferte die Bodenrente, d.h. den arbeitslosen Ertrag, der jährlich von den Nichtgrundeigentümern an die Grundeigentümer bezahlt werden muss, auf rund 1,3 Mia Fr. und setzte sich für deren Überführung an die Allgemeinheit ein [25].
Gegen diese Bestrebungen wandte sich eine von den Spitzenverbänden der Wirtschaft getragene « Aktion freiheitliche Bodenordnung ». Diese bereitete eine umfassende Grundlagenstudie vor und trat zur umstrittenen Frage der Streuung des Grundeigentums mit neuen, aufgrund einer Umfrage ermittelten Daten an die Öffentlichkeit. Laut Volkszählung 1970 waren im schweizerischen Durchschnitt 28,1 % aller Wohnungen von den Eigentümern bewohnt ; 1960 waren es 34 %, 1950 noch 37 % gewesen. Klar unter dem Durchschnitt lagen die Kantone Genf (9 %) und Basel-Stadt (11,4 %), stark über dem Mittelwert die Kantone Appenzell-Innerrhoden (60,3 %) und Wallis (55,4 %). Aufgrund der erwähnten Umfrage wurde jedoch geltend gemacht, dass diese Zahlen über die Verteilung des Grundeigentums nur ungenügend Auskunft gäben. Sofern man jeglichen Grundbesitz mitzähle, könne man aus den Ergebnissen ableiten, dass 45 bis 46 % der über 30jährigen Haushaltvorstände mit Schweizerbürgerrecht Grundeigentümer seien [26]. Auf der Gegenseite wurde aufgrund der Grundstückgewinnsteuern errechnet, dass die realisierten Gewinne der Grundeigentümer allein in der Stadt Zürich im Jahre 1971 gegen 400 Mio Fr. betrugen [27].
Im Februar trat der 1973 erlassene neue Bundesbeschluss über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland in Kraft [28]. Erste Erfahrungen zeigten, dass die « Lex Furgler » die Verkäufe gegenüber den früheren Regelungen klar einschränken konnte ; Missbräuche und Umgehungen — vor allem durch Immobilienaktiengesellschaften — konnten freilich nicht völlig verhindert werden [29].
 
[20] Vgl. SPJ, 1969, S. 106 f. ; 1968, S. 95 f.
[21] TA, 45, 23.2.74 ; NZZ, 226, 17.5.74 ; 380, 18.8.74.
[22] Vgl. SPJ, 1973, S. 101 ; H. Adank, « Ein liberales Bodenrecht ? », in Profil, 53/1974, S. 69 ff.
[23] TA, 120, 27.5.74 ; 121, 28.5.74 ; AZ, 126, 1.6.74 ; Profil, 53/1974, S. 133 ff. (H. Adank) u. 139 ff. (B. Bürcher) ; Neutralität, 12/1974, Nr. 4 (Dokumentation zum Bodenrecht).
[24] NZZ (sda), 142, 26.3.74 ; LNN, 79, 4.4.74 ; NZ, 152, 17.5.74 ; Ww, 22, 29.5.74.
[25] TA, 113, 17.5.74 ; 250, 28.10.74 ; JdG, 251, 28.10.74 ; Tw, 252, 29.10.74. Vgl. unten, Teil III.
[26] NZ, 331, 23.10.74 ; TA, 246, 23.10.74 ; Ostschw., 301, 27.12.74 ; vgl. auch Schweizerboden, Zürich 1974 (Schrift des Redressement National) und R. Rohr, « Aktuelle bodenpolitische Vorschläge », in Bund, 211, 10.9.74 ; 213, 12.9.74 und NZZ, 421, 11.9.74.
[27] Profil, 53/1974, S. 141 ; vgl. auch Tw, 122, 29.5.74 und Konzept, 5, 20.5.74.
[28] Vgl. SPJ, 1973, S. 101 f. ; GdL, 28, 4.2.74 ; NZZ, 98, 28.2.74.
[29] TLM, 11, 11.1.74 ; 307, 3.11.74 (Kritik aus dem Wallis) ; Ww, 9, 27.2.74 ; NZ, 119, 17.4.74 ; TG, 185, 10./11.8.74 ; NZZ, 409, 4.9.74 ; 484, 6.11.74 ; Vat., 204, 4.9.74 ; Bund, 237, 10.10.74 ; TA, 298, 23.12.74 ; Die Volkswirtschaft, 47/1974, S. 621 ff. Vgl. auch die Antworten des BR auf drei Kleine Anfragen in Amtl. Bull. NR, 1974, S. 680, 684 u. 690.