Année politique Suisse 1974 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
 
Wohnungsbau
Im Wohnungsbau zeichneten sich in vielen Bereichen Sättigungserscheinungen ab. Die Rekordproduktion der vergangenen Jahre [30], die sich vom Bedarf her kaum rechtfertigen liess und eher als eine Folge der inflationsbedingten Flucht in die Sachwerte aufgefasst wurde, hatte schon Ende 1973 zu einem verhältnismässig grossen Leerwohnungsbestand geführt. Der Bestand an leerstehenden Wohnungen verdoppelte sich jedoch innert Jahresfrist und betrug laut BIGA Ende 1974 30 900. Beobachter, schätzten die Zahl freilich noch höher [31]. Die Tatsache, dass rund 75 % der leeren Wohnungen in den Jahren 1973 und 1974 erstellt worden waren, liess darauf schliessen, dass in erster Linie teure Neubauten unbesetzt blieben. Zahlreiche Presseberichte befassten sich ausführlich mit dem Überangebot, das vor allem in neuerstellten Überbauungen im Einzugsgebiet von Grossstädten bestand und sowohl Miet- wie Eigentumswohnungen umfasste [32]. Um diese « Wohnungshalden » abzutragen, versuchte man verschiedentlich, neue Wege einzuschlagen (« Miete mit Kaufrecht ») [33].
Der hohe Leerwohnungsbestand stellte die Wohnbauwirtschaft vor beträchtliche Redimensionierungsprobleme [34] ; sie wies auf die Gefahr hin, dass « mutwillig » zerstörte Baukapazitäten in einem späteren Zeitpunkt fehlen und die Teuerung unnötigerweise anheizen könnten. Aufgrund der grossen Zahl von ausführungsreifen Projekten, die man — angesichts stagnierender oder gar fallender Baukosten — nicht zurückstellen wollte, entstanden jedoch auch 1974 schätzungsweise 65 000-75 000 neue Wohnungen. Das 1973 vom Bundesrat vorgelegte Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetz [35] passierte mühelos beide Kammern und erfuhr keine wesentlichen Veränderungen. Dass es dringlich war, wurde trotz des hohen Leerwohnungsbestandes kaum je bestritten. Beim Delegierten für Wohnungsbau, T. Guggenheim, gingen Anmeldungen für 600 Projekte mit etwa 20 000 Wohnungen ein. Am Jahresende bestanden jedoch Anzeichen dafür, dass der Bund angesichts seiner Finanzlage die Möglichkeiten des Gesetzes noch nicht voll wird ausschöpfen können. In einem ersten Schritt waren laut Bundesamt für Wohnungsbau Zusicherungen für 10 000 Wohnungen vorgesehen ; der Bund wird aber nicht selber Darlehen gewähren, sondern sich ausschliesslich auf die Verbürgung von Fremdfinanzierungen beschränken [36]. Der Zweitwohnungsbau, der 1960 bis 1970 jährliche Zuwachsraten von 6,5 % aufgewiesen hatte, wurde als « nationales Problem » diskutiert [37]. Junge Jurassier wehrten sich gegen den Verkauf und die Zweckentfremdung von Jura-Häusern [38].
 
[30] 1971 : 65 000 ; 1972: 73 000 ; 1973: 82 000 Wohnungen. Der Bedarf wurde dagegen langfristig auf 40 000-50 000 Einheiten pro Jahr geschätzt : Bund, 141, 20.6.74 ; NZZ, 459, 8.10.74 ; TA, 233, 8.10.74.
[31] Die Volkswirtschaft, 48/1975, S. 71 f. ; NZZ, 116, 11.3.74 ; 57, 10.3.75 ; TA, 58, 11.3.75. Auf Gemeinden mit über 2000 Einwohnern entfielen 23 397 Leerwohnungen (im Vorjahr 11 477, 1972 5551).
[32] NZZ, 79, 17.2.74 ; TLM, 98, 8.4.74 ; 99, 9.4.74 ; 184, 3.7.74 ; 185, 4.7.74 ; Ww, 15, 10.4.74; Bund, 132, 10.6.74 ; Ldb, 223, 27.9.74 ; NBZ, 330, 23.10.74 ; TG, 260, 7.11.74 ; 272, 21.11.74 ; vgl. auch Konzept, 9, 25.9.74.
[33] NZZ, 384, 20.8.74 ; Bund, 197, 25.8.74 ; 221, 22.9.74 ; TA, 223, 26.9.74 ; Ww, 42, 16.10.74.
[34] Vgl. Teil I, 4 a ; Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1947 (Kleine Anfrage Bächtold, ldu, BE) ; NZ, 211, 9.8.74 ; 213, 11.8.74 ; Schweiz. Gewerbe-Zeitung, 39, 26.9.74.
[35] Vgl. SPJ, 1973, S. 103 ; Amtl. Bull. NR, 1974, S. 342 ff., 1152 ff., 1554 ; Amtl. Bull. StR, 1974, S. 343 ff., 471 ff., 544 ; AS, 1975, Nr. 10, S. 498 ff. ; NZZ, 366, 9.8.74 ; 386, 21.8.74 ; 439, 22.9.74 ; TA, 238, 14.10.74. Vgl. auch « Acht Jahre Wohnbau- und Raumordnungspolitik » in Wirtschaftspolitische Mitteilungen, 30/1974, Nr. 7/8.
[36] NZZ (sda), 439, 22.9.74 ; 446, 26.9.74 ; 16, 21.1.75 ; NR, 338, 29.10.74 ; 340, 31.10.74.
[37] Schweiz. Gewerbe-Zeitung, 39, 26.9.74 ; NZZ, 488, 11.11.74 ; Bund, 294, 16.12.74 ; 303, 29.12.74. Vgl. auch das Postulat Leu (cvp, LU) in Amtl. Bull. StR, 1974, S. 62 ff.
[38] NZ, 266, 26.8.74 ; 340, 31.10.74.